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18.12.20 / Leopold von Ranke / Historismus statt Geschichtspolitik / Der vor 225 Jahren geborene Historiker wollte nicht richten, theoretisieren oder agitieren, sondern objektiv darstellen, „wie es eigentlich gewesen“ ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

Leopold von Ranke
Historismus statt Geschichtspolitik
Der vor 225 Jahren geborene Historiker wollte nicht richten, theoretisieren oder agitieren, sondern objektiv darstellen, „wie es eigentlich gewesen“ ist
Erik Lommatzsch

Jeder, der sich einmal mit dem Historiker Leopold von Ranke befasst hat, wird mit ihm stets zwei Dinge in Verbindung bringen. Nach Ranke ist „jede Epoche unmittelbar zu Gott“, und die historische Forschung habe zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen“ ist.

Ranke war ein Geschichtsschreiber von immenser Produktivität, seine methodischen Ansprüche wurden richtungsweisend. Er gilt als die Personifikation des Historismus schlechthin. Geschichtlichkeit des Menschen und individualisierende Betrachtung in der jeweiligen Epoche sind hier maßgeblich, nicht theoretische Erklärungsversuche und Verallgemeinerungen. Sein Ideal war die objektive Darstellung. Zum Ausdruck brachte er dies einmal mit der Formulierung: „Ich wünschte mein Selbst gleichsam auszulöschen, und nur die Dinge reden, die mächtigen Kräfte erscheinen zu lassen.“

Stilbildend für die Historiographie

Ranke verwahrte sich gegen die Auffassung, Historie habe „das Amt, die Vergangenheit zu richten“. Die Vorstellung, die Geschichte folge einem gesetzlichen Ablauf, bezeichnete Ranke als „trostlose“ Annahme. Eine „Absage an jede Art des Fortschrittsdenkens“ habe er erteilt, so der Historiker Hans-Christof Kraus.

Mittels Ernennung durch König Friedrich Wilhelm IV. wurde Ranke 1841 „Historiograph des preußischen Staates“. Ein gebürtiger Preuße war er jedoch nicht. Als er am 21. Dezember 1795 in Wiehe zur Welt kam, gehörte der Ort zum Kurfürstentum Sachsen. Auch ein „von“ führte er noch nicht im Namen, die Erhebung in den Adelsstand sollte erst 1865 erfolgen, aufgrund seiner Verdienste. Unter den Vorfahren findet man eine Reihe von Pastoren, sein Vater verwaltete als Jurist die Patrimonialgerichte der Grafen von Werthern. 

Nach dem Besuch der Fürstenschule in Pforta studierte Ranke in Leipzig. Neben der Theologie wandte er sich verstärkt der klassischen Philologie zu. Nach einer Disputation über den griechischen Geschichtsschreiber Thukydides wurde er 1817 promoviert. Er unternahm eine umfangreiche Wanderung durch das „romantische“ Deutschland, die ihn auch nach Heidelberg führte. Im Folgejahr wurde er Oberlehrer in Frankfurt an der Oder.

Nachhaltigen Eindruck hinterließ sein 1824 veröffentlichtes Werk „Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535“. Besonderes Interesse erweckte der Anhang mit dem Titel: „Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber“. Die Quellenkritik, die Ranke aus Barthold Georg Niebuhrs „Römischer Geschichte“ bekannt war, hatte er erstmals auf die Neuzeit angewandt. 

Als außerordentlicher Professor wechselte er 1825 an die Berliner Universität. Zwischen 1827 und 1831 weilte er in Wien und in Italien. Dadurch hatte er Gelegenheit, umfangreiches Quellenmaterial zusammenzutragen, das die Grundlage für viele seiner weiteren Werke bilden sollte. Hierbei sind die venezianischen Relationen, die Gesandtenberichte, besonders hervorzuheben. Von 1832 bis 1836 verantwortete Ranke die Herausgabe der gemäßigt-konservativen „Historisch-politischen Zeitschrift“. Mit dem preußischen Staat identifizierte er sich. Der Grundsatz „Evolution statt Revolution“ habe ihm immer als Orientierung gedient, so der Historiker Kraus. 

Noch kein politischer Missbrauch

Ab 1834 war Ranke ordentlicher Professor der Geschichte. Berlin blieb er treu, trotz anderweitiger Angebote. Als endgültiger Durchbruch gilt sein 1836 abgeschlossenes, dreibändiges Werk „Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert“, das sich 1841 sogar auf dem Index der für Katholiken verbotenen Bücher fand. 

Weitere Archivreisen führten den Gelehrten nach London und Paris. In dichter Folge erschienen seine in der Regel vielbändigen Werke, etwa „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“, „Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert“ oder „Englische Geschichte, vornehmlich im 17. Jahrhundert“. Die preußische Geschichte bildete schon qua Amt als „Historiograph des preußischen Staates“ einen Schwerpunkt seiner Publikationstätigkeit. 

Auch wissenschaftsorganisatorisch trat Ranke hervor. Auf seine Veranlassung hin gründete der bayerische König Maximilian II. die noch heute existierende Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Ranke wurde ihr Präsident und trieb hier unter anderem Quelleneditionen zur deutschen Geschichte voran. 

1871 wurde er emeritiert. Seine Sehkraft ließ stark nach. Gearbeitet hat er, diktierend, weiter unermüdlich. Am 23. Mai 1886 ist er im 91. Lebensjahr gestorben. Sein letztes Werk, seine „Weltgeschichte“, konnte er nicht mehr vollenden. Immerhin liegen neun Bände vor. 

Rankes historisches Interesse war stark religiös fundiert. Der Historiker Ulrich Muhlack sagt über ihn: „Statt sich auf den transzendenten Gott einzustellen, hielt er sich an die Immanenz Gottes in der Wirklichkeit, so daß ihm deren empirische Erforschung geradezu als priesterliches Amt erschien.“ Ranke selbst drückte seine Sicht etwas bescheidener aus, an seinen Sohn schrieb er 1873: „Über allem schwebt die göttliche Ordnung der Dinge, welche zwar nicht geradezu nachzuweisen, aber doch zu ahnen ist.“

Die Arbeit mit den Quellen, die Zugrundelegung der Originale statt der ungeprüften Weitergabe der Darstellungen der Geschichtsschreiber und das Erklären des Vergangenen für das Verständnis der Gegenwart waren ihm ein Anliegen. Ranke war ebenso bestrebt, mit seinen eigenen Werken hohen literarisch-künstlerischen Maßstäben gerecht zu werden. Er wollte beweisen, dass historisch Überliefertes „schöner und jedenfalls interessanter sei, als die romantische Fiction“.

Ranke übte einen nicht zu überschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der historischen Forschung aus, bei Weitem nicht nur in Deutschland. Seiner Orientierung an Staaten und Persönlichkeiten wurden später Bereiche wie Wirtschafts- und Sozialgeschichte entgegengesetzt, womit neue Perspektiven erschlossen werden konnten. Wie weit entfernt allerdings die derzeitige deutsche Geschichtsforschung von Rankes Grundsätzen ist, zeigt exemplarisch die auf dem Historikertag 2018 verabschiedete Resolution „zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“, die Wissenschaftler dazu auffordert, sich mit missionarischem Eifer propagandistisch in den Dienst der Politik zu stellen.