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18.12.20 / Ein pommersches Kleinod / Die spätgotische Marienkirche und die Wallfahrtskapelle in Levenhagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52 vom 18. Dezember 2020

Ein pommersches Kleinod
Die spätgotische Marienkirche und die Wallfahrtskapelle in Levenhagen
Irmfried Garbe

Die kleinste Wallfahrts- und Wegekapelle Norddeutschlands ist im Innern nur drei Quadratmeter groß. Sie befindet sich in Levenhagen, acht Kilometer westlich von Greifswald. Diese winzige Kapelle aus Backstein mit ihrem schmucken gotischen Schaugiebel ist Träger einer ganz besonderen Geschichte. Jahrhundertealte Sagen knüpfen sich daran. Die Kapelle bildet den Eingangsakzent zum Levenhäger Kirchensemble St. Marien und St. Johannes Evangelista, das in den Jahrzehnten zwischen 1340 und 1420 entstand und heute neu zu erleben ist. 

Wer heute in dem kleinen gewölbten Raum mit seinem wunderschönen Glasfenster und dem fast 600 Jahre alten Stern auf der einladenden Pilgerbank Platz nimmt, kann vermittels einer hier seit 2019 installierten Hörstation eine einzigartige Attraktion erleben: Viele Levenhäger trugen mit ihrer Stimme zur audiovisuellen Führung bei, die in einer eindrücklichen Folge von 25 Stationen Auge und Geist durch das spätgotische Kirchenensemble und seine fast fünfhundertjährige Wallfahrtsgeschichte leitet. Diese „Erlebnis Wallfahrt Levenhagen“ lässt sich natürlich auch am heimischen Computer nachvollziehen (https://www.digiwalk.de/walks/marienkapelle-levenhagen/de), aber an Ort und Stelle angehört und abgelaufen, wird diese Führung zum unvergesslichen Ereignis. Dass das möglich wurde, verdanken die Levenhäger einem vielseitig begabtem Vikar, aber noch mehr der eigenen Bereitschaft, dem kostbaren alten Ort neue Aufmerksamkeit zu widmen.

Projekt der Dorfgemeinschaft

Die gelungene Sanierung des Levenhäger Backsteinensembles gehört zu den hoffnungsfroh stimmenden vorpommerschen Projekten der letzten Jahre. Von 2014 bis 2016 taten sich dort viele Dorfbewohner zusammen, um das Kleinod in der Mitte des Ortes zu neuem Glanz zu bringen. Dabei bewährte sich eine Regel besonders: Hilfsarbeiten, die aus Kräften vor Ort bewerkstelligt werden können, sollte man niemals an Firmen delegieren! Vom Bürgermeister über die Ältesten und junge Familien bis hin zur Feuerwehrmannschaft nutzten die Chance, etwas Handfestes zur Wiederherstellung ihres Dorfkirchenensembles beizutragen. In freiwilligen Großeinsätzen, gestreckt über zwei Jahre, wandelte sich eine fast schon übersehene Dorfkirche wieder zur eigenen Dorfmitte. Seitdem erzählen Levenhäger untereinander, mit welchem Detail sie sich besonders befassten, was ihre Zutat am Ganzen war. Sehr gern kommen sie auch mit ortsfremden Besuchern ins Gespräch, um ihnen stolz „ihre“ Kirche und die hochmoderne Hörstation zu zeigen. 

Nicht zuletzt wurden dank dieses außergewöhnliches Einsatzes vieler Einwohner Tausende von Euro gespart. Dafür gebührt auch der Denkmalpflege und dem begleitenden Architektenbüro Dank, die diesen außergewöhnlichen Ortskräfteeinsatz zuließen. Auch die Maurer-, Tischler-, Steinmetz- und Elektroarbeiten leisteten überwiegend ortsnahe Firmen. All dies trug viel zur anhaltenden Identifikation mit dem wiederhergestellten Gebäude bei.

Auslöser der ganzen Arbeit war eine rasante Veralgung des Kircheninneren gewesen. Sie hatte sich aus einem Sanierungsfehler der DDR-Zeit ergeben: Der 1966 eingebrachte Betonfußboden verursachte Staunässe. Mannshoch veralgte Wände, fehlender Bodenbelag, unbequeme Sitze, unzureichende Beleuchtungsmöglichkeiten und ein penetrant modriger Geruch hatten die Kirche zum ungeliebten Ort gemacht und sie nach und nach in einen anhaltenden Dornröschenschlaf versetzt. Vielen Einwohnern des Dorfes war das alte Gemäuer aus dem Blick und Sinn geraten. 

