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31.12.20 / Taberbrücker Forst / Die Suche nach dem See aus Vaters Erzählungen / Unverhoffte Entdeckung: Die drei bis vier Meter langen, mit Bäumen bewachsenen Inseln treiben von einem Ufer zum anderen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

Taberbrücker Forst
Die Suche nach dem See aus Vaters Erzählungen
Unverhoffte Entdeckung: Die drei bis vier Meter langen, mit Bäumen bewachsenen Inseln treiben von einem Ufer zum anderen
Burghard Gieseler

Als ich noch ein kleiner Junge war, gab es bei uns ein Ritual, das ich sehr liebte. Wenn ich abends nach dem Zähneputzen in meinem Bett lag, sagte ich erwartungsvoll zu meinem Vater: „Papa, jetzt erzähl mir eine schöne Geschichte.“ Und mein Vater setzte sich an mein Bett und erzählte mir eine schöne Geschichte. Von Ostpreußen. Wenn ich mich recht erinnere, waren es meist Schülerstreiche im Gymnasium in Osterode oder Wilddiebsgeschichten im Taberbrücker Forst. Bei Letzteren spielte regelmäßig ein See mit schwimmenden Inseln eine Rolle. Dieser See war für meinen Vater offenbar der Inbegriff der unberührten Natur Ostpreußens.

Ausruhen in unberührter Natur

Als ich einige Jahrzehnte später die Heimat meines Vaters besuchte, fand ich schließlich, wie ich glaubte, den geheimnisvollen Waldsee. Nach meiner Rückkehr erfuhr ich allerdings von einer alten Ostpreußin, dass es zwei Seen seien und dass nur der hintere, kreisrunde kleine Drenske See die schwimmenden Inseln habe. Da schwante mir, dass ich wohl bei dem falschen, dem großen Drenske See gewesen war. Und tatsächlich hatte ich mich schon damals etwas gewundert, wo denn nur die schwimmenden Inseln geblieben waren.

Also beschloss ich, mich am Ende meines diesjährigen Arbeitsbesuches im Heimatkreis erneut auf die Suche nach dem – diesmal richtigen – See zu machen. Ohnehin wollte ich nach den bewegenden Eindrücken der vergangenen Tage ein wenig Ruhe im Taberbrücker Forst finden.

Auf Anhieb fand ich auf der Straße von Eckschilling nach Mohrungen die Stelle, an der man nach rechts in den Wald gehen muss. Nach fünf Minuten kam ich an eine Rodungsfläche. Ich ging nichtsahnend durch das schon recht hohe Gras, als es geschah: Vor mir sah ich meinen ersten Wolf in freier Wildbahn! Er hatte mich zuerst bemerkt, richtete sich kurz auf, um mich besser sehen zu können – und sprang dann mit einem großen Satz ab. Auch wenn die Begegnung nur kurz war, so hatte ich doch einen wunderbaren Anblick. Ein herrliches Tier. Noch ganz erfüllt von diesem Erlebnis setzte ich mit klopfendem Herzen meinen Weg fort und kam an den großen Drenske See. An dessen Südufer folgte ich einem Weg in östlicher Richtung, überquerte einen Hügelrücken und erreichte nun endlich mein langersehntes Ziel – den kleinen Drenske See mit seinen schwimmenden Inseln.

Je nach Windrichtung werden die Inseln, die einen Durchmesser von nur drei bis vier Metern haben und auf denen meist kleine Bäumchen wachsen, von einem Ufer zum anderen getrieben. Gewöhnlich aber ruhen sie unbewegt am Ufer, und ich hätte mir das Vergnügen machen können, sie mit einer Stange – wenn ich denn eine gehabt hätte – in Bewegung zu setzen. Dann wären sie, sich langsam drehend, zur Mitte hin getrieben, und wenn zwei zusammengestoßen wären, hätten sie sich in entgegengesetzter Richtung gedreht. Und im Wasser hätte sich alles gespiegelt.

So aber saß ich am Ufer des kleinen Drenske Sees und kam nach meinem aufregenden Wolfserlebnis langsam wieder zur Ruhe – und zu mir selbst. Ganz in meiner Nähe beobachtete ich zwei tollende Jungfüchse. Eine Ricke kam mit ihrem Kitz direkt auf mich zu. Ich nahm den Frieden des Waldes tief in mich auf und ging meinen Gedanken nach.

Den Vorfahren nah

In Osterode, aber auch in Taberbrück selbst, so denke ich mir, hat sich viel verändert. Nicht zuletzt sprechen die Menschen heute eine andere Sprache als früher. Die Bäume aber sprechen weder Deutsch noch Polnisch. Sie haben keine Nationalität. Die Natur ist nur sie selbst – Natur. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass ich mich an keinem Ort auf der Welt meinen Vorfahren so nahe fühle wie im Taberbrücker Forst. 

Ein anderer Grund sind wohl die Gutenachtgeschichten meines Vaters. Ãœbrigens, so spannend sie auch waren, ihr Ende erlebte ich nie.