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22.01.21 / Ferdinand Schichau / Altpreußens größter Industriepionier / Vor 125 Jahren starb der Gründer der nach ihm benannten Schichau-Werke

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-21 vom 22. Januar 2021

Ferdinand Schichau
Altpreußens größter Industriepionier
Vor 125 Jahren starb der Gründer der nach ihm benannten Schichau-Werke
Manuel Ruoff

Zeitweise waren die Schichau-Werke eines der größten Unternehmen des Deutschen Reiches und der größte industrielle Arbeitgeber Ostdeutschlands. Ihr Gründer, der vor 125 Jahren verstorbene Ferdinand Schichau, gilt nicht nur als Elbings größter Sohn, sondern auch als der größte Industriepionier, den Altpreußen jemals hervorgebracht hat.

Begründet wurde das Unternehmen vom Spross einer Familie, die aus dem ostpreußischen Landkreis Preußisch Holland stammte und dort über Generationen als Bauern arbeitete. Ferdinand Schichaus Vater, Carl Jacob Schichau, indes hielt es nicht auf dem Lande. Der Maurer wurde im Preußisch Holland benachbarten westpreußischen Elbing selbstständiger Gelbgießermeister, also Hersteller von Messingteilen, und Mechanikus beim Eichamt. Dort in Elbing kam auch am 30. Januar 1814 Ferdinand Schichau zur Welt. Vom Vater soll er seine technische Begabung und von der Mutter Anna Elisabeth, der Tochter eines Elbinger Kornmessermeisters, die ingenieurmäßige und konstruktiv-rechnende Befähigung geerbt haben. Außerdem werden Ferdinand Schichau technische Selbstsicherheit, kaufmännische Entschlusskraft und Menschenkenntnis als Fähigkeiten bescheinigt.

An der Spitze der Antriebstechnik

Dem Besuch der Elementarschule folgte eine Schlosserlehre, die ihn auf die Übernahme des väterlichen Betriebes vorbereiten sollte. Schichau wollte jedoch größere Brötchen backen. Noch während der Lehre baute er ein funktionsfähiges Modell einer Dampfmaschine. In seinem Meister fand er einen Förderer. Dieser veranlasste 1831 eine Vorführung des Modells im Gewerbeverein der Stadt. Dort war man ähnlich begeistert von Schichaus Talent und bat den König Friedrich Wilhelm III. erfolgreich um einen Freiplatz am Königlichen Gewerbe-Institut. 

Die vergleichsweise geringe Schulbildung bereitete Schichau an dem heutigen Gewerbeinstitut Berlin zwar Anfangsschwierigkeiten, doch wusste er schnell auch als Student zu überzeugen. 1835 schloss er das 1832 aufgenommene Studium ab. Anschließend arbeitete er zwei Jahre in den Metallwerkstätten des Instituts, eine besondere Auszeichnung. Finanziell unterstützt vom Elbinger Getreide- und Holzhändler sowie Reeder Ignaz Braun ging er daraufhin auf Wanderschaft ins Rheinland, aber auch ins damals industriell führende England, um sich auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen.

Nachdem er auf dieser zweijährigen Rundreise Wissen und Erfahrungen gesammelt hatte, gründete er 1837 auf dem Grundstück seines Vaters neben dessen Gelbgießerwerkstatt eine „Maschinenbau-Anstalt“ mit anfänglich acht Arbeitern. Das war die Geburtsstunde der Schichau-Werke. Wie häufig in solchen Fällen stand am Anfang die Reparatur fremder Produkte, bevor dann zur Herstellung eigener Waren übergegangen wurde. 

Ab 1840 baute Schichau Dampfmaschinen. Die erste war noch für den Eigenbedarf, spätere wurden beispielsweise im Getreide- und Holzgeschäft oder im Brauereigewerbe eingesetzt. Aber auch in Schiffen und Lokomotiven kamen sie zum Einsatz. Da war es naheliegend für ein expandierendes Unternehmen wie die Schichau-Werke, selbst Schiffe und Lokomotiven mit ins Produktionsprogramm zu nehmen. 1854 – sein Unternehmen hatte zu jener Zeit schon um die 70 Mitarbeiter – erwarb Schichau eine Elbinger Werft und stellte dort ohne Verzug vom Holzschiffbau auf den Bau moderner Eisenschiffe um. 1855 lief dort mit der „Borussia“ der erste in Preußen gebaute eiserne Hochseedampfer mit Schraubenantrieb vom Stapel. 

