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08.01.21 / Baltikum / Gut digitalisiert durch die Pandemie / In der Corona-Krise kommt Esten, Litauern und Letten ihre Internet-Affinität zugute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-21 vom 08. Januar 2021

Baltikum
Gut digitalisiert durch die Pandemie
In der Corona-Krise kommt Esten, Litauern und Letten ihre Internet-Affinität zugute
Peter Entinger

Zwar sind auch im Baltikum die Auswirkungen der Corona-Pandemie spürbar, doch scheint man dort die Krise besser zu bewältigen. Dies liegt vor allem an der fortgeschrittenen Digitalisierung. Dominic Otto, Vizechef der Deutsch-Baltischen Handelskammer, formulierte es gegenüber dem Nachrichtenmagazin „FOCUS“ wie folgt: „Die baltischen Staaten haben verstanden, dass man der aktuellen Krise nur Herr werden kann, wenn man alle Möglichkeiten ausschöpft, wenn man nicht nur auf Masken, Abstandsgebot und Lockdown setzt, sondern auch auf technische Entwicklungen.“ 

Als besonders mustergültig gilt Estland. Zwar sind auch dort die Fallzahlen zuletzt wieder angestiegen, doch hat sich dort die Erkenntnis durchgesetzt, dass man eine Pandemie nicht nur mit Abstand und Maske eindämmen kann. Dies wirkt sich auch auf die politische Willensbildung aus. Abgesagte Parteitage, verschobene Kommunalwahlen wie in Deutschland sind in Estland undenkbar. Im kleinsten der Baltenstaaten konnten die Bürger weiterhin problemlos abstimmen, denn dort wählt man schon seit Jahren online. 

Heimarbeit und E-Government

Auch Teleheimarbeit ist im Land seit Langem eher die Regel als die Ausnahme, zumindest fast überall und jederzeit möglich, was die Infrastruktur betrifft. Im ganzen Land gibt es kaum einen Winkel, in dem man kein Internet nutzen kann. Estland hat die Digitalisierung seines Staatswesens bereits vor Corona massiv vorangetrieben. Ewige Wartezeiten, umständliche Formulare für Anträge und Schlange stehen bei Behörden gehören der Vergangenheit an. Die nahezu durchgängige elektronische Verwaltung, das „E-Government“, hat alles vereinfacht. Ummelden, Ausweise beantragen, wählen oder Firmen gründen – mit ein paar Klicks auf dem Rechner oder Smartphone ist vieles in Kürze erledigt.

Der Digitalisierungs-Musterstaat bezeichnet sich gerne als „e-Estonia“. Dort sind seit Jahren alle Behördenangelegenheiten von zu Hause aus zu regeln. Mehr als 3000 Dienstleistungen können digital in Anspruch genommen werden. Als Schlüssel zu den digitalen Möglichkeiten dient eine Bürgerkarte, die gleichzeitig unter anderem Ausweis, Führerschein und Versichertenkarte ist. In Deutschland werden bei solchen Dingen stets Datenschutzbedenken angemeldet. 

Ähnliches wie das über Estland Gesagte gilt auch für die anderen baltischen Staaten. Während die deutschen Gesundheitsämter beim Erfassen des Infektionsgeschehens zum Teil noch mit Excel-Tabellen, Papierformularen und Bleistift arbeiten, setzt Litauen schon seit Jahren auf ein landesweites digitales Meldesystem zum Infektionsschutz, das die Daten von staatlichen Behörden und öffentlichen Institutionen bündelt. „Im Zuge der Covid-19-Krise kreierten IT-Entwickler und Mobilfunkanbieter neue Features, sodass die Bürger regelmäßige Krisen-Updates per Messenger-Dienst aufs Handy gesendet bekommen. Eine Test-Panne wie im Sommer in Bayern bei den Reiserückkehrern wäre in Litauen undenkbar“, sagte Otto dem „FOCUS“.

In Litauen läuft der Schulunterricht seit Monaten ausschließlich digital, und das problemlos. Microsoft Lithuania stellte allen Schülern das für die Benutzung des Online-Dienstes Zoom erforderliche Office-Paket kostenlos zur Verfügung. Und Kinder, deren Eltern finanziell schlechter gestellt sind, bekamen den Laptop von den Schulen finanziert. 

Geringer Wirtschaftseinbruch

Auch im medizinischen Bereich ist das Baltikum den älteren EU-Mitgliedern meilenweit enteilt. Aus Furcht vor einer Ansteckung haben viele Deutsche in der ersten Lockdown-Phase trotz gesundheitlicher Beschwerden den Arztbesuch vermieden. Gesundheitsexperten sehen hier mittel- und langfristig große Folgeerscheinungen der Pandemie auf das deutsche Gesundheitssystem zukommen. In Litauen beispielsweise gibt es dagegen seit Jahren digitale Arztsprechstunden. Als besonders hilfreich erwies sich in den vergangenen Monaten die App „Act on Crisis“, die psychologische Betreuung in drei Sprachen anbietet. 

Die Digitalisierung vermindert auch die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie. Für Estland wird derzeit ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von nur 5,6 Prozent erwartet, für Lettland gar nur von 5,1 Prozent. Und in Litauen erwartet die Europäische Kommission sogar nur einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um gerade einmal etwas mehr als zwei Prozent. Zum Vergleich: Für Deutschland wird mit einem Rückgang von sechs Prozent gerechnet.