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11.12.20 / Pandemie-Maßnahmnen / Alarmsignal für den Rechtsstaat / Die Empörung über falsche NS-Vergleiche darf den Blick nicht verstellen: Ernst Fraenkels Warnungen erweisen sich auch im „Corona-Staat“ als beunruhigend aktuell

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50 vom 11. Dezember 2020

Pandemie-Maßnahmnen
Alarmsignal für den Rechtsstaat
Die Empörung über falsche NS-Vergleiche darf den Blick nicht verstellen: Ernst Fraenkels Warnungen erweisen sich auch im „Corona-Staat“ als beunruhigend aktuell
Wolfgang Kaufmann

Während der Demonstrationen gegen die Corona-Restriktionen kamen auch zwei junge Rednerinnen zu Wort. Die eine verglich sich mit der 1943 hingerichteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl, die andere mit dem jüdischen Mädchen Anne Frank, das zwei Jahre in einem Versteck in Amsterdam ausharrte und Anfang 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam. Anlass für die letztere Äußerung war eine „verbotene“ Geburtstagsfeier mit Freunden: „Wir mussten die ganze Zeit leise sein, weil wir sonst vielleicht von unseren Nachbarn verpetzt worden wären.“ 

Daraufhin erhob sich ein Sturm der Entrüstung ob dieser „perfiden Verharmlosung des Nationalsozialismus“. So twitterte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), welcher selbst gern die Nazi-Keule gegen den politischen Gegner schwingt, derartige Wortmeldungen stünden für „eine unerträgliche Geschichtsvergessenheit“. Zwar unterscheidet sich die heutige Lage von jener im NS-Staat in nahezu jeder Hinsicht. Dennoch sehen wir Ansätze von Entwicklungen, die den Anhänger des Rechtsstaats beunruhigen müssen. Bei der Betrachtung solcher Entwicklungen auch Erkenntnisse aus der NS-Erfahrung einfließen zu lassen, bedeutet keine Relativierung der abgrundtiefen Unterschiede, sondern eine Sensibilisierung für problematische Tendenzen. Genau um diese zu erkennen, wollen wir ja immerfort „aus der Geschichte lernen“.

Kaum merkliche Veränderungen

Anfang 1941 publizierte der in die USA emigrierte deutsch-jüdische Rechtsanwalt und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel ein Buch über das politische System des Dritten Reiches, in dem er NS-Deutschland als „Dual State“, also Doppelstaat, charakterisierte. Auf der einen Seite, so der Autor, existiere noch der althergebrachte Normenstaat. Für den hätten Gesetze, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte uneingeschränkte Gültigkeit – das mache den Normenstaat weitestgehend berechenbar und verhindere obrigkeitliche Willkür. 

Demgegenüber stehe aber der Maßnahmenstaat, der sich nicht an Rechtsnormen gebunden fühle und sein Handeln vorwiegend am Grundsatz der situativen politischen Zweckmäßigkeit ausrichte. Typische Hinweise auf die Existenz eines solchen Maßnahmenstaates seien Aktivitäten staatlicher Organe ohne ausreichende Rechtsgrundlage sowie Einschränkungen verfassungsmäßiger Grundrechte, welche nicht auf den vier Prinzipien Legitimität, Erforderlichkeit, Eignung und Angemessenheit beruhen. 

Betrachtet man nun die Entwicklung in der Bundesrepublik im Verlaufe des Jahres 2020, so drängt sich der Eindruck auf, dass im Schatten der Corona-Pandemie ebenfalls ein Maßnahmenstaat heranwächst, welcher dem Normenstaat Konkurrenz zu machen droht. Hinweise hierfür gibt es einige: Da wären zum Ersten die Kontaktverbote und anderen massiven Beschneidungen essentieller Grundrechte ohne ausreichende gesetzliche Grundlage. In einigen Punkten erfolgte die Ermächtigung seitens der Legislative zwar nachträglich, so beispielsweise durch die mittlerweile schon drei „Gesetze zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März, 19. Mai und 18. November. Trotzdem ist dies ein Zeichen dafür, dass die Rechtsordnung erodiert, weil die staatlichen Maßnahmen eben schon vor Erlass der Gesetze verhängt worden waren. 

Zum Zweiten widerspricht das zugunsten des Bundesgesundheitsministers eingeführte Sonderverordnungsrecht ebenfalls grundlegenden Prinzipien eines zeitgemäßen Normenstaates, der auf Gewaltenteilung und umfassender Einbeziehung des Parlaments beruht. Zum Dritten treffen Gremien wie das „Corona-Kabinett“ und die „Runde der Länderchefs“ permanent weitreichende Entscheidungen, ohne dass jemals auf verfassungsmäßig saubere Weise geregelt worden wäre, über welche Kompetenzen sie eigentlich verfügen. Und zum Vierten sind auch viele der 2020 neu erlassenen Rechtsnormen auffallend unbestimmt, wodurch eine willkürliche Auslegung durch die Exekutive nicht nur in der Theorie möglich ist, sondern auch bei vielerlei Gelegenheiten praktiziert wird – besonders gern natürlich zum Nachteil derer, welche darauf verweisen, dass die genannten vier Punkte auf eine Unterminierung der Grundfesten der Demokratie durch den Maßnahmenstaat hindeuten.

Allerdings wehren sich nicht wenige Protagonisten des Normenstaates momentan noch gegen das Erstarken des Maßnahmenstaates. Symptomatisch hierfür sind Gerichtsentscheidungen, in denen juristisch bedenkliche Verordnungen der Exekutive aufgehoben werden, etwa manche Demonstrationsverbote. Das freilich nehmen die Vertreter des Maßnahmenstaates nicht einfach hin und beanspruchen aggressiv die alleinige Kompetenz zur Auslegung der Normen. Oder sie ignorieren diese einfach, wie das Gebaren einer obersten Bundesbehörde, nämlich der Bundesbank, zeigt. Die kauft auch nach dem ausdrücklichen Verbot des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 munter weiter Staatsanleihen.

Die Medien tun ihr Übriges

Mittlerweile steht zu befürchten, dass sich der Maßnahmenstaat hierzulande auf ganzer Linie durchsetzen könnte und die Institutionen beziehungsweise Rechtsgrundlagen des Normenstaates in wesentlichen Bereichen zu einer Fassade verkümmern, die der Wahrung des Scheins dienen soll. Das ist insbesondere dann zu erwarten, wenn die Bequemlichkeit der Bürger und ihre Ängste dazu führen, dass sie sich mit der wachsenden staatlichen Willkür abfinden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die nahezu flächendeckende Beeinflussung durch die Medien, welche oftmals schon den Eindruck erwecken, zu direkten Vollzugsorganen des Maßnahmenstaates mutiert zu sein. Und natürlich kann der Maßnahmenstaat auch unmittelbaren Zwang ausüben, wenn sich genügend Vertreter der Exekutive hierfür hergeben.  

Für die Letzteren gilt daher in ganz besonderem Maße, was Fraenkel 1941 auch jedem anderen Deutschen mit auf den Weg gegeben hat: „Der Doppelstaat ist die notwendige politische Erscheinungsform einer an Spannungen reichen Zwischenperiode. Wie sich die Spannungen lösen werden, hängt letztlich von uns selbst ab.“ Der Sieg des Maßnahmenstaates, wie ihn Deutschland bereits anderthalb Mal erlebte, nämlich nach 1933 im gesamten Reich und nach 1945 nochmals in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise DDR, wäre auf jeden Fall eine Katastrophe epochalen Ausmaßes.