Beängstigend nahe Dystopie
Man kann Werner Hubers fesselnden Roman „2029 – eine deutsche Zukunft“ nicht lesen, ohne sich an Orwells Klassiker „1984“ zu erinnern. Er spielt überwiegend in Berlin und schildert ein Ehepaar, das in Russland ein Kind adoptieren möchte. Dadurch gerät es in den Wirbel vom russischen Geheimdienst, der wegen des zur Macht drängenden radikalen Islam in Deutschland alarmiert ist, und andererseits deutschen Verfassungsschutz, dem politischer Rückhalt gegen diesen fehlt, sowie Bundeswehrkreisen, welche gegen die Gefahr angehen – mit tragischem Ausgang.
Mit „1984“ teilt Hubers Buch die Sicht auf den Totalitarismus, doch während Orwell 1948 weit in die Zukunft griff und so seiner Mahnung den Trost der Dystopie ließ, liegt „2029“ beängstigend nahe, und das bestätigen die Geschehnisse. Die CDU steht vor einer Regierungsbildung und alles deutet darauf hin, dass kein Weg an einer Koalition mit einer islamfreundlichen Partei vorbeiführt. Auf den Straßen aber mehren sich, wie im Buch, Gewalt und Willkür, der Staat ist hilflos und sucht die Rettung im Ausspielen von Extremisten gegeneinander. Die Unfreiheit wirft Schatten, sie ist noch keineswegs Wirklichkeit wie in „1984“, doch die Schritte dieser Entwicklung, die über unsere heutigen Verhältnisse hinausgehen, sind nicht groß, und das alarmiert. Der Leser spürt, wie nahe eine Umwälzung ist, die er nicht wollen kann. Denn der Staat hat in seiner Schwäche und durch seinen Verzicht auf die eigenen Prinzipien jeden Anspruch verloren.
Florian Stumfall
Werner Huber: „2029 – Eine deutsche Zukunft“, GHV Verlag, Bad Schussenried 2020, Klappenbroschur, 289 Seiten, 16,99 Euro
Der Weg einer Jugendlichen
Wie ihre bisherigen Romanen spielt auch Elena Ferrantes aktueller Titel „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ in Neapel. Im Mittelpunkt steht Giovanna, die bislang unbeschwert heranwuchs. Als sie zufällig hört, dass ihr Vater die Heranwachsende mit seiner verhassten Schwester vergleicht, bricht für Giovanna eine Welt zusammen.
Das Kapitel als Papas Liebling ist damit abgeschlossen. Sie nimmt Kontakt zu ihrer Tante auf, zu der sie sich magisch hingezogen fühlt. Das Bild ihres schönen, erhabenen Vaters bekommt Risse, doch auch die Mutter hat Geheimnisse, denen Giovanna auf die Spur kommt.
In gewohnt spannender Weise zeichnet Ferrante den Weg einer Jugendlichen ins Erwachsenenalter nach. MRK
Elena Ferrante: „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, gebunden, 415 Seiten, 24 Euro