25.04.2024

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18.12.20 / Heiligabend in Königsberg 1828 / Stadtmusikanten kündigten den baldigen Weihnachtsabend an – Die rechte Weihnachtsfreude kannten nur die Unbemittelten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

Heiligabend in Königsberg 1828
Stadtmusikanten kündigten den baldigen Weihnachtsabend an – Die rechte Weihnachtsfreude kannten nur die Unbemittelten

In Königsberg ist es Sitte, die Festtage einzuläuten wie allerwegen, aber es existiert in der Stadt noch ein Legat von einem alten Fräulein, nach welchem die Stadtmusikanten am Mittage das Lied: „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“ und abends um neun Uhr „Nun ruhen alle Wälder“ vom Turm der Schlosskirche in die Stadt hinunterblasen. Die Kinder nennen das: „Die Jungfer bläst vom Turm!“ 

Dieselben Stadtmusikanten ziehen dann, ebenfalls nach einer Verordnung aus uralter Zeit, sobald es am Weihnachtsabende zu dunkeln beginnt – und das geschieht in unserer nordischen Heimat um diese Zeit des Jahres schon gegen vier 

Uhr –, durch alle Straßen der Stadt, und still durch das nächtliche Dunkel erklingt von ihren Blasinstrumenten die schöne Melodie: „Ein Kindlein uns geboren ist!“ Schon von weit her vernimmt man den nahenden, wachsenden, anschwellenden Ton des Liedes. Ohne dass man die Musikanten gewahrt, klingt die Melodie zu uns heran, der ganze Zauber der Weihnachtspoesie verkörpert sich in diesen Tönen, und niemand, der seine Kindheit und Jugend in unserer Heimat verlebt hat, wird dieser nächtlichen Weihnachtsmusik ohne Rührung gedenken. 

Wir Geschwister hatten die Gewohnheit, uns am Heiligen Abende, wenn es dunkelte, in meiner Stube zu versammeln und dort zu warten, bis die Eltern den Aufbau beendet hatten und wir zur Bescherung gerufen wurden. Auch diesmal saßen wir in dem kleinen Stübchen, im Dämmerlicht, im Dunkeln beieinander, während das Streiflicht der Laterne, die vor unserm Hause nach der andern Ecke der Straße hinüberging, gerade genug Helle zu uns hineinwarf, das ganze Häuflein der Geschwister übersehen zu lassen. Da hörten wir endlich wieder die alte, liebe Melodie, und mit ihrem Klange kam eine tiefe Wehmut über mich, ich sah die Brüder, meine elfjährige Schwester, die vier kleinen Mädchen und dachte: Wie viel Male werde ich den Abend noch mit Euch verleben? Ich dachte, dass ich sie verlassen, sie nicht heranwachsen sehen würde, und weil ich mir vorstellte, dass ich vielleicht bald nicht mehr ein Kind dieses Hauses sein würde, fühlte ich, wie sehr ich ihm zu eigen war. 

Warten auf die Bescherung

Die Klingel, welche uns in das Wohnzimmer rief, brachte uns in Bewegung. Wir älteren Geschwister nahmen die kleinsten an die Hand und auf den Arm, um sie schnell die Treppe nach der Wohnstube hinunterzubringen, und vor dem bescheidenen Glanze unseres Weihnachtsbaumes, der uns aber strahlend dünkte, vor dem Jubel der Kinder, vor der Befriedigung der guten Eltern über unsere Freude gewann jenes Gefühl innerlichster Wehmut neue Kraft, so sehr ich bemüht war, es in mich zu verschließen. Es war nicht Sitte im Hause, von Gefühlen zu sprechen oder sich ihnen leicht in sichtbarer Weise zu überlassen, und mich dünkt, das hat, wenn es nicht übertrieben wird, sein Gutes. Es macht den Menschen innerlich und verhindert das Aufkommen der Phrase, hinter der die Oberflächlichkeit und Leerheit sich so pomphaft und so bequem verbergen. 

Die rechte Weihnachtsfreude kennen aber nur die Unbemittelten, die es wissen, mit welcher Liebe und mit welcher Sorge die Gaben zusammengebracht sind, an denen man sich erfreut. Wir, die wir wuss-ten, wie oft der Vater sich in Geldverlegenheit befand, weil sein Geschäftsbetrieb mehr Mittel erforderte, als ihm zu Gebote standen, wir wussten auch, wie oft und reichlich die geringste Kleinigkeit von unserer Mutter erwogen, wie allmählich die einzelnen Gegenstände zusammengebracht werden mussten, die uns unter dem Lichte des Weihnachtsbaumes entzückten. Noch spät am Abend sahen wir dann den Vater, wenn das Comptoir geschlossen wurde, mit dem Hausknecht fortgehen, um die Äpfel und Nüsse und das Backwerk zu holen und irgendwelche Teller oder Gläser oder sonst notwendig gewordenen Hausrat zur Überraschung für die Mutter einzukaufen, und wenn dann alles besorgt war, wenn die Haushaltsgehilfen ihre Dukaten und Friedrichs d’or, die Dienstboten ihre Geschenke erhalten hatten, wenn wir dann beisammen waren, die Eltern und die acht Kinder, und die freundlichen Augen der Mutter, die hellstrahlenden Blicke des Vaters über uns leuchteten, wenn man es ihm ansah, wie alle Sorge ihm gering erschien, wenn er seine „acht gesunden Kinder“ um sich und die Mutter neben sich hatte, dann küssten wir seine lieben Hände und die Hände der Mutter mit jener inbrünstigen Liebe, in die der Dank für ein neues uns geweihtes und geschenktes Jahr voll Arbeit und voll Sorge eine besondere Weihe legte. 

Aus: Fanny Lewald, „Meine Lebensgeschichte“, Band 1: „Im Vaterhause“, Ulrike Helmer Verlag, Frankfurt am Main 1988