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31.12.20 / Der Wochenrückblick / Wir sind schuld / Wie Helden zu Ungeziefer werden, und wie die Kanzlerin einem bewährten Muster folgt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 53 vom 31. Dezember 2020

Der Wochenrückblick
Wir sind schuld
Wie Helden zu Ungeziefer werden, und wie die Kanzlerin einem bewährten Muster folgt
Hans Heckel

In dem Hin und Her muss man sich erst mal zurechtfinden. Ständig ändert sich alles, und derjenige, der im festen Glauben ruhte, alles richtig zu machen, sah sich plötzlich am Pranger der Verdammten. Im November durften wir uns noch als Retter des Gemeinwesens umschmeicheln lassen, wenn wir in der Innenstadt einkaufen gingen. Die Sache war nämlich die: Weil die Gastronomie zu hatte, kamen viel zu wenig Kunden in die Läden. Ohne das Begleitprogramm mit Essen oder wenigstens mal was Trinken gehen war es ihnen zu langweilig in der Stadt. Fachleute nannten es den „Cappuccino-Effekt“.

Wir, die wir auch ohne Cappuccino den Gang in die Läden antraten, waren die Helden, die in schwerer Not und unter Verzicht auf gastronomische Zerstreuung dem deutschen Einzelhandel die Stange hielten.

Bis sich über Nacht alles ins Gegenteil verkehrte. Auf einmal wurden wir, die Helden der halb verwaisten Fußgängerzone, zu gewissenlosen Gefährdern der Menschheit erklärt, die ohne Skrupel über Leichen gingen, nur um eine Hose anzuprobieren. „Wie viele Tote ist uns denn ein Shoppingerlebnis wert?“, haute uns Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller um die Ohren. Schande über uns!

Furchtbar verschreckt und voller Schuldgefühle schlichen viele von uns schon vor Verhängung des zweiten harten Lockdowns am 16. Dezember nach Hause, um der Verdammnis zu entgehen. Von da an bestellten wir die Sachen eben im Netz, da können wir ja niemanden anstecken. 

Also jetzt alles richtig? Das hätten wir wohl gern. Nun haben die Verantwortlichen die überraschende Tatsache entdeckt, dass die im Internet bestellte Hose ja nicht im Präsenzhandel gekauft wird und daher den Läden in der Stadt dieser Umsatz fehlt. Ja, wer wäre nur darauf gekommen? Ist aber so. Die ausgewiesenen Experten, die unsere Politiker beraten, haben das rausgefunden.

Deshalb ist jetzt wieder alles anders und als Online-Besteller sind wir abermals die Bösen, weil wir durch unsere Bestellerei schuld daran sind, dass die Innenstädte veröden. Etliche Politiker bis in die CDU hinein fordern daher unsere Bestrafung mittels einer Online-Bestell-Abgabe. Damit wir dann wieder in die Läden stürmen? Quatsch, geht doch gar nicht, haben die Online-Kunden-Bestrafer doch selbst dichtgemacht. Und nun? Armin Laschet will, dass wir ab sofort Gutscheine schreiben, mit denen dann später (wann auch immer) wieder in den Geschäften eingekauft werden kann. 

Jetzt warten wir nur noch ab, bis jemand das Gutscheine-Schreiben als gemeingefährliche Sünde entlarvt und alle, die auf diesen neuesten Rat genauso reingefallen sind wie auf die vorhergegangen, als asoziales Ungeziefer auf die Anklagebank setzt. Auf die Begründung sind wir gespannt.

Kann man eine solche Politik noch als „verlässlich“ bezeichnen? In gewisser Hinsicht schon, denn zwei feste Ziele schälen sich aus dem vordergründigen Wirrwarr heraus, auf die es unseren Politikern immer ankommt.

Erstens: Verantwortung abwälzen. Bevor einfache Deutsche auf die Idee kommen, die Politiker mit der Kanzlerin vorneweg nach deren Verantwortung für die sagenhaften Versäumnisse und Fehlentscheidungen der vergangenen elf Monate zu fragen, sollen wir, die Bürger, zum einzig Schuldigen erklärt werden. Und zwar so gründlich und so lautstark, dass wir es selber glauben. Sonst funktioniert die Abwälzerei nämlich nicht. 