Die „Borussia“ war ein Handelsschiff, doch zu einem großen Kunden entwickelten sich neben Zivilisten die preußischen wie die Seestreitkräfte anderer Staaten. 1877 baute Schichau das erste einer ganzen Reihe von Kriegsschiffen. Eine Spezialität wurden Torpedoboote mit der von Schichaus Mitarbeiter, Schwiegersohn und späteren Nachfolger in der Unternehmensführung, Carl Heinrich Ziese, konstruierten leichten Dreifachexpansionsdampfmaschine. Das Deutsche Reich, Italien und Österreich-Ungarn bezogen ebenso Torpedoboote und -kreuzer von Schichau wie Russland, das Osmanische Reich, Japan, China, Brasilien, Norwegen und Schweden. 

Breite Angebotspalette

Um einen direkten Zugang zur Ostsee für die Reparatur und den Bau größerer Schiffe zu haben, wurden zusätzlich zum Werftbetrieb in Elbing eine Reparaturwerkstätte und ein Schwimmdock in Pillau sowie eine weitere große Werft in Danzig gebaut. Bei Letzterer handelt es sich um eine der beiden Vorgängerinnen der späteren Lenin-Werft der Sowjetzeit und heutigen Werft Danzig. In Anwesenheit Kaiser Wilhelms II. lief dort 1893 mit der Kreuzerkorvette „Gefion“ das erste Schiff vom Stapel. Es folgten bereits im darauffolgenden Jahr die Passagierdampfer des Norddeutschen Lloyd „Prinzregent Luitpold“ und „Prinz Heinrich“.

Schichau beschränkte sich jedoch bei den Schiffen nicht auf deren Bau und Reparatur, er bereederte sie auch. Dafür gründete er 1886 in Elbing die Dampfschiffs-Reederei F. Schichau. Schichau baute sein Angebot an Waren und Dienstleistungen systematisch aus, es entstand ein Konzern.

Zu diesem Konzern gehörte auch eine bedeutende Lokomotivfabrikation. 1859 begann Schichau in seiner Maschinenfabrik mit dem Bau von Lokomotiven. Elf Jahre später errichtete er für diesen Produktionszweig die Lokomotivfabrik und Kesselschmiede Trettinkenhof, die drei Jahre später an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Für die Königliche Eisenbahn-Direktion Hannover entstanden dort 1880 Deutschlands erste Lokomotiven mit einer Mehrfach-Expansionsmaschine. Diese Verbunddampfmaschinen waren eine Spezialität Schichaus. Der Vorteil dieser Edelvariante der Dampfmaschine liegt darin, dass sie die Dampfdehnung mittels getrennter Zylinder mehrfach nutzt, was bei Fahrzeugen zu Wasser wie zu Lande zu höheren Geschwindigkeiten und/oder niedrigerem Verbrauch führt. 

Als 1883 die F. Wöhlert’sche Maschinenbau-Anstalt und Eisengießerei liquidiert wurde, übernahm Schichau von dem Konkurrenzunternehmen aus Berlin dessen Waggonfabrik in Elbing. Das führte zu einer nochmaligen Erweiterung der Angebotspalette von Schichau.

Eine Woche vor seinem 82. Geburtstag, am 23. Januar 1896, starb der umtriebige Preuße in seiner Geburts- und Heimatstadt. Bis dahin belief sich die Gesamtproduktion seines damals 4000 Mitarbeiter zählenden Konzerns auf ungefähr 1650 Dampfmaschinen, 1850 Dampfkessel, 800 Lokomotiven, 500 Handelsschiffe und 180 Torpedoboote sowie 50 Dampfbagger, darunter auch der erste überhaupt in Deutschland produzierte. Wie im Schiff- und Lokomotivbau leistete Schichau auch auf diesem Gebiete der dampfangetriebenen Maschinen Pionierarbeit in und für Deutschland.