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04.12.20 / Nicht Vergessen / Nikolai, der rettende Engel in Zedlitzfelde 1945

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49 vom 04. Dezember 2020

Nicht Vergessen
Nikolai, der rettende Engel in Zedlitzfelde 1945

Von November des Jahres 1945 bis März 1946 lebten wir noch im Norden Stettins, genauer in Stettin-Zedlitzfelde. – Täglich zog damals eine etwa 20 Dorfbewohner zählende Gruppe gemeinsam mit den bei uns in der Messenthiner Straße stationierten Zivilrussen zur Demontage des Hydrierwerkes nach Pölitz, darunter ich als 12jähriger Junge. Dadurch verdiente ich einen wesentlichen Teil des täglichen Brotes für die Mutter und die neunjährige Schwester. Dass ein zum Ende des Monats Sept. 1945 verfasstes „Schweriner Abkommen“ auch das „Aus“ für unser Dorf bedeuten würde, konnten wir damals nicht wissen; gefangen in der Falle des Schneewinters saßen wir in dem kleinen Walddorf. 

In den Novembertagen 1945 wurden wir eines Abends gegen 21.00 Uhr jäh aus dem Schlaf gerissen,  und vor uns stand mit Karabiner und Pelzmütze der Russe Nikolai. Dringend verlangte er nach Wasser; auf der Jagd im Falkenwalder Forst hatte er sich verirrt und war auf unsere Häuser gestoßen. In seiner nächtlichen Irrwanderung versuchte er zurückzufinden zum Pölitzer „Magazin“. Wir gaben sehr genaue Auskunft, damit Nikolai zu seiner Einheit zurückkehren konnte. 

Die Überraschung kam am Samstag, als dieser russische Oberleutnant aus dem Raum Minsk uns wiederum aufsuchte und sich nach der netten Familie erkundigte, die ihm geholfen hatte, den Weg zurückzufinden.  Als meine Mutter unter Tränen die Not schilderte in der wir uns befanden: nur 1 Korb Kartoffeln für eine vierköpfige Familie ohne Vater, sagte Nikolai spontan in etwa dieses: „Andere Woche dritte Tag fahren Kartuschka, auch für Euch gibt es etwas davon!“ An einer etwa 400 Meter entfernten Stelle einer Weggabelung lagen dann um 6.00 Uhr in der Frühe 2 Sack Kartoffeln im Wald gut versteckt. Das war ein Geschenk des Himmels, Linderung in der Not. 

Und 14 Tage später schenkte uns Nikolai ein frisch geschossenes Reh, das wir mit Blaurocks, unseren Nachbarn, teilten und sofort in kleine Gläser einweckten. So    hatten wir in den schlimmsten Wintermonaten bis zum Februar immer eine Fleischmahlzeit in der Woche. Aber noch wichtiger war die Mitteilung von Nikolai: „Ruski dawai, Polski kommt, ihr müsst auch fort von hier. Aber geht nicht im Winter, es sind Menschen am Wegesrand vor Erschöpfung bereits erfroren“. Das war eine deutliche Warnung. War es Zufall oder Fügung, als in den Märztagen des Jahres 1946 Post von meinen Vater aus Bremen durchkam, der aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war. Die letzte entscheidende Hilfe – wohl für unsere Arbeit bei der Demontage in Pölitz – vollbrachte jener russische Oberst, der die Demontage leitete. 

Ende März 1946 brachte er Frauen und Kinder in einem Konvoi von sechs LKWs über die nördliche Tangente der Wegroute Pölitz – Falkenwalde – Stolzenburg      zur Bahnstation Löcknitz in der sowjetischen Besatzungszone nahe bei Stettin. Noch heute sehe ich den Beginn der Plünderung durch die polnische Miliz und dann nach Eingreifen des Oberst den hochgehenden Schlagbaum an der damaligen Demarkationslinie in Stolzenburg: Das war die letzte Rettung in damaliger Zeit!

Ich persönlich sehe in all diesen Erlebnissen die fügende Hand Gottes.

Kurt Bergunde, Bremen

Info Das Dorf Zedlitzfelde [Siedlice] war von einem Mischwald umgeben. Darin eingebettet lagen 57 Häuser, entlang der Messenthiner Straße. Die Einwohnerzahl bewegte sich um 340. Am 15. Oktober 1939 erfolgte die Eingemeindung nach Stettin. Heute gehört der Ort zur Landgemeinde Pölitz [Gmina Police].

https://zedlitzfelde.de