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04.12.20 / „Querdenken“ / Wie Politik und Medien die Proteste diffamieren / „Verschwörungstheoretiker“, „antisemitisches Betriebssystem“, „Extremisten“, „Chaoten“ – so lauten die Schlagworte im Kampf gegen die Bewegung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49 vom 04. Dezember 2020

„Querdenken“
Wie Politik und Medien die Proteste diffamieren
„Verschwörungstheoretiker“, „antisemitisches Betriebssystem“, „Extremisten“, „Chaoten“ – so lauten die Schlagworte im Kampf gegen die Bewegung
Erik Lommatzsch

Eines lassen die Reaktionen der Regierung und der meisten Medien auf die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen deutlich erkennen: Die Kundgebungen, deren organisatorischen Mittelpunkt die „Querdenken“-Bewegung bildet, treffen mit ihrem Anliegen ins Schwarze. 

Seitens der „Querdenker“ verlaufen die Veranstaltungen mit nicht selten erheblichen Teilnehmerzahlen im Allgemeinen gewaltfrei. Anlass zum Tadel sind Verstöße gegen die Maskenpflicht oder Abstandsregelungen. Dies ist all jenen, denen das Verlangen nach einer Änderung der eingeschlagenen Linie äußerst lästig ist, offenbar nicht genug, um den Teil der Bevölkerung, dessen sie sich nicht sicher sind, von der „Gefährlichkeit“ der „Querdenker“ zu überzeugen.

Verstöße gegen die AHA-Regeln

Daher wird behauptet, suggeriert, diffamiert. Randerscheinungen werden als typisch für die ganze Bewegung dargestellt. Anetta Kahane war in die Bundespressekonferenz geladen. Die langjährige Inoffizielle Mitarbeiterin des Staatssicherheitsdienstes der DDR und Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) verkündete, dass „die Radikalisierung dieser Proteste“ – gemeint waren die „Querdenker“ – „bemerkenswert“ sei. Für die – sich dem Beobachter vor Ort nirgends erschließende – Radikalisierung machte Kahane „die AfD“ mitverantwortlich. 

Damit bezog sie die ihr unliebsame Partei in alle Vorwürfe gegen die „Querdenker“ ein. Sich die Unterstellung zu eigen machend, bei diesen handle es sich um Verschwörungstheoretiker, fuhr sie fort: „Verschwörungsideologien gab es auch immer, aber jetzt in Corona-Zeiten hat das eine unglaubliche Konjunktur bekommen. Verschwörungsideologien haben immer, immer ein antisemitisches Betriebssystem.“ Die „Tagesschau“ sendete den Unsinn unkommentiert.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zeigte sich letzten Sonntag enttäuscht darüber, dass der Verfassungsschutz die „Querdenken“-Bewegung nicht beobachten wird. Der CSU-Politiker wies darauf hin, dass die Beobachtung aber „unverzüglich“ aufgenommen werde, sollten sich „in Zukunft tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen“ zeigen. Eine bare Selbstverständlichkeit, die zu jeder Zeit auf jede Gruppierung zutrifft, aber so war es Herrmann möglich, den – sogar von Amts wegen als falsch bestätigten – Extremismusvorwurf zu wiederholen.

Zu schade war sich der Minister auch nicht für die Behauptung, Demonstrationsteilnehmer „greifen den Staat und seine Verfassungsorgane sogar frontal an“. Ähnlich markig hatte sich zuvor sein Ministerpräsident und Parteifreund Markus Söder geäußert. Die „Querdenker“ entwickelten sich „sektenähnlich und isolieren normale Bürger in ihrer Verschwörungsblase“. Sie hätten „ein anderes Verständnis von Staat und Gesellschaft“. Söder nannte die „Querdenker“ in einem Atemzug mit „Rechtsextremen, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern mit antisemitischem Hintergrund“.

Die „Märkische Allgemeine“ formulierte, die „Querdenker“-Bewegung habe „den Schluss zur extremen Rechten längst vollzogen – der gemeinsame Klebstoff heißt Radikalität“. Verbindendes Ziel sei „der Sturz des demokratischen Systems“. Nachweise wurden nicht geboten, ebenso wenig wie beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), wo es hieß, dass „die organisierte rechtsextreme Szene fester Bestandteil“ der „Querdenken“-Bewegung sei. Zudem hätten sich dort viele „aus dem bürgerlichen Lager inzwischen selbst radikalisiert“. Der „Tagesspiegel“ schrieb, „Querdenken“ „spricht von Einschränkungen der Grundrechte“ – was ein Vorwurf an die Bewegung sein sollte.

Im Allgemeinen gewaltfrei

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken behauptete, zur Leipziger Demonstration vom 7. November „muss man ja wissen, dass rechtsradikale Hooligans auch übrigens aus ganz Europa angereist waren“. Regierungssprecher Steffen Seibert bezeichnete die Teilnehmer als „Ex­tremisten, Chaoten, gewaltbereite Menschen“. Der – nicht genehmigte – Protestzug hatte sich großflächig friedlich vollzogen. Ausschreitungen linksradikaler Gegner wurden in vielen Berichten mit der „Querdenken“-Veranstaltung vermengt. 

Am 21. November, ebenfalls in Leipzig, erfolgte „durch eine 15- bis 20-köpfige Gruppierung schwarz gekleideter und überwiegend vermummter Personen“ ein Angriff auf einen Demonstranten, der den „Querdenkern“ zugeordnet wurde – die allerdings an diesem Tag keine reguläre Veranstaltung abhielten. Der Polizei zufolge war es ein versuchter Totschlag. Politik und Presse schenkten dem Vorfall wenig Beachtung, schon gar nicht überregional. Skandalisiert wurde lieber die junge „Querdenken“-Rednerin in Hannover, die sich – durchaus fragwürdig – mit Sophie Scholl verglichen hatte.