19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.01.21 / Östlich von Oder und Neiße / Staatliche Hilfen haben „Anerkennungscharakter“ / Polnischer Unternehmerverband stellt sich hinter Ladenbesitzer, die öffnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-21 vom 29. Januar 2021

Östlich von Oder und Neiße
Staatliche Hilfen haben „Anerkennungscharakter“
Polnischer Unternehmerverband stellt sich hinter Ladenbesitzer, die öffnen
Chris W. Wagner

Polen sind dafür bekannt, stets nach neuen Wegen zu suchen und Verbote zu umgehen. So fand in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar in Breslau eine Tanzveranstaltung statt – mitten im Lockdown. Nur hatten sich die Partygänger offiziell nicht zum Tanzen versammelt. Sie folgten der Einladung, bei der Gründung der „Unternehmerstreik-Partei“ mitzumachen. In der Einladung wurde als Hauptredner Michał Wojciechowski angekündigt. Er ist Begründer der polenweiten Unternehmerinitiative „#otwieraMY“, was soviel wie „Wir öffnen“ bedeutet. Wer dabei sein wollte, musste am Einlass seinen Parteibeitritt unterzeichnen. „Ziel der Partei ist die Öffnung der Unternehmen und der Kampf gegen die Beschlüsse, die ungerechtfertigt und ganz bestimmt nicht rechtens sind“, so Clubbesitzer Jakub Kuczyński gegenüber der Oppelner Tageszeitung „NTO“.

„Kannst du zählen? Dann zähle auf dich”, ist der Slogan der Bewegung, die sich als Antwort „auf die durch Politiker geschaffene Krise“ sieht. Den Ursprung hat sie in der Widerspenstigkeit vieler Goralen [Gattung der Ziegenartigen]. Den Goralen der Tatra sagt man ohnehin immer besonderen Schneid nach. Und so öffneten in und um die Tatra immer mehr Gastronomen, was nicht nur Urlauber augenscheinlich gerne nutzen. Trotz Lockdowns sind hier viele auswärtige Kennzeichen zu sehen. „Wir mögen es nicht, wenn man uns sagt, wie wir zu leben haben. Es sind die Beamten und Angestellten staatlicher Ämter, die Angst vor dem Coronavirus haben. Ihnen geht es dann gut, wenn sie gemütlich in ihren Sesseln sitzen und auf ihren Monatslohn warten. Wir müssen arbeiten“, so Katarzyna Wiercioch aus Zakopane gegenüber dem Tagesblatt „Gazeta Prawna“. Auch sie hat sich „#otwieraMY“ angeschlossen.

In Neustadt [Prudnik] in Oberschlesien wurde ein Friseur, der seinen Salon öffnete, vom Gesundheitsamt mit umgerechnet 2350 Euro Bußgeld belegt. Vor Gericht bekam jedoch der Friseur Recht. Das Verwaltungsgericht der Woiwodschaft forderte das Gesundheitsamt auf, das Bußgeld zurückzuzahlen und die Verfahrenskosten zu übernehmen. Begründung: Einschränkungen der unternehmerischen Tätigkeit oder aus der Verfassung resultierender bürgerlicher Freiheiten könnten lediglich durch ein Gesetz oder einen Katastrophenzustand eintreten, nicht jedoch durch einen Regierungserlass.

Das Urteil des Oppelner Gerichts motivierte Lokalbesitzer Tomasz Kwiek aus dem polnischen Teil der tschechisch-polnischen Stadt Teschen im einstigen Österreichisch Schlesien. Er habe mit vielen Gastronomen gesprochen, die wir er das Recht auf ihrer Seite sehen.

Beschränkung der unteren Gerichte

Der Oppelner Anwalt Piotr Walczak sagte dem Internetportal „money.pl“, dass es bereits Gemeinschaftsklagen gegen den Fiskus aus der Tourismusbranche gäbe, er räume den Mandanten seiner Kollegen wenig Erfolgsaussichten ein. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki möchte auf das Verfassungsgericht einwirken, sodass untere Gerichte nicht über die Verfassungsmäßigkeit der Restriktionen entscheiden dürfen.

Auch in den niederschlesischen Tourismushochburgen wollen Unternehmer nicht länger auf Lockerungen warten. 100 von etwa 600 Lokalen, Hotels oder Fitness-Einrichtungen hatten ihre Öffnung  bereits angekündigt. Um sie zu entmutigen, forderte die Regierung, die Unbeugsamen aus dem Rettungsfond für die Tourismus- und Fitnessbranche auszuschließen. Doch viele der Unternehmer glauben nicht mehr an staatliche Hilfen. Schon allein, weil im Regelwerk des Rettungsfonds „Programm 2.0“ zu lesen sei, dass „einige Aspekte dieses Programms einen Anerkennungscharakter haben sollen“. Seit dem 15. Januar gilt, dass es „im Falle eines Bruchs der Vorgaben durch den Antragsteller“ zur Nichtauszahlung kommen könne. Ein Grund mehr auf die staatliche Hilfe zu verzichten, so der Teschner Tomasz Kwiek. Sein 2019 gegründetes Lokal ist trotz Polizeirazzien und Gesundheitsamtsvisiten derzeit regelmäßig ausgebucht. 

Der polnische Unternehmerverband Kongres Polskiego Biznesu sammelt derzeit Geld für einen Rechtsschutz der Unbeugsamen. In Deutschland wäre das undenkbar.