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22.01.21 / Fürstenberg an der Havel / Wasserstadt inmitten der Provinz / Mancherorts lässt sich noch ungestört dem Lockdown entfliehen – Touren rund um ein Idyll im Norden Brandenburgs

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-21 vom 22. Januar 2021

Fürstenberg an der Havel
Wasserstadt inmitten der Provinz
Mancherorts lässt sich noch ungestört dem Lockdown entfliehen – Touren rund um ein Idyll im Norden Brandenburgs
Bettina Müller

Der Mann in der Bahnhofskneipe schwankt bereits und sollte besser nach Hause gehen. Doch schon am nächsten Tag wird er erneut gesichtet, als er sein Saufgelage fortsetzt. Vermutlich hat er in diesem Zustand keinen Blick mehr für die Schönheiten seines Wohnorts, des heute zu Brandenburg gehörende Fürstenberg an der Havel. Der 1278 erstmals als „Siedlung an einer Burg“ erwähnte, einstige mecklenburgische Ort, auf halber Strecke von Berlin und Neubrandenburg gelegen, darf sich heute als einzige Stadt Deutschlands „Wasserstadt“ nennen. 

Dem flüssigen Nass kann sich hier niemand entziehen. Der Innenstadtkern wird von drei Seen eingekeilt, und das Stadtgebiet an mehreren Stellen von der Havel durchströmt. Menschen stehen an der Schleuse am südlichen Ortseingang und begutachten das übliche Spiel, wie die Freizeitkapitäne sich nur langsam durch die Schleuse kämpfen. Oft stauen sich bei strahlendem Sonnenschein die Boote und die Reisenden machen es sich zunächst geduldig auf Deck gemütlich. Ist das zunächst noch sehr idyllisch, macht die Brandenburgerstraße die bis dato angenehme Atmosphäre nun jäh zunichte. 

Die umstrittene B 96 ist unschöner Henker der Harmonie, denn sie zerschneidet die Stadt und macht es dem Fußgänger selten leicht, tief durchatmend vorwärts zu kommen. Lastwagen brettern hindurch, die Luft ist von Benzin geschwängert. Vorbei geht es daher zügig an dem Haus in der Brandenburger Straße 36, in dem der Altertumsforscher und Troja-Entdecker Heinrich Schliemann von 1836 bis 1841 als Kaufmannslehrling gelebt hat. Schnell ist man dann am Markt, an dem einige Verkaufsstände mit regionalen Produkten locken. Überwacht wird das Ganze von der evangelischen Stadtkirche, die schon von Weitem als Orientierungshilfe dient. Vor 175 Jahren begann der Bau des vom Schinkel-Schüler Friedrich Wilhelm Buttel entworfenen Gotteshauses, der drei Jahre später beendet war.

Am Schloss nagt der Zahn der Zeit

Nach der Vereinigung sollte der Ort möglichst schnell von den Spuren seiner DDR-Vergangenheit entrümpelt werden, um vor allem für potentielle Touristen jene goldenen Zeiten aufleben zu lassen, als die Stadt einst als Luftkurort entdeckt wurde. Der Bau des Elbe-Havel-Kanals 1837 und die Konzession für den Bau einer Eisenbahnstrecke von Berlin über Neustrelitz nach Stralsund Ende 1871 hatte in der Folge Handel und Wirtschaft erblühen lassen. Wohlhabende Berliner bauten sich eine Ferienvilla in der Wallstraße. 

Doch das alte Fürstenberg sollte erneut – weiß getüncht – zahlungskräftigen Touristen präsentiert werden, 1991 wurde die Stadt in das Städtebauförderprogramm des Bundes aufgenommen. Vielleicht ein Fass ohne Boden, denn es scheint eine leichte Stagnation eingetreten zu sein. Während die Villen in der Wallstraße tatsächlich vor sich hin prunken, und sich zum Beispiel auch der Marktplatz sehen lassen kann, sieht das barocke Schloss Fürstenberg, stadtauswärts in Richtung Norden gelegen, eigentlich immer noch genau so aus wie vor drei Jahren. Damals schützte ein großer Zaun das leer stehende Bauwerk, das locker ein Prestigeobjekt sein könnte, vor unerwünschten Besuchern.

Ein wenig wurde in der Zwischenzeit mit dem Farbeimer hantiert, dann ließ man ihn wieder fallen. Getan hat sich nichts und was man eigentlich damit vorhat, erschließt sich dem Besucher nicht. Im Dezember 2020 ist das Objekt schließlich an eine Grundstücksentwicklungsgesellschaft verkauft worden. 

Ein dunkles Kapitel aufgeschlagen

Die einschlägigen Spuren der Vergangenheit sind hartnäckig, so schnell wollen sie nicht weichen, sie mahnen und erinnern. Auf dem beliebten Radfernweg Berlin-Kopenhagen in Richtung Steinförde dauert es nicht lange und auf der ersten Ruine im Wald, die vermutlich Teil eines DDR-Ferienlagers war, sind Hammer und Sichel im Gemäuer zu erkennen. Steigt man am Bahnhof aus, so ist das Mahnmal für die sowjetischen Gefallenen des Zweiten Weltkriegs unübersehbar.

Auch am dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte führt in Fürstenberg kein Weg vorbei: einem Ort des Grauens mit gespenstischer Atmosphäre. 1939 ließ die SS am östlichen Ufer des Schwedtsees das größte deutsche Frauenkonzentrationslager errichten, das am 30. April 1945 von der Sowjetarmee erobert wurde, deren verlassenen Villen andernorts in der Stadt vor sich hin modern. Das Areal ist heute eine Mahn- und Gedenkstätte. Auf der Fahrradstraße gelangt man schließlich nach Himmelpfort und nun wird es endlich heiterer. Kinder aus aller Welt dürfen dem dort ansässigen Weihnachtsmann brieflich ihre Wünsche mitteilen.

Fürstenberg ist ein Ort, in dem die Geister der Vergangenheit noch heute deutlich spürbar sind. Drei Jahrzehnte konnten sie nicht austreiben. Aber gerade das verleiht der Stadt stellenweise auch einen gewissen Charme. Freizeitkapitäne, Radfahrer, Wanderer und Schwimmer, aber auch Historiker und (N)Ostalgiker sind dort gut aufgehoben.