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31.12.20 / Theobald von Bethmann Hollweg / Weltkriegskanzler mit Friedenswillen / Als Innenpolitiker an die Spitze des Reiches gekommen, war er der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nicht gewachsen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

Theobald von Bethmann Hollweg
Weltkriegskanzler mit Friedenswillen
Als Innenpolitiker an die Spitze des Reiches gekommen, war er der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nicht gewachsen
Erik Lommatzsch

Durch die Berliner Salonnière Hildegard Baronin von Spitzemberg, die gute Beziehungen zu den Bismarcks pflegte, sind viele treffende Einschätzungen über maßgebliche Persönlichkeiten des Kaiserreichs überliefert. In ihrem Tagebuch notierte sie am 14. Juli 1909: „Mein lieber Bethmann tut mir bitter leid, denn er geht leiblich an diesem Amt zugrunde und voraussichtlich ohne Lorbeeren.“ Das Ende der Amtszeit des sieben Tage vor dieser Eintragung zum Reichskanzler ernannten Theobald von Bethmann Hollweg erlebte sie nicht mehr. Ihre hellsichtige Voraussage sollte sich jedoch bestätigen.

Bethmann Hollweg führte die Reichsregierung, als der Erste Weltkrieg ausbrach, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Der insgesamt auf Ausgleich bedachte Kanzler war alles andere als ein Kriegsbefürworter, ließ sich allerdings von den Militärs zum Handeln treiben. Er positionierte sich öffentlich mitunter gegen seine inneren Überzeugungen, glaubte, seine Ziele nur indirekt erreichen zu können, suchte einen für das Reich günstigen Frieden und musste im vorletzten Kriegssommer enttäuscht das Feld räumen. Als „Philosoph“ wurde er charakterisiert, was bezüglich der an ihn gestellten Erwartungen als Politiker kein Lob war. Dass er lediglich verwaltet, aber nicht regiert habe, wie es auch hieß, ist einerseits sicher nicht richtig, andererseits vermittelte er durch sein zögerliches, abwägendes Naturell durchaus genau diesen Eindruck. Sein Mitarbeiter und Vertrauter Kurt Riezler bezeichnete Bethmann Hollweg als „seltsamen Menschen“.

Ein hervorragender Verwalter

Geboren wurde er am 29. November 1856 im brandenburgischen Hohenfinow. Sein Großvater hatte in der liberalen Neuen Ära unter Ministerpräsident Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen als preußischer Kultusminister amtiert. Die Schule in Pforta sowie das Studium der Rechte in Leipzig, Berlin und Straßburg absolvierte Bethmann Hollweg mit hervorragenden Abschlüssen. Eine rasante Karriere, die er weniger den durchaus vorhandenen Beziehungen als seinen unter Beweis gestellten Leistungen im Verwaltungsdienst verdankte, schloss sich an. 1886 wurde er, in der Nachfolge seines Vaters, Landrat seines Heimatkreises und, nach weiteren Stationen, 1899 Oberpräsident von Brandenburg. In der preußischen Geschichte hatte niemand zuvor bereits in diesem Alter an der Spitze einer Provinz gestanden.

„Politik des kalkulierten Risikos“

Im März 1905 erfolgte die Ernennung zum preußischen Innenminister, im Juni 1907 übernahm er das Reichsamt des Inneren. Als Bernhard Fürst von Bülow zwei Jahre später infolge seines Verhaltens während der Daily-Telegraph-Affäre das Vertrauen Wilhelms II. verloren hatte und als Reichskanzler zurücktreten musste, war Bethmann Hollweg sein Wunschnachfolger. Im Blick waren damals innere Probleme, der neue Regierungschef galt in diesem Bereich als erfahren. Bezüglich der Sozialpolitik und mit der Durchsetzung einer Verfassung für das Reichsland Elsass-Lothringen konnte Bethmann Hollweg beachtliche Erfolge vorweisen. Zu Anfang wurde er, der selbst keiner Partei angehörte und am ehesten als bürgerlich-liberal, dabei unbedingt kaisertreu einzuschätzen ist, parteiübergreifend akzeptiert.

