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31.12.20 / Stadtgestaltung / Betonierte Öde im Herzen Berlins / Von wegen „trendiges Viertel“: Die Europacity am neuen Hauptbahnhof enttäuscht auf ganzer Linie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

Stadtgestaltung
Betonierte Öde im Herzen Berlins
Von wegen „trendiges Viertel“: Die Europacity am neuen Hauptbahnhof enttäuscht auf ganzer Linie
Hermann Müller

Die Unterschiede könnten kaum drastischer ausfallen: Bei der Wiederherstellung von Potsdams historischem Stadtkern und bei der neuen Europacity am Berliner Hauptbahnhof lassen sich zwei Extrempositionen im Umgang von Städten mit Investoren beobachten. Wer als Bauherr in Potsdam bei der Bebauung des Areals neben Landtag und Nikolaikirche zum Zuge kommen will, der muss sich nicht nur an den Stadtgrundriss der Vorkriegszeit halten. Die Auflagen der Stadt gehen mitunter bis in die Details der Fassadengestaltung. Zudem erwartet das Rathaus von den Investoren keine Höchstgebote für die Baugrundstück, sondern vor allem Nutzungskonzepte, die zur historischen Stadtmitte Potsdams passen. 

Ein völlig anderer Umgang mit Investoren war in den vergangenen Jahren bei einem der größten Entwicklungsgebiete Berlins zu beobachten. Nördlich des neuen Hauptbahnhofs ist entlang der Heidestraße seit 2012 auf einem ehemaligen Bahngelände ein ganzes Stadtviertel namens Europacity aus dem Boden gestampft worden. Bis 2008 gehörte das Gelände dem Bund, der das Gebiet an den Immobilienfonds CA Immo verkaufte. Das österreichische Unternehmen hat das fast 60 Hektar große Terrain, auf dem auch der historische Hamburger Bahnhof steht, zum Teil selbst bebaut, zum Teil als Einzelflächen an andere Investoren weitergegeben.

Kultur trat die Flucht an

Bei der Entwicklung der Europacity hat Berlins Landesregierung den Investoren insgesamt viel Freiraum gelassen. Gemessen an dem, was Bauherren und Senat bei den Planungen in Aussicht gestellt hatten, enttäuscht das Projekt jedoch. Beworben wurde die Europacity von Investoren als „trendiges Wohn- und Arbeitsviertel“ mit „urbaner Mischung“. Inzwischen haben die Bauherren fast 3000 meist sehr hochpreisige Wohnungen errichtet, vor allem sehr viel Bürofläche.

Das Herz des neuen Stadtviertels sollte ursprünglich ein Stadthafen samt angrenzendem Kunstcampus beleben. Weil die EU das Vorhaben jedoch nicht fördern wollte, fiel das Acht-Millionen-Projekt eines Stadthafens schnell dem Rotstift zum Opfer. Auch die Hoffnung, die Europacity durch eine Kulturszene zu beleben, erfüllte sich nicht.

Eingetreten ist sogar das Gegenteil: Nach der Jahrtausendwende hatten Künstler das ehemalige Güterbahnhofsareal tatsächlich für sich entdeckt und Ateliers und Galerien eröffnet. Diese Kunstszene ist mittlerweile weitgehend wieder weggezogen, weil die preiswerten Räume den Neubauten weichen mussten. Zudem kündigte im Frühjahr auch noch Friedrich Christian Flick den Abzug seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst an. Der Sammler hatte 2004 auf eigene Kosten eine alte Lagerhalle des Hamburger Bahnhofs für seine Flick-Collection umbauen lassen. Als der Bund das Gelände verkaufte, verschlief die Politik jedoch die Möglichkeit, den langfristigen Bestand der Ausstellungsräume zu sichern.

Zusammengenommen haben diese Einzelfaktoren dazu geführt, dass auf dem alten Bahngelände in bester Innenstadtlage ein Viertel entstanden ist, das mittlerweile mehr an eine Bürostadt erinnert als an einen der lebendigen Berliner Kieze. Obwohl namhafte Architekten beteiligt waren, kann nicht einmal die Gestaltung überzeugen. Stattdessen haben Experten ein vernichtendes Urteil über das Areal gefällt: Als vergangenes Jahr Architekten, Kunsthistoriker und Journalisten in einem „Abriss-Atlas Berlin“ Stadtbereiche aufzählten, die am besten wieder abgeräumt werden sollten, tauchte darin auch das neugebaute Viertel um Berlins Hauptbahnhof auf: „Auf Sichtweite nur globale Investoren-Dutzendware vom Motel One links bis zum Humboldthafen rechts.“

Nach Büroschluss wie ausgestorben

Verstärkt wird der Eindruck von städtebaulicher Ödnis noch durch das naheliegende Regierungsviertel: Sieht man vom Kanzleramt ab, sind wie schon in der Europacity auch hier moderne Rasterfassaden mit schmalen, schießschartenartigen Fenstern offenbar architektonischer Standard. Noch stärker als im Fall der Europacity ist mit dem Regierungsviertel in Berlins Mitte eine Stadtlandschaft entstanden, die jenseits der Bürozeiten wie ausgestorben wirkt. Schon vor Jahren hatte der Bund deutscher Architekten auf einen städtebaulichen Notstand rund um das sogenannte Band des Bundes aufmerksam gemacht und in einem Brandbrief eine Belebung des Quartiers angemahnt. 

Im Fall des Regierungsviertels müssen sich mit dem Berliner Senat, dem Bezirk Mitte und dem Bund allerdings gleich drei Akteure abstimmen. Dazu kommen noch die Interessen der Sicherheitsbehörden: Diesen dürfte ein übersichtliches, wenngleich ödes Regierungsviertel weitaus weniger Kopfzerbrechen bereiten, als wenn sich zwischen Ministerien und Kanzleramt durch Cafés und Läden ein quirliges Stadtleben, aber auch ein höheres Sicherheitsrisiko entwickelt.