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04.12.20 / Der wahre Monte Christo / Der Schöpfer von „Die drei Musketiere“ starb vor 150 Jahren – Zum literarisch vorzüglichen Racheplan des Alexandre Dumas

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49 vom 04. Dezember 2020

Der wahre Monte Christo
Der Schöpfer von „Die drei Musketiere“ starb vor 150 Jahren – Zum literarisch vorzüglichen Racheplan des Alexandre Dumas
Harald Tews

Sobald Errol Flynn oder Johnny Depp die Degen ziehen, schwingt auch immer etwas Alexandre Dumas mit. Seine Romane beflügelten Hollywood geradezu dazu, ein neues (Piraten-)Fass aufzumachen. Das Genre der Mantel-und-Degen-Filme wäre ohne „Die drei Musketiere“ oder den „Grafen von Monte Christo“ kaum denkbar.

Schaut man sich zeitgenössische Porträts des vor 150 Jahren gestorbenen Autors an, kann man ihn sich als Degenheld kaum vorstellen. Dem Genussmenschen sah man es an, dass er eher ein Freund der französischen Küche denn des sportiven Zweikampfs war. So betrachtete er als sein Hauptwerk nicht seine Mantel-und-Degen-Abenteuer, sondern sein 1871 postum veröffentlichtes „Grand Dictionnaire“, ein Kochbuch mit 1300 Rezepten auf 1155 Seiten. Eine kleine Auswahl davon ist jüngst bei Matthes & Seitz erschienen.

Dumas’ Degen war die Schreibfeder, die er virtuos zu führen verstand und mit der er vergleichbar voluminöse Wälzer erzeugte, wie er an Körperfülle besaß. Laut dem Biographen Ralf Junkerjürgen wusste Dumas am Ende selbst nicht genau, ob er 300 oder 500 Bände publiziert hatte, von denen viele über 1000 Seiten dick sind. Seine dreiteilige „Musketier“-Reihe, von der allerdings nur der erste Teil über die königliche Eliteeinheit um Athos, Porthos, Aramis und d’Artagnan bis heute ein Kassenschlager geblieben ist, umfasst 4000 Seiten. Sein oftmals stark verkürzt veröffentlichter „Graf von Monte Christo“ bringt es im Original auf 1500 Seiten. Erst seit Kurzem sind beide Klassiker bei dtv vollständig nachzulesen.

Da die Romane zumeist als Feuilletonserie in Zeitungen erschienen waren, musste Dumas in der Regel täglich eine Folge abliefern. Je erfolgreicher die Geschichte beim Publikum ankam, desto mehr zögerte er das Ende hinaus. Das kann man als moderne Marketingstrategie bezeichnen, bei der sowohl der Autor als auch der Verlag auf ihre Kosten kamen. 

Das alles lief auf ein schier unermessliches Arbeitspensum hinaus. Kaum waren 1844 „Die drei Musketiere“ erschienen, startete ab August „Der Graf von Monte-Christo“. Gleichzeitig arbeitete Dumas parallel an mehreren weiteren Romanen, darunter mit „Zwanzig Jahre danach“ den zweiten Teil der „Musketiere“.

Es gibt diese Karikatur von 1871, bei der kleine Danaiden ein Tintenfass des am Schreibtisch arbeitenden Dumas unaufhörlich nachfüllen. Der Mann muss für seine Werke rekordverdächtig literweise Tinte „gesoffen“ haben. Dabei unterstützte ihn ein Heer von Assistenten. An seiner Fließbandproduktion war unter anderem der Autor Auguste Maquet beteiligt, der aber nie als Co-Autor erwähnt wird. Er lieferte, wie Junkerjürgen in seiner neuen, vorzüglichen Dumas-Biographie darstellt, „den rohen Block, den Dumas dann wie ein Bildhauer bearbeitete“. 

Als Maquet später vor Gericht die Nennung seiner Mitautorschaft einklagen wollte, ging er leer aus. „Dumas ohne Maquet wäre Dumas geblieben, aber was wäre Maquet ohne Dumas gewesen?“, soll das Gericht gefragt haben. 

