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04.12.20 / Kolumne / Paradoxon

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49 vom 04. Dezember 2020

Kolumne
Paradoxon
Florian Stumfall

Aus dem umkämpften, fernen Afghanistan dringt eine wichtige Nachricht nach Deutschland. Die Bundeswehr verlässt ihr Quartier in Kundus und verlegt es nach Masar-e Scharif – beides Namen und Orte, die dem Bundesbürger durch 20 Jahre Kriegsberichterstattung durchaus geläufig sind. 

Was ist die Bilanz nach zwei Jahrzehnten Krieg, Elend und Tod, welche die NATO auch nach Mittelasien getragen hat? Die Antwort ist offensichtlich. Die NATO steht in Afghanistan vor demselben Scherbenhaufen wie einst die Sowjetunion. Die Taliban, damals ähnlich wie al-Kaida vom US-Geheimdienst CIA gegen die Sowjets aufgebaut und versorgt, beherrschen nach wie vor weite Teile des Landes. Die Zivilisten, allzu oft Opfer von Bomben und Raketen der westlichen Allianz, leiden und sterben Jahr für Jahr. Und die NATO ist weit davon entfernt, diesen Krieg ohne einen kolossalen Gesichts­verlust beenden zu können. Insbesondere den US-Truppen und ihren Befehlshabern sowie den Politikern im Hintergrund steckt die Erinnerung an das Vietnamdebakel noch zu sehr in den Knochen.

Wovon ebenfalls nur wenig gesprochen wird, ist die Berechtigung zu einem derartigen Krieg. Man beruft sich auf eine UN-Resolution 1368, von der man ein Selbstverteidigungsrecht ableitet. „Deutsch­lands Freiheit wird am Hindukusch verteidigt“, hieß vor Jahren die Devise, die schon damals nicht recht ernst genommen werden konnte.

Bundeswehrabzug aus Kundus

Doch – keine Sorge, es gibt noch andere Gründe für den Feldzug, die man ins Feld führt, und die hören sich sehr viel einnehmender an als eine trockene UN-Resolution, die obendrein erheblich zurechtgebogen werden muss, um ihren Zweck zu erfüllen. 

Es gehe, so wird unverdrossen und unaufhörlich versichert, darum, den Afghanen Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu bringen. Mit anderen Worten: Sie sollten die westliche Ordnung und Lebensart über­nehmen. Etwas anderes hatten die Sowjets im Jahre 1979 auch nicht im Sinn, nur dass es sich damals um die sozialistische Variante handelte.

Die Lage stellt sich daher so dar, dass die NATO-Mitglieder und die anderen Länder im Afghanistan-Einsatz, insgesamt 70 an der Zahl, und dabei im Besonderen Deutschland ausgerückt sind, um die zurück­gebliebenen, primitiven und kulturell armseligen Paschtunen, Tad­schiken und Hazara am Licht der europäischen Aufklärung teilhaben zu lassen. Das einzige Problem dabei ist, dass die nicht wollen. Daher also tut es not, Krieg gegen sie zu führen. Mit dieser Argu­mentation wird allen der Mund gestopft, die vielleicht annehmen könnten, der NATO ginge es etwa um Rohstoffe und strategische Positionen gegen Russland und China.

Ursprung und rechtfertigende Grundlage der westlichen Strategie ist die Behauptung, es gebe ein Weltethos, also eine sittliche Ordnung, die in allen Gesellschaften dieses Globus gelte. Und wer dagegen verstoße, müsse zur Räson gebracht werden. Hier fällt dann das Stichwort der Menschenrechte und der Hinweis ihrer Kodifizierung durch die UN. Verschwiegen wird, dass die islamischen Länder diese UN-Resolution nicht anerkannt haben, und das sind immerhin Länder mit insgesamt einer Milliarde Einwohnern. Deren Orientierung sind unbeirrbar der Koran und die Hadith des Propheten. Verschwiegen wird auch, dass die Bewohner wie Politiker der Länder, die von Entwicklungshilfe und anderen Zuwendungen leben, bereitwillig ein Lippenbekenntnis ablegen und, wenn der Inspektor nicht hinsieht, weiterhin machen, was ihre jeweilige Tradition vorgibt, respektive was sie wollen.

Der globalisierte Westen aber zeigt sich in seiner „Weltinnenpolitik“ außerstande, Perspektiven anderer historischer Genese als der eigenen auch nur zu erwägen. Was nicht westlichen Maßstäben entspricht, wird mit einem Hochmut ohnegleichen missachtet und beiseitege­wischt. Samuel Huntington schrieb in seinem epochalen Werk „Kampf der Kulturen“: „Die Nichtwestler betrachten als westlich, was der Westen als universal betrachtet. Was Westler als segensreiche globale Integration anpreisen, zum Beispiel die Ausbreitung welt­weiter Medien, brandmarken Nichtwestler als ruchlosen westlichen Imperialismus.“

Vor allem im Multikulti-seligen Deutschland kommt es dabei zu einer paradoxen Lage. Die Eine-Welt-Phantasten, egal ob Aktivisten auf der Straße oder Regierungsmitglieder, rühmen in Deutschland fremde kulturelle Einflüsse, die der eigenen Tradition zuwiderlaufen, als Bereicherung, bemühen sich aber, solche Eigenheiten, dort wo sie zuhause sind und hingehören, unter dem Hinweis auf das Weltethos auszumerzen. Wie man nicht nur in Afghanistan sieht, wenn es sein muss, auch mit Bomben und Granaten. So gab es vor Jahren eine Demarche der Berliner Regierung in Kabul, das afghanische Eherecht betreffend, das so, wie es dort konzipiert war, das europäische Miss­fallen erregen musste. Gleichzeitig finanziert die Bundesregierung türkische Vielweiberei in Deutschland. Wer’s verstehen kann, ver­stehe es. Aber leicht ist es nicht einzusehen, dass das, was der Westen an fremdem Kulturgut am jeweiligen Ort der Herkunft auszurotten sucht, in Deutschland einen Wegweiser zum besseren Menschsein darstellen soll. In den Sonntagsreden hört man von bunter Vielfalt, Toleranz und Regenbogen, wenn es hart auf hart kommt, dann gilt nur eine Regel: die eigene.

Kein Grund für einen Krieg

Natürlich stößt einen Europäer beispielsweise das Menschenbild des Islam ab, gemäß dem Frauen vor Gericht nur eine begrenzte Glaub­würdigkeit genießen, im Erbfall benachteiligt werden und insgesamt der körperlichen Züchtigung durch den Ehemann unterworfen sind. Das gibt aber niemandem das Recht, solche Länder mit Krieg zu überziehen. Vielmehr sollte das die europäischen Politiker an ihre Pflicht erinnern, hierzulande solche Verhältnisse zuverlässig zu verhindern.

Tatsächlich aber sorgt die NATO erfolgreich dafür, dass ihr Vorwand dafür, Länder auf der ganzen Welt mit Waffen zwangsweise kulturell zu beglücken, immer neue Nahrung erhält. Jede Bombe auf Afghanistan treibt den Taliban neue junge Männer zu, jeder französische oder deutsche Soldat in Algerien, Niger oder Mali verstärkt die Reihen islamischer Aufständischer, denen die westlichen Soldaten in ihrer Heimat nicht willkommen sind.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.