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18.12.20 / Kolumne / Der Plan der Kommissarin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

Kolumne
Der Plan der Kommissarin
Florian Stumfall

In der obersten Kommandostelle Europas, der EU-Kommission, gibt es eine „Kommissarin für Werte und Transparenz“, die Tschechin Vera Jourová, zudem eine Vizepräsidentin des Gremiums. Diese Spitzenfunktionärin hat zu Beginn des Dezembers einen „Europäischen Aktionsplan für Demokratie“ vorgelegt, dessen Titel zu höchstem Misstrauen Anlass gibt. Zumindest fragt man sich staunend, wozu denn in Europa die Demokratie einen Aktionsplan brauche. Es wird doch die EU seit Jahrzehnten als Hort von Freiheit und Selbstbestimmung angepriesen, in dem Menschenrechte und gutes Regieren so mustergültig verankert seien, dass man von dort aus jeden mit Sanktionen überziehen dürfe, der sich abweichend verhalte. Wozu also ein Plan, eine Aktion im Sinne der Demokratie ins Werk zu setzen? 

Beim zweiten Blick aber wird die Sache schon einsichtiger. Es gibt ja in der Kommission ein Mitglied, das zuständig ist für den Wettbewerb. Seine Tätigkeit besteht – unabhängig vom jeweiligen Amtsinhaber – darin, alles einzuebnen und gleichzuschalten, was in den Bedingungen des Wirtschaftens innerhalb der EU Eigenheit und Besonderheit zeigt. Doch der Wettbewerb besteht ja eben in den unterschiedlichen, einmal besseren, anderswo ungünstigeren Bedingungen, wonach der Markt sich ausrichten kann.

Wenn sich also zumindest propagandistisch die EU den Orwell’schen Zuständen schon so weit angenähert hat, dass unter einer Parole das Gegenteil von dem verstanden werden muss, was gemeint ist, dann bekommt auch der Aktionsplan für Demokratie seinen Sinn. Jourová erläuterte den Inhalt in groben Zügen. Dieser besteht aus drei „Hauptlinien“: der Förderung der Organisation freier Wahlen – na endlich, möchte man sagen, so etwas hat uns schon immer gefehlt! Zum zweiten die Stärkung der Medienfreiheit und schließlich die Bekämpfung von Desinformation.

Lassen wir die freien Wahlen einmal beiseite. Dann aber sticht ins Auge, dass Medienfreiheit und Desinformation in einem etwas unglücklichen Verhältnis zueinander stehen. Zuerst erhebt sich die Frage, wer es denn sei, der einer Nachricht den Charakter der Desinformation zuspricht. Nach Lage der Dinge kann es nur die Kommission insgesamt oder aber die Hüterin von „Werten und Transparenz“ oder schließlich ein von dieser ermächtigter und beauftragter Bürokrat sein, nicht aber die Wirklichkeit.

Da aber die Nachricht des einen die Desinformation des anderen ist und nur die Wahrheit, die irgendwann unabweislich wird, zwischen beiden unterscheiden kann und nicht ein EU-Funktionär, wenn auch in höchstem Auftrag, werden sich die Medienfreiheit und das Bemühen zu bekämpfen, was vermeintlich Desinformation ist, stets einen Zwist liefern. Zu wessen Gunsten und zu wessen Schaden aber dieser Zwist endet, mögen die Beispiele zeigen, wie heute schon – ohne jenen segensreichen Aktionsplan – die Medienfreiheit abschneidet, wenn sie mit den Absichten der Macht kollidiert.

Doch eine solche Kollision ist vermeidbar, wie man an mehr als 90 Prozent der gedruckten wie elektronischen Medien in Deutschland erkennt. Da gibt es eine lange Reihe von Themen, über welche die Debatten abgeschlossen scheinen, und die deshalb einheitlich behandelt werden können. Dazu gehören: das Klima, die Genderpolitik, das Willkommen für den Islam, Corona, Russland und vor allem Wladimir Putin, die Zuwanderung in ihrem bereichernden Charakter, die Sinnhaftigkeit von Entwicklungshilfe und, ergänzend, die Kriegseinsätze der Bundeswehr außerhalb der NATO, um nur ein paar zentrale Bereiche zu nennen. Wenn nun die EU-Kommissarin eine Stärkung der Medienfreiheit fordert, so ist diese in dem Sinne zu verstehen, in welchem sie Kanzlerin Angela Merkel bereits vorweggenommen hat. Sie verteilt an die deutschen Zeitungsverlage aus irgendeiner Westentasche 220 Millionen Euro, selbstverständlich nur an diejenigen, die im Gleichschritt marschieren. Wer aus der Reihe tanzt, geht leer aus und muss sich noch dafür bedanken, wenn es dabei bleibt. Das ist genau, was im Papier der Kommissarin als finanzielle Unterstützung des „Medienpluralismus“ verstanden wird. 

Denn eigenständiges Denken kann sehr schnell zu Sanktionen führen. Um dies an einem Bereich zu exemplifizieren, der als die reinste Gestaltung der Denk- und Redefreiheit gegolten hat, der Wissenschaft: Wie eine deutsche Sonntagszeitung berichtet, haben sich Universitätsprofessoren zusammengetan, um eine Organisation zum Schutz von Wissenschaftlern zu gründen, die wegen ihrer Lehre Repressionen ausgesetzt sind. Die Ethnologin Susanne Schröter von der Universität Frankfurt am Main beklagt, abweichende Meinungen würden als Bedrohung wahrgenommen, nicht als Bereicherung. „Das Risiko veranlasst Wissenschaftler zur Selbstzensur und zum Rückzug aus öffentlichen Debatten.“

 Kommen wir zurück auf die „Förderung der Organisation freier und fairer Wahlen“. Nachdem bei der Betrachtung der Meinungsfreiheit und ihrem Verhältnis zur Wahrheit offenbar wurde, dass die Politik die Wahrheit vom Ergebnis her beurteilt und nicht nach den objektiven Gegebenheiten, ist es erlaubt, diese Methode auch beim Komplex „freie Wahlen“ anzuwenden. Denn auch hier ist Kanzlerin Merkel mutig vorangeschritten und hat ein unübersehbares Zeichen gesetzt. 

Als am 5. Februar dieses Jahres der unbescholtene FDP-Politiker Theodor Karl Leonard Kemmerich im Erfurter Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden war, brach eine Regierungskrise aus. Dabei konnte niemand bestreiten, dass die Wahl frei und fair gewesen war. Das Problem lag darin, dass die Stimmen der AfD, entgegen der Verfassung, als minderwertig oder gar als nicht zu werten betrachtet und behandelt wurden. Merkel löste das Problem, indem sie die Wahl faktisch für ungültig erklärte und eine Wiederholung forderte. Das ist die neue Methode, bei Wahlen wie der Medienfreiheit: Beides wird vom Ergebnis her beurteilt, und was nicht passt, wird gleich gemacht.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.