Schilda ist überall
Schildbürgerstreiche sind geradezu sprichwörtlich geworden. Bissige Historiker meinen gar, die ganze Weltgeschichte sei ein einziger Schildbürgerstreich, eine Narretei sondergleichen. Das „Lalebuch“ erschien erstmals 1597, die erfolgreiche zweite Auflage kam dann das „Schildbürgerbuch“ heraus. Die Bewohner einer kleinen deutschen Stadt sind sehr klug, so dass alle Welt nach ihnen schickt. Dadurch droht ihr Gemeinwesen zu veröden, und so beschließen sie, närrisch zu werden. Die vorgespielte Narretei verselbstständigt sich, die Bürger Schildas werden echte Narren, über die bald alle Welt lacht und spottet. Die haarsträubenden Folgen bleiben nicht aus; überpfiffig, wie sie sein wollen, brennen die Schildaer am Ende ihre ganze Stadt nieder.
In der immer wieder exzellent aufgemachten Insel-Bücherei gibt es jetzt in einer vergrößerten Ausgabe diese aberwitzigen Geschichten mit ebenso witzigen Illustrationen. Alles vergnüglich närrisch und doch mit viel Verständnis für menschliche Schwächen. Hand aufs Herz: Erleben wir nicht auch heute immer wieder Schildbürgerstreiche? Schilda ist doch eigentlich überall. Dirk Klose
Matthias Reiner/Katrin Stangl: „Die Schildbürger“, Insel Verlag, Berlin 2020, gebunden, 86 Seiten, 16 Euro
Immer wieder enttäuscht
Um die heutige konfliktbehaftete Beziehung zwischen Russland und dem südkaukasischen Georgien zu verstehen, muss man weit in die Vergangenheit zurückblicken.
Der in Berlin und Tiflis lebende Historiker Philipp Ammon hat in seinem Buch „Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation“ die Wurzeln des Konflikts vom 18. Jahrhundert bis zum Jahr 1924 untersucht, der nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung vom
9. April 1991 wieder hochkochte. Interessant ist die Betrachtung der Vorgeschichte, in der den christlich geprägten Südkaukasiern, auch als Iberer bezeichnet, eine sprachliche und kulturelle Verwandtschaft zu den Basken nahegelegt wird. Diese in der Wissenschaft nicht unumstrittene Hypothese werde von Georgiern gern betont.
Ammon beschreibt, wie georgische Herrscher im Spannungsfeld zwischen osmanischen, persischen und russischen Expansionen stets auf das Zarenreich als Schutzmacht setzten, jedoch mehrfach enttäuscht wurden. Ammon zeigt Verdienste und Fehler beider Seiten auf, deren Interesse aneinander nie versiegt ist. Trotz der zahlreichen wissenschaftlichen Fußnoten ist das Buch äußerst lesenswert.MRK
Philipp Ammon: „Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation“, Klostermann Verlag, 2. Auflage, Frankfurt 2020, broschiert, 238 Seiten, 29,80 Euro