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29.01.21 / „Briefe eines Verstorbenen“ / Der scharfsinnige Fürst Geschwätzig / Als Dandy war Pückler-Muskau in Europa eine Spottfigur – Als Schriftsteller wider Willen erwarb er sich später viel Respekt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-21 vom 29. Januar 2021

„Briefe eines Verstorbenen“
Der scharfsinnige Fürst Geschwätzig
Als Dandy war Pückler-Muskau in Europa eine Spottfigur – Als Schriftsteller wider Willen erwarb er sich später viel Respekt
Harald Tews

„Befriedigt steckte der Graf sein Notizbuch ein und entfernte sich unter endlosen Bücklingen, höchlichst vergnügt, seine Sammlung mit so wichtigen Dingen bereichert zu haben. ,Ein bewunderungswürdiger Mann, der Graf Smorltork!‘, bemerkte Mrs. Leo Hunter. ,Ein tiefer Philosoph‘, bestätigte Pott. ,Ein heller Kopf, ein bedeutender Geist‘, fügte Mr. Snodgrass hinzu. Die Umstehenden stimmten in die Lobeshymne auf den Grafen Smorltork ein, nickten weise und riefen einmütig: ,In der Tat‘.“

Der Graf Smorltork (Graf Geschwätz), der in Dickens humoristischem Roman „Pickwick Papers“ so enthusiastisch gefeiert wird, ist kein geringerer als Fürst Pückler. Noch bevor er selbst zum Literaten avancierte, war er bereits eine literarische Figur. Bei Dickens steckt in den übertriebenen Lobeshymnen aber auch feiner Spott über den in der englischen Sprache hilflos dilettierenden Grafen Smorltork.

Als Pückler 1826 zu seiner zweiten Reise nach England (sowie Irland) aufbrach, war er bereits in aller Munde. Die Gazetten titulierten ihn wenig ehrfurchtsvoll als Prince Pickle, Fürst Essiggurke. Das hätte zum Gärtner gepasst. Denn nach seiner ersten Englandreise im Gefolge König Friedrich Wilhelms III. ließ er sich von der britischen Gartenkunst inspirieren und machte sich bei seiner Rückkehr ab 1815 einen Namen mit seinem im englischen Stil neugestalteten Muskauer Park. 

Im Ausland ging ihm eher der Ruf als Duellant, Dandy und Glücksritter voraus.  Sein Glück als Schürzenjäger ließ ihn bei seinem zweiten Englandaufenthalt aber im Stich. Da er sich mit seinen Gartenplänen hoch verschuldet hatte, wollte er eine reiche Lady heiraten. Dazu ließ er sich von seiner neun Jahre älteren Frau Lucie, einer Tochter des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg, extra scheiden. Der Plan basierte sogar auf ihrer Idee. Weil auch Lucie gern auf verschwenderischem Fuß lebte, erwog man eine Ménage à trois mit einer reichen Ausländerin – eine damals durchaus nicht unübliche Praxis, um die Finanzen zu sanieren.

Doch die Engländerinnen durchschauten den Fürsten und ließen sich nicht auf dieses Spiel ein. Ohne neue Ehefrau kehrte er zu seiner geliebten Lucie zurück, erzielte aber ein kleines Vermögen mit einer Profession, die er niemals angestrebt hatte: als Reiseschriftsteller.

Während seiner zwei Jahre in England und Irland schrieb er Dutzende von tagebuchähnlichen Briefen an Lucie. Diese las daraus dem mit ihr befreundeten Berliner Schriftstellerpaar Rahel und Karl August Varnhagen von Ense vor, die es veröffentlichen wollten. Bei seiner Rückkehr lag Pückler bereits ein fertiges, freilich von frivolen Stellen gereinigtes Manuskript vor. Ohne dass er groß die Hände rühren musste, ging es als zunächst zweibändige Ausgabe in den Druck. Später folgten noch zwei weitere Bände. Der Titel des anonym erschienenen Werks, „Briefe eines Verstorbenen“, war eine Anspielung auf den nach der Restauration sich politisch wie tot fühlenden liberalen Fürsten.

Die wahre Autorschaft blieb nicht lange unentdeckt. Ganz Europa wusste von Pücklers Reisen und Affären. Das Werk wurde daher von dem damals schon klatschsüchtigen Publikum begeistert aufgenommen. Der 80-jährige Goethe ließ sich auf Wunsch seines Freundes Varnhagen von Ense zu einer wohlwollenden Buchkritik über ein „für Deutschlands Literatur bedeutendes Werk“ hinreißen: „Man mag sich von ihm, wie von einem lieben Reisegefährten, nicht trennen.“

Dabei ist dieser Cicerone ein scharfsinniger Beobachter, der keine Kritik scheut. In Irland wundert er sich, dass zerlumpte Kinder den englischen König hochleben lassen: „Das ist Irland! Vom Gouvernement vernachlässigt oder bedrückt, von der stupiden Intoleranz des englischen Priestertums erniedrigt, von seinen reichen Landbesitzern verlassen und von Armut und Whiskygift zum Aufenthalt nackter Elenden gestempelt!“

Die „Briefe“ wurden wegen ihres Mix aus Witz (ob es auch in Deutschland Esel gäbe, fragte ein Ire. Pückler seufzend: „Ach mehr als zuviel!“), Sozialkritik und Naturbeschreibung ein Bestseller, erschienen rasch in zweiter Auflage und wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Davon ermutigt, lieferte Pückler nach: In seinen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ breitete er seine bahnbrechenden Ideen von Sichtachsen und Rasengestaltung aus, mit „Tutti Frutti“ schuf er ein fünfbändiges Lesebuch mit satirischen Schriften und mit „Semilassos vorletzter Weltgang“ sowie „Aus Mehemed Alis Reich“ verfasste er humorvolle Berichte von seinen Orientreisen. Eines war „Graf Smorltork“: ein Multitalent.