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27.11.20 / Der Wochenrückblick / Ist Merkel zufrieden? / Wie ein Echo schmerzen kann, und wovor deutsche Politiker wirklich Angst haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48 vom 27. November 2020

Der Wochenrückblick
Ist Merkel zufrieden?
Wie ein Echo schmerzen kann, und wovor deutsche Politiker wirklich Angst haben
Hans Heckel

Eine gewisse Hemmungslosigkeit und die Lust, Regeln und Konventionen zu übertreten, galt in Deutschland gut fünfzig Jahre lang als schick. Mit den 68ern nahm die Freude an der Provokation der „bürgerlichen Sitten“, die sowieso alle verlogen seien und bloß dem Machterhalt des „Establishments“ dienten, Fahrt auf. 

Es musste ein halbes Jahrhundert vergehen, bis wir eine verblüffende Entdeckung machten. Die Hemmungslosen haben die ganze lange Zeit hindurch ein düsteres Geheimnis gehütet: Ihre Provokationen, Beleidigungen und Regelbrüche fußten auf dem festen Urvertrauen, dass die Provozierten, Beleidigten und Kujonierten es ihnen niemals mit gleicher Münze heimzahlen würden. Dass sie die anderen also nach Lust und Tollerei herausfordern könnten, ohne jemals auf ein ebenso derbes Echo zu stoßen.

So haben die Klimakampf-Extremisten von „Extinction Rebellion“ erst vergangenen Juli im geschützten Bereich des Reichstags eine illegale Flugblattaktion durchgezogen. Greenpeace-Krawallos erkletterten damals von außen das Gebäude und verhängten es mit einem Transparent. Und im vergangenen Jahr demonstrierten zwei Dutzend Aktivisten von „Fridays for Future“ sogar mitten im Plenarsaal unter den Augen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.    

Die Aktionen im Gebäude konnten nur gelingen, weil Bundestagsabgeordnete ihre Gesinnungsgenossen hineingelassen hatten. Welche Parlamentarier das waren, hat aber niemanden so recht interessiert.

Jetzt jedoch haben ein paar Leute, die wohl als Gäste von AfD-Abgeordneten in den Parlamentssitz gelangt sind, ebenfalls nicht ordnungsgemäße Aktionen im Reichstag veranstaltet. Das Entsetzen kannte nun plötzlich keine Grenzen mehr, es war das Medienthema, Empörung allenthalben. 

Ja, damit hatte wahrlich niemand gerechnet, das die „Rechten“ so was auch mal machen könnten. Ungeheuerlich! Ein Anschlag auf die Demokratie! Und, was die AfD-Einlader der Provokateure angeht, ein grober Verstoß gegen die parlamentarischen Gepflogenheiten. Sagen die, welche entgegen allen demokratischen Gepflogenheiten der AfD seit 2017 den Posten eines Bundestagsvizepräsidenten verweigern. Bemerkenswert. 

Auch bei Demos ist das mit den Provokationen und Regelverstößen so eine Sache. Im Sommer walzte sich „Black Lives Matter“ über den Berliner Alexanderplatz. Nur ein Teil trug die vorgeschriebene Maske, es kam zu massiver Gewalt und Polizisten wurden wüst beschimpft („Ganz Berlin hasst die Polizei!“, „Nazis, Nazis!“). Wasserwerfer sahen wir trotzdem keine, und aufgelöst wurde die Versammlung erst nach vielen Stunden, als sowieso fast keiner mehr da war. Nun erinnern Sie sich an die Wasserwerferszenen von der „Querdenken“-Kundgebung vor ein paar Tagen. Oder die wütenden Medien- und Politikerkommentare gegen die Demo. Den massiven, ziemlich robusten Polizeieinsatz. Wie sich die Umgangsformen von Polizei, Politik und Medien doch ändern können.  

Um nicht selbst in den Strahl der Wasserwerfer und medialen Dreckschleudern zu geraten, wäre es hilfreich zu wissen, wo eigentlich die Grenze verläuft zwischen denen, die hemmungslos handeln dürfen ohne Rücksicht auf Regeln, und jenen, die sich gefälligst zu betragen haben. Wer weiß die Antwort? Da fragen Sie am besten Rebecca Sommer. Die war früher als „Flüchtlingsaktivistin“ unterwegs und hat zwischenzeitlich die Seiten hin zur Regierungskritikerin gewechselt.

