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31.12.20 / Agent Orange / Ein Herbizid, das auch Menschen tötete / Vor 50 Jahren beendeten die US-Streitkräfte nach einem knappen Jahrzehnt die Operation Ranch Hand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

Agent Orange
Ein Herbizid, das auch Menschen tötete
Vor 50 Jahren beendeten die US-Streitkräfte nach einem knappen Jahrzehnt die Operation Ranch Hand
Wolfgang Kaufmann

Im Vietnamkrieg kam der Tod oft vom Himmel. Meist in Form von Napalm oder Bomben, manchmal aber auch als helles Pulver, das nach reifen Guaven roch. Die US-Militärs nannten das Teufelszeug wegen der auffälligen farblichen Markierungen an den Transportfässern „Agent Orange“ und versprühten es großflächig über weiten Teilen Südvietnams sowie in Laos und Kambodscha. Mit dem Herbizid wollten sie sowohl Wälder entlauben als auch Anpflanzungen zerstören, um der Guerillabewegung FNL, besser bekannt als „Vietcong“, die Tarnung zu rauben und die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Das führte allerdings zu einer Umweltkatastrophe gigantischen Ausmaßes, deren Folgen noch heute spürbar sind.

Am Anfang des Ganzen stand die Autorisierung des Einsatzes von chemischen Entlaubungsmitteln durch Präsident John F. Kennedy im November 1961. Als Vorbild diente dabei das Agieren der Briten gegen Aufständische in Malaya. Im Rahmen der US-Operation Ranch Hand (Farmhelfer) kamen ab dem 9. Januar 1962 zunächst weniger radikal wirkende Substanzen zur Anwendung. Das zeitigte aber keine nennenswerten Erfolge. Deshalb forderte das militärische Oberkommando der US-amerikanischen Streitkräfte in Südvietnam (United States Military Assistance Command Vietnam, MACV) stärkere Mittel an. 

Damit schlug nun die Stunde von Agent Orange, einer Mischung der Butyl-Ester der 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure (2,4-D) und der 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure (2,4,5-T), auch bekannt als 

T-Säure. Letztere wies produktionsbedingt Verunreinigungen mit 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) auf, dem stärksten und langlebigsten Gift aus der Gruppe der Dioxine.

Nicht zuletzt deshalb startete der Botaniker Arthur Galston eine Protestkampagne gegen die Verwendung von Agent Orange, der sich im Februar 1967 schließlich mehr als 5000 US-Wissenschaftler – darunter 17 Nobelpreisträger – anschlossen. Dessen ungeachtet begannen die Sprühflugzeuge vom Typ Fairchild C-123 „Provider“ in jenem Monat mit der großräumigen Ausbringung des Mittels, nachdem erste begrenzte Aktionen schon ab dem Januar 1965 stattgefunden hatten.

9495 Einsätze der U.S. Air Force

Bis zum 7. Januar 1971 flog die US-Luftwaffe genau 9495 Einsätze, in deren Verlauf fast 46 Millionen Liter Agent Orange auf Südvietnam und die Grenzgebiete seiner Nachbarländer niederrieselten, ohne dass daraus ein erkennbarer militärischer Nutzen resultierte. Rechnet man die anderen Herbizide hinzu, waren es sogar 80 Millionen Liter. Dadurch wurden bis zu 366 Kilogramm TCDD freigesetzt. Zum Vergleich: Beim verheerenden Chemieunfall im italienischen Seveso im Juli 1976 lag die Menge des ausgetretenen Dioxins wahrscheinlich nur im Bereich von ein bis drei Kilogramm.

Im Zuge dieses größten militärischen Einsatzes schädlicher beziehungsweise giftiger chemischer Substanzen aller Zeiten ging die Vegetation auf einem Viertel der Fläche Südvietnams zugrunde – das entspricht in etwa der Größe Israels. Viele der betroffenen Gebiete, in denen um die zehn Millionen Menschen lebten, sahen aus wie nach einem Atomschlag. Der hierdurch verursachte wirtschaftliche Schaden belief sich auf umgerechnet 500 Millionen US-Dollar. 

Weil das US-Militär Agent Orange in bis zu 50 Mal höherer Konzentration verwendete, als von Dow Chemical, Mobay und den anderen Herstellerfirmen empfohlen, erlitten rund drei Millionen Vietnamesen und eine unbekannte Anzahl von Laoten und Kambodschanern schwere oder gar tödliche gesundheitliche Schäden. Genauso erging es mehreren Hunderttausend US-Soldaten, die mit Agent Orange Kontakt gehabt hatten. Das Herbizid wird für etwa 140 Krankheiten verantwortlich gemacht, darunter vor allem zahlreiche Formen von Krebs. Darüber hinaus verursacht es Fehlbildungen bei ungeborenen Kindern. Aus Vietnam sind inzwischen rund 150.000 derartige Fälle bekannt und aus den USA um die 4000.

Fast 46 Millionen Liter versprüht

Auf diese Kollateralschäden wies zuerst eine im Herbst 1969 publizierte Studie von US-Krebsforschern hin. Kurz darauf, im Dezember 1969, konstatierte die Vollversammlung der Vereinten Nationen, dass auch Herbizide zu den durch das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 geächteten chemischen Waffen zählten. Das wurde von den USA zwar zurückgewiesen, weil das zentrale Beratungsorgan der UN nicht per Mehrheitsbeschluss internationale Verträge ändern oder auslegen könne, dennoch aber stoppte Präsident Richard Nixon den Agent-Orange-Einsatz schließlich vor nunmehr 50 Jahren. 

Danach begann die juristische Aufarbeitung der Operation Ranch Hand. Zahlreiche amerikanische Kriegsveteranen reichten Sammelklagen gegen sieben Hersteller von Agent Orange ein. Am 7. Mai 1984 einigte man sich auf einen Vergleich. Hieraufhin wurden bis 1994 197 Millionen US-Dollar an 52.000 Geschädigte oder deren Hinterbliebene ausgezahlt. Der vietnamesische Staat beschloss seinerseits, knapp 300.000 betroffenen ehemaligen Kämpfern der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams (FNL) Renten in Höhe von umgerechnet 67 Dollar im Monat zu gewähren, während die geschädigten Zivilisten leer ausgingen. Daran änderte auch die Sammelklage von vietnamesischen Agent-Orange-Opfern vor einem New Yorker Gericht nichts, denn die scheiterte im März 2005. 

Seine Klageabweisung begründete Richter Jack Weinstein damit, dass Agent Orange damals auch in den Vereinigten Staaten als Herbizid verwendet worden sei und das US-Militär die Substanz keineswegs versprüht habe, um Zivilisten oder gegnerische Soldaten zu töten, sondern um den Dschungel zu entlauben und Felder zu zerstören. Daher falle Agent Orange nicht unter die verbotenen chemischen Waffen. Diese Begründung stieß zu Recht auf Kritik, da der Versuch, Menschen die Nahrungsgrundlage zu entziehen, ebenfalls auf eine Tötungsabsicht hindeutet.

Trotz der Klageabweisung fließt mittlerweile Geld aus den USA nach Vietnam, mit dem die Dekontamination im Umfeld ehemaliger US-Militärstützpunkte wie Biên Hòa finanziert wird. Denn die USA werben nun wieder um Verbündete in Südostasien. Diesmal ist der Feind nicht der Kommunismus, sondern die erwachende Supermacht China.