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31.12.20 / Autor von „Die Physiker“ / Barocker Drauflosdenker / Friedrich Dürrenmatt wurde vor 100 Jahren geboren – Die Schweiz feiert ihn unter Lockdownbedingungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

Autor von „Die Physiker“
Barocker Drauflosdenker
Friedrich Dürrenmatt wurde vor 100 Jahren geboren – Die Schweiz feiert ihn unter Lockdownbedingungen
H. Tews

Die Schweiz ist relativ glücklich dran. Die Skipisten sind noch geöffnet, und bis zuletzt durfte auch Friedrich Dürrenmatt vom Himmel aus hoffen, dass man seinen 100. Geburtstag am 5. Januar gebührend feiert. Zahlreiche Ausstellungen, Tagungen und Aufführungen seiner Stücke waren geplant, die dann wohl doch nicht realisiert werden können. Kurz vor Weihnachten entschied der Bundesrat: Skipisten dürfen offenbleiben, Museen und Theater aber nicht.

Dann könnte auch über Dürrenmatt ebenso der Schleier fallen, wie es bei Beethoven der Fall war, dessen 250. Geburtstag Mitte Dezember zur Randerscheinung mit vielen abgesagten Konzerte verkam. Dürrenmatts Hausverlag Diogenes hat aus nachvollziehbaren Gründen etwas dagegen, dass sein Autor unter den Tisch fällt. Zum Jubiläum hat der Verlag noch vor Weihnachten eine Reihe geschenktauglicher Neuerscheinungen auf den Markt gepumpt. So erschien eine neue Werkausgabe in 37 Bänden (4032 Seiten, 193 Euro), das Lesebuch „Gedankenschlosser“ (144 Seiten, 12 Euro) und in Kooperation mit dem Steidl Verlag der erste von drei Bänden über das bildnerische Werk des Autors, der zeitlebens auch gemalt hat („Wege und Umwege mit Friedrich Dürrenmatt“, Band 1, 328 Seiten, 65 Euro). Ende April soll darüber hinaus eine fünfbändige Edition des autobiographisch geprägten „Stoffe-Projekts“, Dürrenmatts erzählerisches Alterswerk, erscheinen (2208 Seiten, 400 Euro).

Daneben gibt es von Diogenes eine neue Dürrenmatt-Biographie. Ulrich Webers Studie ist nicht die erste über Leben und Werk des Autors. Zuvor gab es schon ähnliche Annäherungen von Lutz Tantow und Peter Rüedi. Doch die von Weber, seines Zeichens Kurator des Dürrenmatt-Nachlasses in Bern und Co-Autor des ebenfalls neuen „Dürrenmatt-Handbuchs“ (Metzler Verlag, 445 Seiten, 29,99 Euro), ist sicher die bislang fundierteste über diesen „barocken Dichterfürsten“.

Dabei äußerte Dürrenmatt laut Weber, „er habe keine Biographie, und meinte damit sein äußerlich ruhiges bürgerliches Leben“. Was gibt es also zu erzählen über dieses an spektakulären Ereignissen arme Leben des Pfarrerssohns, das am 5. Januar 1921 im Emmental begann und am 14. Dezember 1990 in Neuenburg (Neuchâtel) nach einem Herzversagen endete? Der Dampfplauderer verstand sich eher auf „geistige Abenteuer“, die Weber jetzt sorgfältig nachzeichnet.

Obwohl Dürrenmatt gut 45 Jahre lang schriftstellerisch auf Abenteuersuche ging, beschränkte sich seine erfolgreichste Zeit auf die Jahre von 1950 und 1962. In diesen zwölf Jahren erschienen seine bekanntesten Werke: der zum purem Gelderwerb geschriebene Krimi „Der Richter und sein Henker“, das Drehbuch zu dem mit Heinz Rühmann (als Kommissar) und Gert Fröbe (als Kindermörder) verfilmten Krimi „Es geschah am hellichten Tag“ sowie die unverwüstlichen Dramen „Der Besuch der alten Dame“ und „Die Physiker“, die zu Welterfolgen wurden.

Diese Werke sind inzwischen Klassiker der neueren deutschsprachigen Literatur, die Dürrenmatt neben Max Frisch zum bekanntesten Schweizer Autor des 20. Jahrhunderts machten. Beide hätten den Nobelpreis verdient, den aber – 1919 – außer dem heute nahezu vergessenen  Carl Spitteler kein anderer Schweizer erhalten hat. Herrmann Hesse erhielt ihn 1946 zwar als eingebürgerter Schweizer, stammte aber aus Württemberg. 

Mit keinem seiner späteren Werke konnte Dürrenmatt an seine früheren Erfolge anknüpfen. Das Fernsehen machte ihn als Bühnendramatiker zunehmend entbehrlich. Und so ließ der Autor, der sich so gar nicht als ein Denker, sondern als ein „Drauflosdenker“ sah, in Essays seinen Gedanken über seine Lieblingsphilosophen Schopenhauer, Kierkegaard und Nietzsche freien Lauf. Und das durchaus mit Witz. Der Verstand, so heißt es in „Über Toleranz“, werde „doch immer mit dem  gesunden Menschenverstand verwechselt, von dem die Tiere so weitaus mehr besitzen“. Dürrenmatt besaß zweifellos beides. 

Radio und Fernsehen „Ein Jahrhundert Friedrich Dürrenmatt“, Themenschwerpunkt im SRF bis 9. Januar. „Lange Nacht über Dürrenmatt“ im Deutschlandfunk am 9. Januar ab 23.05 Uhr.

Ausstellungen (geplant) „Kosmos Dürrenmatt“ im Strauhof, Zürich, bis 10. Januar. Diverse Schauen im Centre Dürrenmatt, Neuchâtel, ab 24. Januar.

Alle Termine www.duerrenmatt21.ch

Ulrich Weber, „Friedrich Dürrenmatt. Eine Biographie“, Diogenes Verlag, Zürich 2020, gebunden 720 Seiten, 28 Euro