Zu ihrem eigenen Unglück hat Frau Sommer dabei aber nicht mitbekommen, dass ihr Spielraum in der neuen Rolle weitaus kleiner ausfällt als in der alten. So stellte sie als Besucherin Wirtschaftsminister Altmaier vor einem Aufzug im Reichstag aggressive Fragen, was die besagte Empörung auslöste. Hätte sie als „Flüchtlingsaktivistin“, die sie mal war, in gleicher Weise einen AfD-Abgeordneten angegangen, wären wir hingegen begeistert gewesen: „Engagierte Bürgerin stellt Rechtspopulisten im Reichstag zur Rede. Der flüchtet sich in den Fahrstuhl – erbärmlich!“ 

Bevor wir’s vergessen, apropos „Nazis, Nazis!“: Heftiges Geflatter hatte, wie Sie sicher gehört haben, der Auftritt von „Jana aus Kassel“ zur Folge. Die hatte sich als Widerstandskämpferin vom Kaliber der Geschwister Scholl inszeniert, was gewöhnlicherweise – je nach Gemüt – Gähnen oder Grinsen auslöst. Nun aber kam die Vereinnahmung des NS-Widerstands von einer „Querdenkerin“. Das machte alles anders.

Sogar Außenminister Maas schaltete sich ein mit seiner Empörung über den schrägen Vergleich, womit wir en passant erfuhren, dass es sich bei „Kassel“ offenbar um eine auswärtige Angelegenheit handelt. Aber woher der Aufruhr? Seit Jahrzehnten hatten wir uns doch daran gewöhnt, dass jeder Wicht sein Anliegen durch NS-Vergleiche aufzublasen pflegt, und dass der „Nazi“-Vorwurf so allgegenwärtig lauert wie Adolf Hitler im Abendprogramm des deutschen Fernsehens. Die kindische Respektlosigkeit gegenüber echten NS-Widerständlern spielte dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Hemmungslosigkeit, Andersdenkende wahllos mit braunem Dreck zu bewerfen. 

Doch nun ist alles anders, denn uns droht das ganz große Chaos. Seitdem Leute, die wir bislang eher auf Friedensdemos, Kirchentagen, Ostermärschen oder linken Kundgebungen „gegen den Polizeistaat“ vermuten durften, neuerdings Seite an Seite mit Schwarz-Rot-Gold-Trägern auf die Straße gehen, gerät alles durcheinander. NS-Vergleiche und Geschwister-Scholl-Phantasien schießen kreuz und quer durch die Reihen, vor nichts wird mehr Halt gemacht. Jeder, selbst einer wie Heiko Mass, muss sich neuerdings darauf gefasst machen, dass seine eigene Anmaßung mit ebensolcher Wucht auf ihn selbst zurückschlägt. Grauenvoll!

Haben die Menschen denn vor gar nichts mehr Respekt? Doch, zu unserer Erleichterung steht im Mittelpunkt des Reiches ein Monument der Macht, dem niemand seine Anmaßungen vorzuhalten wagt. Sie ahnen, wen ich meine. So schreibt „Focus online“ vergangenen Dienstag, einen Tag vor der Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zum Fortgang der Corona-Restriktionen: „Was wird aus Weihnachten in Deutschland? Diese Frage wird den Corona-Gipfel am Mittwoch bestimmen. In der Adventszeit jedenfalls läuft das öffentliche Leben weiterhin auf Sparflamme – die Länder wollen es so. Auch über die Regelungen an Weihnachten und Silvester haben sich die Ministerpräsidenten verständigt. Es bleibt die Sorge, ob Merkel zufrieden sein wird.“

Die „Sorge“, ob „Merkel zufrieden sein wird“? Nein, nein, jetzt kein NS-Vergleich mit Führerstaat und so! Es erinnert auch vielmehr an einen versteinerten Fürstenhof, an dem die devoten Schranzen den Saum der Gekrönten küssen in steter Furcht, der Huld der Gottgleichen verlustig zu gehen. Bis die Erlösung kommt: Majestät sind „zufrieden“. Dem Himmel sei Dank! Die Stellung bei Hofe mit all den prallen Pfründen bleibt erhalten. Deutschlands Demokratie im Herbst 2020.