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18.12.20 / „Querdenker“ / Ausgrenzung wird zum Eigentor / Beobachtung durch den Geheimdienst verprellt auch viele Anhänger von Grünen und Linkspartei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

„Querdenker“
Ausgrenzung wird zum Eigentor
Beobachtung durch den Geheimdienst verprellt auch viele Anhänger von Grünen und Linkspartei
Norman Hanert

Mehrere deutsche Innenminister, darunter auch der Berliner Innensenator Andreas Geisel, schließen eine künftige Beobachtung der „Querdenken“-Bewegung durch den Verfassungsschutz nicht mehr aus. „Spätestens seit dem Sommer ist klar, dass auf den Bühnen Leute standen, die sagten, sie erkennen das Grundgesetz nicht an, sie wollen eine neue Verfassung“, so SPD-Politiker Geisel. Das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg ist bereits einen Schritt weiter. Hier erklärten Innenminister Thomas Strobl (CDU) und die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, Beate Bube, „Querdenken 711“ werde ab sofort beobachtet. Zur Begründung sagte Strobl, es lägen „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung“ vor.

Politisch birgt diese Entwicklung durchaus Risiken für die Demokratie in Deutschland: Wie schon im Fall der AfD besteht die Gefahr, dass durch den Einsatz des Geheimdienstes keine politische Auseinandersetzung erfolgt, sondern regierungskritische Meinungen stigmatisiert und aus dem demokratischen Diskurs ausgegrenzt werden. 

21 Prozent haben Grüne gewählt

Speziell den in Baden-Württemberg und Berlin mitregierenden Grünen droht in der Auseinandersetzung mit den „Querdenkern“ aber auch noch ein parteipolitisches Eigentor: Die Bewegung ist eine Mischung von Menschen aller Altersgruppen und aus allen politischen Lagern. Auf den Demonstrationen sind neben den Regenbogenfahnen regelmäßig auch Symbole der Friedensbewegung und der Reichsbürgerszene zu sehen. Forscher der Universität Basel haben sich die Zusammensetzung der „Querdenker“ inzwischen genauer angesehen. 

Die Forscher um den Soziologen Oliver Nachtwey fanden in einer nicht-repräsentativen Studie heraus, dass bei der jüngsten Bundestagswahl 21 Prozent der „Querdenker“ die Grünen und 17 Prozent die Linkspartei gewählt hatten. Unter allen Wählern hatten 2017 für die Grünen dagegen nur 8,9 und für die Linkspartei 9,2 Prozent gestimmt. Für die AfD ermittelten die Soziologen bei den „Querdenkern“ einen Wert von 14 Prozent, was kaum über dem Gesamtwert von 12,6 Prozent bei den Wahlen vor gut drei Jahren liegt. Allerdings gaben nunmehr 30 Prozent der Befragten an, bei der nächsten Wahl der AfD ihre Stimme geben zu wollen. 

Studienleiter Nachtwey bewertet die Ergebnisse insgesamt als Zeichen für eine Bewegung, die politisch mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht. Die Baseler Forscher vermuten zudem für die kommenden Monate die Entwicklung einer wortstarken impfkritischen Bewegung über die Reihen der „Querdenker „hinaus. Eine solche Entwicklung kann insbesondere die Grünen in Bedrängnis bringen. Gerade unter den Anhängern der sogenannten Öko-Partei befinden sich viele Befürworter alternativer Heilmethoden und Impfskeptiker.

Als gemeinsamen Nenner der Querdenker sehen die Wissenschaftler ein Gefühl der Entfremdung von den etablierten politischen Institutionen, den alten Volksparteien und von den Leitmedien. Diese Entfremdung könnte nicht nur durch den angedrohten Einsatz des Inlandsgeheimdienstes weiter befeuert werden. Schon der Polizeieinsatz bei der Corona-Demonstration am 18. November im Berliner Regierungsviertel kann in diese Richtung gewirkt haben. Der Protestzug gegen die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes war von der Berliner Polizei wegen Verstößen gegen Corona-Auflagen für beendet erklärt worden. Zur Auflösung hatte die Polizei fünf Wasserwerfer eingesetzt, mit denen die Menschen bei Temperaturen im einstelligen Bereich von oben beregnet wurden. 

Zweifel auch bei der Polizei

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller rechtfertigte das Vorgehen: „Es sollte ungemütlich auf dem Platz werden, und das ist es auch geworden“, so der SPD-Politiker. Tatsächlich ist beim Einsatz an dem kühlen Novembertag auch die Kleidung von Kindern und Senioren durchnässt worden. Augenzeugen berichteten anschließend von Demo-Teilnehmern, die aus entfernten Gebieten Deutschlands angereist waren und nach dem Wasserwerfereinsatz mit durchnässter Kleidung durch die Hauptstadt irrten.

Auch im Vergleich zur sonst üblichen Berliner Deeskalationsstrategie erscheint der Einsatz gegen die „Querdenker“-Demo ungewöhnlich hart. Die Bundespolizei hatte in der Hauptstadt zum letzten Mal 2013 auf Wasserwerfer zurückgegriffen. Berliner Einsatzkräfte sind sogar vor zwölf Jahren zum letzten Mal gegen Demonstranten mit Wasserwerfern vorgegangen. 

Laut einem Bericht des „Tagesspiegel“ sind auch Fachleuten der Polizei nach dem Einsatz intern Zweifel gekommen, ob das Vorgehen angemessen war. Bei dem Einsatz der Wasserwerfer ging es nicht um die Unterbindung von Straftaten. Die Nichtbeachtung von Corona-Auflagen, etwa einer Maskenpflicht, ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Wie es in dem Bericht weiter heißt, grassieren polizeiintern Befürchtungen, dass das Vorgehen im November gravierende Folgen bis hin zu einer weiteren Radikalisierung der Demonstrationsteilnehmer zeitigen könne.