Vielfältige Unterstützung

Aber dann zündete 2013/14 der Funke, als bei mehreren Begegnungen und in einer öffentlichen Gemeindeversammlung die Frage gestellt wurde: Was ist euch euer geistliches Schatzhaus wert? Es gelang, die einzigartige Kostbarkeit dieses Kirchenensembles samt aller Schätze, die es birgt und bewahrt, den Einwohnern neu vor Augen zu stellen. Danach spornten sich Kirchenmitglieder und Nichtchristen zur tat- und spendekräftigen Hilfe an. Hinzu kamen Unterstützungen von außen: Die Hamburger ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius übernahm die komplette Außensanierung der Wallfahrtskapelle; die Kulturstiftung der Sparkasse Vorpommern die Restauration des wertvollen frühbarocken  Altarretabels von 1646, die Bugenhagen-Stiftung die Ausstattungskosten der Hörstation. 

Nach Entfernung des störenden Betons erhielt die Kirche einen neuen behindertengerechten Fußboden, Elektrik, transportables Gestühl, Dielung unter den Bankbereichen und die Wiederherstellung der alten Zentralachse zwischen Tauffünte und Altar. Der zwölfseitige Taufstein mit seinen Aposteldarstellungen bildet das älteste Inventarstück Levenhagens. Am Gewölbe und an der Westwand beeindrucken die 1967 freigelegten Malereien des späten 15. Jahrhunderts.

Beim feierlichen Gottesdienst zum Abschluss der Levenhäger Kirchensanierung konnten zu Pfingsten 2016 längst nicht alle Besucher und Teilnehmer in der kleinen Kirche Platz finden. Alle Plätze und Flächen vor den Eingängen waren gefüllt. Eine Folgespendenaktion zur Bereitstellung zusätzlicher Stühle führte schon bald danach zum Ziel. 

Seitdem heften sich Jahr für Jahr neben regelmäßigen Gottesdiensten auch Konzerte, Filmvorführungen sowie Dorf- und Kinderfeste an die wieder schmuck gewordene Levenhäger Kirche. Die Krippenspiele der letzten Heiligabendgottesdienste wurden von einem Dutzend junger Familien selbständig ausgewählt, einstudiert und zur Freude und Erbauung aller aufgeführt. Und wer weiß, vielleicht gelingt es ja eines Tages noch, dass auch die vor 300 Jahren abgerissene Sakristei in neuer Gestalt wieder errichtet werden kann. Denn was den Levenhäger Kirchenbesuchern während der Wintermonate noch immer fehlt, ist ein gewärmter Raum und der Einbau einer Toillette.

Vorbild für weitere Gemeinden

Das Vorbild der Levenhäger Sanierungsgeschichte hat inzwischen anderen pommerschen Orten Mut gemacht, es mit eigenen Kirchensanierungen zu versuchen und dabei auf die Kräfte der lokalen Bevölkerung zu setzen. Wer sich für solche Vorhaben Inspiration und Tipps sucht, wird bei den Levenhägern immer ein offenes Ohr finden. Kontaktadressen findet man auf der Website der Kirchengemeinde Dersekow-Levenhagen auf der Unterseite „Kirche Levenhagen“ (http://www.kirchengemeinde-dersekow.de/kirchen/levenhagen-2). Dort findet sich auch eine kleine Sammlung an Artikeln und Berichten, die daran erinnern, was die Levenhäger Marienkirche mit ihrer Wallfahrtskapelle so besonders macht. 

1281 wurde das kleine pommersche Dorf zum ersten Mal erwähnt in den Akten des Zisterzienserkonventes Eldena. Wahrscheinlich ist es identisch mit dem schon früher im Eldenaer Klosterbesitz befindlichen „Cyrcinogh“. „Cyrcinogh“ bedeutet „Kirchort“, und genau diese Bedeutung haben die Levenhäger des 21. Jahrhunderts zu neuer Geltung gebracht. 

Pfr. Irmfried Garbe ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte (siehe auch Seite 8).