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31.12.20 / EZB-Geldpolitik / Die Trickserei geht weiter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

EZB-Geldpolitik
Die Trickserei geht weiter
Wolfgang Müller-Michaelis

Im Leitartikel zur Ausgabe zum ersten Advent 2020 schlug das „Hamburger Abendblatt“ einen ungewohnt barschen Ton an: „Schluss mit Negativzinsen!“ hieß es dort, Politik, EZB und Geschäftsbanken müssten endlich ihren Kurs korrigieren, „und zwar schnell“. So sehr dieser Unmutsausbruch aufhorchen ließ, so häufig wurde er in den vergangenen Jahren vernommen, seit der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) war. 

Der Leiter der Wirtschaftsredaktion des „Abendblatts“, Oliver Schade, erinnerte an die Vor-Draghi-Zeit, als Banken noch vier Prozent auf Tagesgeld zahlten und Großeltern den Enkeln zu Weihnachten ein Sparbuch schenkten. Diese Zeiten sind vorbei. Heute muss der Kunde dafür zahlen, dass die Bank sein Geld aufbewahrt. Und was ist mit der älteren Generation, fragt Schade, die jahrzehntelang Geld zur Seite gelegt hat zur Ergänzung der Rente und nun auf ihre Ersparnisse jährlich Strafzinsen überweisen muss? Selbst die Rentenversicherung wird für ihre gesetzlichen Rücklagen mit Strafzinsen belegt, was das Rentenaufkommen entsprechend schmälert. Eine verrückte Welt, die niemand versteht, zumal sie das Vorsorgeprinzip, auf dem unsere Wirtschaft, unsere Kultur, unser Rechtswesen seit Jahrhunderten basiert, außer Kraft setzt. 

Unmut und Zorn über diese ungewohnten Belastungen bei den Banken abzuladen ginge indessen an die falsche Adresse. Denn diese sind selbst Opfer der Geldpolitik der Notenbanken und ihrer europäischen Holding, der EZB. Sie geben die für ihre Einlagen bei der Zentralbank zu entrichtenden Strafzinsen an ihre Kunden weiter. Und sie tun dies widerwillig, weil sie wissen, dass auf diese Weise ihr traditionelles Kerngeschäft, Geld gegen Zinsen auszuleihen und für Einlagen den Kunden Zinsen zu zahlen, zerstört wird. 

Man muss also nach dem Wieso und Warum der Geldpolitik der EZB fragen und nach dem merkwürdigen Verhalten der Bundesregierung, diese die Sparer, Banken und Wirtschaft weitreichend belastende Politik mitzutragen. Diese Frage stellt sich umso nachdrücklicher, als dem deutschen Wähler zum Start der Europäischen Währungsunion versprochen worden war, dass sich die Währungspolitik der EZB nach dem Modell der Deutschen Bundesbank allein um den Erhalt der Währungsstabilität zu kümmern habe. 

Dieses Versprechen konnte nicht eingehalten werden, weil bei Errichtung der Währungsunion unterschiedlich strukturierten Mitgliedsländern ein einheitliches System übergestülpt wurde, das nicht für alle gleich gut passte. Divergierende Leistungsstärken der Volkswirtschaften, der ordnungspolitische Gegensatz von staatswirtschaftlich geprägten Südländern zum marktwirtschaftlichen Modell der Nordländer sowie fehlende Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind die Gründe für den Dauerkrisenmodus, in dem sich die Euro-Zone befindet.

Beim Amtsantritt von Mario Draghi als EZB-Präsident hatten die Südländer Verschuldungsgrade erreicht, die eine weitere Geldbeschaffung an den Kapitalmärkten nicht mehr zuließen. Daher spannte die Währungsbehörde, nachdem schon vorher der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen war, den Rettungsschirm PSPP auf, unter dem die unzulässige Staatsfinanzierung durch Notenbanken indirekt durchgezogen wurde. Es handelt sich um ein Anleihekaufprogramm, bei dem von 2016 bis heute zwei Billionen (!) Euro aus der Druckerpresse der EZB geflossen sind, offiziell mit der Begründung, damit eine Wachstumsdynamik im Euro-Raum in Gang zu setzen. Volkswirte alter Schule wissen, dass Wachstum nicht mit billigem Geld, sondern mit innovativen Ideen generiert wird, die angemessene Erträge in der Zukunft erwarten lassen. 