Zweitens: Geld eintreiben. Ist es nicht hinreißend, mit welch traumwandlerischer Sicherheit unsere Politiker selbst aus dem chaotischsten Durcheinander sich widersprechender Losungen und Anordnungen am Ende immer wieder mit der gleichen Forderung herauskommen? Genau: Eine neue Steuer muss her, diesmal eben eine Online-Bestell-Steuer.  

Natürlich will der Staat das Geld nur einsammeln, um die Läden zu retten, die er mit seinem Lockdown zuvor selbst unter Wasser gedrückt hat. Sehr mitfühlend. Das heißt, er will retten mit dem, was nach Abzug der Verwaltungskosten von dem eingetriebenen Sümmchen noch übrig ist. Und wann er retten will, kann man natürlich auch noch nicht genau sagen in einem Land, in dem Novemberhilfen im Januar oder so ausgezahlt werden, weil es die Verwaltung nicht schneller schafft, nachdem der Wirtschaftsminister infolge seines Sommerschlafs leider nicht dazu kam, die Sache vorzubereiten.

Was die Kanzlerin höchstpersönlich im Innersten antreibt, bleibt ja öfters rätselhaft. Beim Datum für den zweiten harten Lockdown beispielsweise haben wir uns gewundert, warum das Kanzleramt denn unbedingt an einem Dienstag starten wollte. Und nicht an dem Mittwoch, wie die Ministerpräsidenten es wollten (die sich dann durchsetzten), oder am Montag, der zum Alarmismus der Regierungschefin viel besser gepasst hätte. Schließlich wollte man doch Torschluss-Gedränge vermeiden.

Was für den Dienstag sprach, erfuhren wir erst, als die Bilder rum waren, die Merkel am  Montag davor beim Einkauf im feinen KaDeWe am Berliner Ku’damm zeigten. Aha, die Kanzlerin hatte also noch Besorgungen auf dem Zettel, zu denen sie am Sonnabend nicht mehr gekommen war. Da muss der „Pandemieschutz“ halt noch warten. So geben selbst kleine Dinge von Zeit zu Zeit der Weltgeschichte den Takt vor. 

Wir sehen: Merkels Volten sind bei näherem Hinsehen bisweilen weniger überraschend, als es zunächst wirken mag. Beim Umgang mit den Altenpflegeheimen schimmert ein Muster durch, das wir schon von 2015 kennen. Zunächst hieß es, wir könnten die Heime gar nicht gesondert und wirksam schützen. Als das widerlegt wurde, bellte die Kanzlerin, die Kritiker wollten die Alten „wegsperren“, was natürlich unmenschlich sei. Erkennen Sie da etwas wieder? 

Richtig: Vor fünf Jahren sagte die Kanzlerin, wir könnten unsere Grenzen gar nicht wirksam kontrollieren. Als Experten und Leute aus der Grenzschutzpraxis öffentlich nachwiesen, dass das sehr wohl ginge, fauchten die Kanzlerin und ihre zahllosen, einflussreichen Unterstützer, man könne Deutschland doch nicht „abschotten“, das sei unmenschlich. Manche warfen denen, die nur reguläre Grenzkontrollen wollten, wie es sie unter freien Ländern seit ewig gab, vor, eine Berliner Mauer um Deutschland errichten zu wollen, nur unter umgekehrten Vorzeichen, also zum Aus- statt zum Einsperren.

„Abschotten“, „Wegsperren“: Um einer sachlichen Diskussion listig auszuweichen, reicht es, die anderen nur finster genug zu dämonisieren.

Am 13. Dezember entschieden Merkel und die Ministerpräsidenten dann doch, den Schutz der Heime bundesweit besonders in den Blick zu nehmen, und beschlossen einschlägige Maßnahmen. Der polemische Vorwurf des „Wegsperrens“ hatte sich in Luft aufgelöst, und die Medien waren so freundlich, die Kanzlerin auch nicht mehr an ihr Geschwätz von gestern zu erinnern.