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22.01.21 / Sierra Leone / Alles im Sack / Ein Künstlerpaar aus Schleswig-Holstein sorgt mit „Lionbags“ für Arbeit in Westafrika und will damit den Migrantenstrom stoppen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-21 vom 22. Januar 2021

Sierra Leone
Alles im Sack
Ein Künstlerpaar aus Schleswig-Holstein sorgt mit „Lionbags“ für Arbeit in Westafrika und will damit den Migrantenstrom stoppen
Andreas Guballa

Wenn Marion von Oppeln an der Nähmaschine sitzt, entstehen keine Tischdecken für den eigenen Bedarf, sondern neue Schnittmuster für die Produktion im westafrikanischen Sierra Leone. Die 50-jährige Designerin vertreibt mit ihrem Ehemann Lars Bessel sogenannte „Lionbags“, „Löwentaschen“ aus gebrauchten Zementsäcken kombiniert mit farbenfrohen afrikanischen Stoffen. 

Die Idee kam den beiden Schleswig-Holsteinern 2017, als sie das erste Mal für ein gemeinsames Buchprojekt nach Sierra Leone reisten. Während der Recherchen stieß das Ehepaar auf eine kleine Berufsschule in Kamakwie im Norden des westafrikanischen Landes. Im ersten Schritt gründeten die beiden einen Förderverein in Deutschland mit dem Namen „Mahmoo e.V.“, der seitdem vor allem Schülerstipendien finanziert. 

Doch eine Berufsausbildung bedeutet dort noch lange keinen Job. „Es gibt keine Firmen oder gar Fabriken und selbst eine mechanische Nähmaschine aus China für 150 Euro ist quasi unbezahlbar“, so Bessel, „für viele Mädchen bedeutet das den Weg in die Prostitution – und für viele Jungs den nach Europa.“ 

Die Lösung hatte Marion von Oppeln und sie trägt den Namen „Lionbags“. Die Taschen sind eigentlich Säcke der Firma „Leocem“, ein Tochterunternehmen des deutschen Baustoffriesen „Heidelberg Cement“. Die leeren Säcke aus gewobenen Kunststofffasern mit dem schicken Löwenkopf darauf werden auf den Baustellen meist achtlos in der Umwelt entsorgt oder kurzerhand verbrannt. Mit etwas farbenfrohem afrikanischem Stoff können sie aber zu belastbaren Tragetaschen umgearbeitet werden. 

Das Design stammt von der hauptberuflichen Grafikdesignerin und Illustratorin von Oppeln, umgesetzt wird es von jenen jungen Näherinnen in Sierra Leone, die gerade die Berufsschule absolviert haben. „Auf diese Weise schaffen wir nicht nur gut bezahlte Jobs und bekämpfen Fluchtursachen, sondern verwerten auch noch jede Menge Plastikmüll und schützen die Umwelt“, so von Oppeln. 

Trotz intensiver Reinigung der gebrauchten Zementsäcke bleibt immer ein kleiner Rest an Zementkrümeln zwischen den Lagen des Sacks hängen. Daraus macht von Oppeln ein Markenzeichen: „Nur echt mit dem Rieselsound.“ Die Schneiderinnen dürfen nach Schulschluss die Nähmaschinen der Berufsschule nutzen und können sich so ohne Startkapital ein Jahr lang das Geld für eine eigene Maschine erarbeiten, während sie gleichzeitig schon Lohn mit nach Hause bringen.

Müllsäcke für eine bessere Zukunft

Die afrikanischen Stoffe für das Futter, die Trageschlaufen und eine Borte stammen von örtlichen Händlern, die diese meist aus Nigeria oder Ghana importieren. Es war seit dem vergangenen Herbst viel Überzeugungsarbeit nötig, bis aus dem Plastikmüll Tragetaschen wurden, die deutschen Qualitätsstandards genügen. 

Von Oppeln kennt da kein Pardon: „Der Sack ist Müll, alles andere muss perfekt sein.“ Schließlich gehe es hier nicht darum, Spenden zu sammeln, sondern mit guter Arbeit den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen – selbstbewusst und unabhängig. 

Im Büro ihres Mannes hängen Fotos an den Wänden, die den 50-jährigen Filmemacher im westafrikanischen Busch zeigen, umringt von vielen schwarzen Kindern. „Ich möchte, dass diese Jugendlichen später eine Zukunft im eigenen Land haben und nicht nach Europa fliehen müssen“, sagt er. Bessel leitete 2015 in Itzehoe ein Aufnahmelager mit mehr als 1000 Immigranten. „Wir müssen uns um die Fluchtursachen kümmern“, sagt er.

Inzwischen verkaufen die beiden Initiatoren die Taschen über das Internet. Auf der Seite www.lionbag.de können Interessierte die „Lionbags“ für 19,50 Euro bestellen. Vom Verkaufspreis gehen 25 Prozent nach Sierra Leone. „Das ist viel Geld“, macht Bessel deutlich. Allein zwei Euro bekomme jede Schneiderin pro Tasche, „das ist das doppelte des dort üblichen Tageseinkommens.“ Ansonsten muss der Stoff gekauft werden, und auch die Schule bekommt etwas ab für die Nutzung der Infrastruktur. Den größten finanziellen Batzen machen am Ende jedoch der Transport, Steuern, Zoll und weitere Gebühren aus. 

Die beiden Unternehmen sagen aber auch deutlich, dass sie ihre eigene Arbeitszeit ebenfalls einkalkuliert haben. Bessel: „Langfristig kann Entwicklungs-Zusammenarbeit nur funktionieren, wenn es für beide Seiten ein Geschäft ist.“ Damit dieses Geschäft weiterwächst, sitzt von Oppeln an ihrer Nähmaschine und entwirft neue Schnittmuster. „Unter anderem sind Küchenschürzen in Vorbereitung und eine Damenhandtasche.“ Wegen den Reiseeinschränkungen konnten sie 2020 keine Inspirationen vor Ort empfangen. Bis man wieder alles im Sack hat, wird wohl einige Zeit vergehen.