Schulden für künftige Generationen

Flankiert wurde die inflationäre Geldvermehrung durch eine Nullzinspolitik, die inzwischen in eine Negativzinspolitik abgeglitten ist. Die wirtschaftsfeindlichen Auswirkungen wurden eingangs beschrieben. Dennoch wurde sie inzwischen mit der Folge 3 der Rettungsschirm-Parade fortgesetzt, dem Corona-Wiederaufbaufonds, der ebenfalls in die Billionen-Dimension hineinreicht. Man hat ihm sinnigerweise das Label „Next Generation EU“ verpasst, möglicherweise ein unterbewusstes Eingeständnis dafür, dass man unlösbare Probleme der Gegenwart am besten in Schuldtitel verwandelt und sie künftigen Generationen vor die Portale kehrt. 

Immerhin haben sich einige Mutige gefunden, dieses Manövrieren einer höchstrichterlichen Ãœberprüfung zuzuführen (siehe PAZ 34/2020). Zu den Beweggründen mehrerer Klägergruppen, die vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen waren, gehörte auch die Vermutung, dass es sich bei der unorthodoxen Geldpolitik der EZB um einen Angriff auf die marktwirtschaftliche Ordnung handeln könnte. Denn wenn der Preis der zentralen Ressource der Volkswirtschaft, der Zins des Kapitals, nicht mehr vom Markt, sondern von einer Behörde bestimmt wird, ist die für die marktwirtschaftliche Ordnung wesentliche Steuerungsfunktion außer Kraft gesetzt, nach der das Kapital über die Zinshöhe dorthin geleitet wird, wo es am dringendsten gebraucht wird. 

Wo die grenzenlose Verschuldung (lat. debeta) für die Wirtschaftsordnung eine ähnlich zerstörerische Wirkung wie das Coronavirus für die Menschen hat, ist Gefahr im Verzug. Daher war das Urteil des BVerfG vom 5. Mai 2019 „zwingend“, wie Verfassungsrichter Peter M. Huber unterstrich. Das Gericht hielt sich nicht mit der Frage auf, ob die EZB mit ihrer Geldpolitik gegen die eigenen Statuten verstoße (was sie tut), sondern es ging allein um die Nebenfolgen der extremen Eingriffe in die Kapitalmärkte. Dazu sollte die EZB die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen in Bezug auf die mit ihnen verbundenen Kollateralschäden nachweisen. Die Bundesregierung reichte dem Gericht in Amtshilfe für die EZB sieben Dokumente zum Nachweis der Verhältnismäßigkeit ein, von denen vier ohne nennenswerten Klärungsbeitrag und drei, die für die Prüfung relevant sind, der Geheimhaltung unterworfen wurden.

Gegenwärtiger Stand ist, dass zwei Klägergruppen auf Akteneinsicht in die von der Bundesregierung geheim gehaltenen Dokumente klagen. Im Wege eines Vollstreckungsantrags wird das Ziel verfolgt, nach erhaltener Einsicht in die Dokumente die Teilnahme der Bundesbank am Anleihekaufprogramm der EZB auszusetzen. 

Das taktische Agieren der Bundesregierung legt die Vermutung nahe, dass in den unter Verschluss gehaltenen Papieren die erodierende Wirkung der EZB-Maßnahmen auf die marktwirtschaftliche Ordnung erörtert werden, insbesondere im Hinblick auf die private Altersversorgung, die Ersparnisse der privaten Haushalte, den Immobilienmarkt, die Stabilität des Bankensystems und die solide öffentliche Haushaltsführung. In all diesen Bereichen wird das Schuldenvirus Debeta sein zerstörerisches Werk fortsetzen, solange ihm nicht durch eine geldpolitische Umkehr, wie sie nicht nur Oliver Schade vom „Hamburger Abendblatt“ fordert, Einhalt geboten wird.