Er glaubte an die Ratio in der Politik

Ein Tiefpunkt in der Vorkriegszeit war 1913 die Zabern-Affäre. Seine Verteidigung des übergriffigen Verhaltens des Militärs in Elsass-Lothringen hatte ein Misstrauensvotum des Reichstags zur Folge. Großes, lastendes und trotz verschiedener Anläufe letztlich ungelöstes Problem blieb während seiner gesamten Amtszeit das preußische Dreiklassenwahlrecht.

Die idealen außenpolitischen Vorstellungen, mit denen Bethmann Hollweg letztlich scheiterte, beschreibt der Historiker Günter Wollstein: „Von liberalen und wirtschaftlichen Leitmotiven geprägt, strebte er nach einem Miteinander der Mächte, die im Wissen um eine gesicherte Ausgangsposition wie Kaufleute eine rationale und berechenbare Interessenpolitik verfolgten.“

In der Julikrise des Jahres 1914 zeichnete Bethmann Hollweg für die von ihm selbst so genannte „Politik des kalkulierten Risikos“ verantwortlich. Nach dem Attentat von Sarajewo wurde dem verbündeten Österreich-Ungarn der sprichwörtliche „Blankoscheck“ seitens der deutschen Reichsregierung ausgestellt. Der Konflikt blieb jedoch nicht auf die Auseinandersetzung mit Serbien beschränkt, die Hoffnung, Russland und England würden nicht eingreifen, erfüllte sich nicht.

Die – im Wortlaut immer wieder leicht variierte – kaiserliche Botschaft „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, geht auf Bethmann Hollweg zurück, auch die Formulierung Wilhelms II.: „Uns treibt nicht Eroberungslust.“ Das Denken des Reichkanzlers bewegte sich ganz auf der Linie des „Burgfriedens“. Um einen Einbezug der Sozialdemokraten hatte er sich immer bemüht. Demonstrativ empfing er 1915 den SPD-Fraktionsvorsitzenden Philipp Scheidemann zum Diner, der in seinen Memoiren ein positives Bild Bethmann Hollwegs zeichnet: „Jeder Satz des Kanzlers hat Sehnsucht nach Frieden und guten Willen geatmet.“ 

Zumindest im „Septemberprogramm“ von 1914 über die Kriegsziele liest sich das etwas anders. Allerdings wird Bethmann Hollweg zugutegehalten, dass er sich hier dem Einfluss von außen gebeugt hat. Gebietsforderungen waren ausweislich der Überlieferung seine Sache nicht, schon im Bewusstsein des realistisch Erreichbaren. Er betrachtete ein „Durchhalten“ bereits als Erfolg.

In seinen später verfassten „Betrachtungen zum Weltkriege“ heißt es: „Weder der Annexionismus, noch ein durch dessen Auswüchse provozierter pazifistischer Defaitismus erleichterten die uns durch die Kriegslage diktierte Aufgabe, Friedensgeneigtheit der Feinde zu fördern.“ Eine Friedensinitiative Bethmann Hollwegs vom Dezember 1916 scheiterte. Den Vorstellungen der deutschen militärischen Führung entsprach sie ohnehin nicht. Die dritte und letzte Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff verdankte sich auch der Initiative Bethmann Hollwegs, der annahm, so Unterstützung gegen das annexionistische Lager zu erhalten. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg wurde in Gang gesetzt, die USA traten in den Krieg ein – alles nicht im Sinne des Kanzlers, der im Juli 1917 schließlich aus dem Amt gedrängt wurde. Er zog sich auf sein Gut Hohenfinow zurück, auf dem er vor 100 Jahren, am 2. Januar 1921, starb.