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18.12.20 / Weihnachtsmusik / Als die „Stille Nacht“ zum Welthit wurde / Exporte aus dem Zillertal – Erst verkauften die Tiroler Steinöl, dann ein Weihnachtslied höchst erfolgreich über die Grenzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

Weihnachtsmusik
Als die „Stille Nacht“ zum Welthit wurde
Exporte aus dem Zillertal – Erst verkauften die Tiroler Steinöl, dann ein Weihnachtslied höchst erfolgreich über die Grenzen
Helga Schnehagen

Bereits im Mittelalter wurde das Tiroler Steinöl durch Ölträger und Arzneihausierer in Tirol und Bayern verbreitet. Als Pflegeprodukt für Haut und Haar oder als Naturheilmittel bei Gelenkschmerzen, Durchblutungsstörungen und Problemen mit dem Bewegungsapparat wird es immer noch gern genutzt.

Wo vor Corona der Tourismus blühte, waren die Menschen lange bitterarm. Der karge Ertrag der Landwirtschaft und der Niedergang des Bergbaus, die wachsende Bevölkerung, Besitzzersplitterung im 

Realteilungsgebiet, Inflation und Konjunkturflauten zwangen viele Tiroler von rund 1600 bis 1900 mit der Kraxe auf dem Rücken als Wanderhändler über Land zu ziehen. Um 1750 sollen allein aus dem Zillertal 400 Ölträger unterwegs gewesen sein, 1810 waren es insgesamt etwa 470 Hausierer, davon 50 Handschuhhändler. Noch 1882 waren in Tirol fast 6500 Männer, Frauen, Jugendliche und auch Kinder im Wanderhandel tätig. 

Dazu beigetragen hatten nicht zuletzt politische Umbrüche und 1809 schließlich der Freiheitskampf des Andreas Hofer und die Schlacht am Bergisel. Viele Dörfer wurden zerstört. Auch Naturkatastrophen blieben nicht aus. 1816 ging als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein. Der Vulkanausbruch des Tambora in Indonesien im April 1815 legte eine Aschewolke über weite Teile Europas, die das Durchdringen von Sonnenlicht behinderten – die Folge waren extreme Wetterbedingungen und Hungerperioden. 

Neben Steinöl gab es kaum einen Artikel, sofern er handlich, tragbar und nicht zu schwer war, mit dem Tiroler nicht hausiert hätten. Dabei schreckte man vor Übertreibungen nicht zurück. Auf einem langen Werbezettel pries ein Zillertaler Ölträger einst das Steinöl als Allheilmittel an, das sowohl Herz, Blutgefäße, Lunge und Leber stärke und reinige als auch bei Husten und Keuchen, Schwarz- und Gelbsucht, Schlaganfall und Fieber helfe genauso wie bei Geschwüren, Würmern oder Ohnmacht. Auch würde der „edle und gerechte Chymische Lebens-Balsam“ jeder Krankheit vorbeugen.

Selbst die „wunderbarste“ Ware musste an den Mann gebracht werden. Die Händler entdeckten, dass nicht nur ihre Tracht, sondern auch der Gesang von Volksliedern, die sie gerne mit Jodlern aufpeppten, oder auch der ein oder andere Plattler sich verkaufsfördernd auswirkten. Als schließlich die Volksmusik mehr Publikum anzog als die Volksmedizin, feine Handschuhe und Teppiche, zogen talentierte Sänger in die Gastwirtschaften, um dort für Geld zu singen: Das war die Geburtsstunde der Zillertaler Natur- oder Nationalsänger. 

Zu den frühesten namentlich bekannten Sängerfamilien, die als Familienchor quer durch Europa und später auch Amerika reisten, gehörten die Geschwister Rainer, Leo und Strasser aus dem Zillertal. Als erste brachen Maria, Franz, Felix und Joseph Rainer aus Fügen 1824 zu einer eigenen „Kunstreise“ auf. Später gesellte sich auch Bruder Anton hinzu. Im Badener Theater betraten sie erstmals eine Bühne. Daraufhin empfahl der Großherzog sie dem Kronprinzen von Preußen, der sie nach Berlin einlud, wo sie zwei Jahre später, 1826, im Königstättner Theater auftraten. Und so ging es immer munter weiter. 1827 wagten die Geschwister den Sprung über den Kanal und fanden in dem deutschstämmigen König Georg IV. von England einen begeisterten Anhänger und Gönner, der sie zu „Royal Singers“ ernannte. 

Der Export des Tiroler Volksguts bescherte den Rainers neben Ansehen auch ein Vermögen. Andere folgten ihrem Beispiel. Als die Geschwister Joseph, Amalia, Anna und Caroline Strasser aus Laimach, einem kleinen Dorf bei Hippach, sieben Jahre später, 1831, auf dem Weihnachtsmarkt in Leipzig ihren Marktstand aufstellten und zu singen begannen, war der Erfolg so groß, dass sie am Abend noch vor die Pleißenburg zogen und zur Krönung des Tages dort das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ erklingen ließen. Der König von Sachsen hörte davon und ließ die Strassers dem Hof das Lied noch einmal vorsingen. 

Es war sicher nicht das erste Mal, dass Tiroler fern der Heimat das 1818 in Oberndorf bei Salzburg uraufgeführte und 1819 nach Fügen gelangte Weihnachtslied darboten. Doch schwarz auf weiß belegt das erstmals eine Zeitungsnotiz im „Leipziger Tageblatt“. Denn schon ein Jahr später, am 15. Dezember 1832, gaben die Geschwister Strasser im Hotel de Pologne in Leipzig ein Konzert. 

In der Zeitungskritik heißt es: „Die Wahl der Lieder war glücklich und ganz geeignet, um uns die eigenthümlichen Schönheiten des Alpengesanges zu veranschaulichen. Die gemüthvollen Melodien drangen zu den Herzen. Wir fühlten uns im Geiste in die heimathlichen Thäler der Sänger, in die großartige und doch trauliche Gebirgswelt Tyrols versetzt ... Auch hatten die Sänger den in diesem Blatte ausgesprochenen Wunsche, das schöne Weihnachtslied ,Stille Nacht, heilige Nacht‘ vorzutragen, freundlich entsprochen.“

Heimatmuseum in der Widumspfiste, Lindenweg 2, 6263 Fügen/Zillertal, Österreich, www.hmv-fuegen.at