Also blieb er „Der andere Dumas“. So heißt auch eine Filmbiographie über Maquet von 2010. Die Rolle des Dumas spielt – natürlich – Gérard Depardieu, der davor schon den Monte Christo verkörpert hat. Aufs „Blackfacing“, das Schwärzen des Gesichts, hat man verzichtet. Dabei war Dumas von dunkelhäutigem Aussehen. Sein Vater kam in Haiti als illegitimer Sohn eines französischen Marquis und einer schwarzen Sklavin zur Welt, brachte es aber in Frankreich bis zum General in der napoleonischen Revolutionsarmee. 

Für Dumas war sein Vater so etwas wie ein vorbildlicher Romanheld. Seine frühe Aufnahme in ein Dragonerregiment des Königs inspirierte den Sohn zu der Figur des d’Artagnan in den „Drei Musketieren“. Auch in den Grafen von Monte Christo flossen Züge des Vaters ein, der wie der Graf im Kerker saß, wo man ihn zu vergiften versuchte. Monte Christo kennt sich ebenfalls mit Gift gut aus.

Identifikation mit Monte Christo

Dumas, der 1802 nur ein Jahr nach der Entlassung des Vaters aus der Gefangenschaft geboren wurde, hat mit dem „Grafen von Monte Christo“ auch sein persönliches Rachegift ausgestreut. Wegen der spektakulären Flucht des 14 Jahre lang unschuldig eingekerkerten Grafen von der Gefängnisinsel Château d’If bei Marseille firmiert das Buch gemeinhin als Abenteuerroman. Doch es ist weit mehr als pure Unterhaltung, liefert der spätere Rachefeldzug des Grafen doch auch eine zeitkritische Analyse der Epoche von Napoleons Exil auf Elba bis zur Herrschaft des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe I.

Als dieser noch Herzog von Orléans war, arbeitete Dumas als Schreiber für ihn. Im Roman nimmt der Erzähler aber Partei für die Republikaner. Der restaurative Adel zieht gegen die Bonapartisten durchweg den Kürzeren. So ist einer der Sieger dieses Racheromans ein alter Girondist, der nach einem Schlaganfall nur noch mit Lidschattenbewegungen kommunizieren kann, womit Dumas erstmals in der Literatur das Locked-in-Syndrom beschrieben hat.

Ähnlich ausgeschlossen von der Welt musste sich Dumas wegen seiner Hautfarbe gefühlt haben. Der Graf von Monte Christo, der einen fast herzlosen Racheplan verfolgt, – das ist der von vielen verspottete Dumas selbst. Die Identifikation ging so weit, dass er ein eigenes Schloss, eine Jacht und eine Zeitschrift nach Monte Christo benannte. 

Der märchenhafte Reichtum des in Gold und Juwelen badenden Grafen blieb für Dumas indes nur Illusion. Er ging verschwenderisch mit Geld um, verschuldete sich, floh vor Gläubigern und starb am 5. Dezember 1870 nahe Dieppe bei seinem Sohn Alexandre Dumas dem Jüngeren, dem Erfolgsautor des von Verdi mit der Oper „La Traviata“ vertonten Romans „Die Kameliendame“. Vier Tage nach dem Tod des alten Dumas besetzten die Preußen Dieppe. Die Mäntel und Degen des Deutsch-Französischen Krieges schrieben da längst ganz andere Abenteuer.






Buch-Neuerscheinungen zum Jubiläum

Alexandre Dumas: „Die drei Musketiere“, ungekürzte Ausgabe, dtv, München 2020, Taschenbuch, 752 Seiten, 13,90 Euro

Ralf Junkerjürgen: „Alexandre Dumas. Der vierte Musketier“, wbg Theiss, Darmstadt 2020, gebunden, 272 Seiten, 28 Euro

Alexandre Dumas: „Kleines Wörterbuch der Kochkünste“, Mat­thes & Seitz, Berlin 2020, gebunden, 232 Seiten, 18 Euro