25.04.2024

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05.02.21 / Kolumne / Lob des „Flickenteppichs“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-21 vom 05. Februar 2021

Kolumne
Lob des „Flickenteppichs“
Florian Stumfall

Was immer mit Corona zusammenhängt, Fallzahlen und ihre Entwicklung oder die Bekämpfung der Krankheit samt Ergebnissen, das alles regt zu manchen Reaktionen auch außerhalb des medizinischen Geschehens an. Da bietet sich zunächst und vor allem das weite Feld der Politik, und bei der Lektüre einer Tageszeitung kann man sich fragen, wie solche in Zeiten vor Corona überhaupt haben gefüllt werden können. Dabei aber ist immer wieder ein Grundton vernehmbar, nämlich die Forderung, man dürfe die Maßnahmen gegen die Seuche nicht den einzelnen Ländern überlassen, sondern müsse einheitliche Vorschriften in Kraft setzen; man habe es mit einem „Flickenteppich“ zu tun, und das sei vom Übel. 

Hier allerdings muss es erlaubt sein zu fragen, warum im oberbayerischen Landkreis Berchtesgaden, wo es eine hohe Belastung gibt, und, sagen wir, den niedersächsischen Landkreisen Lüneburg oder Verden mit sehr geringen Fallzahlen die gleichen Regeln gelten sollen. Von der Zweckmäßigkeit her kann das schwerlich begründet werden. So erkennbar auch an Gerichtsurteilen, wenn etwa die Zulässigkeit der Schließung einer Schule ausdrücklich an der örtlichen Lage gemessen wird. Dennoch hält sich die Forderung nach Gleichheit von Nord bis Süd mit großer Hartnäckigkeit.

 Der Grund dafür liegt nicht bei Problemen der Gesundheit, sondern hier taucht wieder einmal der altbekannte Zentralismus auf. Während aber Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gemeinsamkeit im Handeln beschwört, haben es in der Peripherie Landräte und Bürgermeister mit der Wirklichkeit zu tun und können nicht warten, bis sich die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten einig, geschweige denn, bis die „Gesundheits-Union“ von Ursula von der Leyen, der EU-Kommissarin von Merkels Gnaden, Wirklichkeit geworden ist. 

Zentralisierung Deutschlands

Dass es richtig ist, zu differenzieren, gesteht ungewollt auch die Bundesregierung ein, wenn sie verfügt, dass Einreisen aus bestimmten Ländern untersagt werden, solche aus anderen aber weiterhin erlaubt bleiben sollen, je nachdem, wie jeweils die Zustände sind. Das ist das richtige Prinzip. Wenn dies aber bei der Beurteilung von anderen Ländern richtig ist, kann es bei der Einschätzung der Verhältnisse in Deutschland und den verschiedenen deutschen Ländern nicht falsch sein.

Wenn allerdings von zentralistischen Methoden die Rede ist, drängt sich sofort der Gedanke an die EU und an Brüssel in den Vordergrund. Den ersten Nachweis seiner Untauglichkeit hat aber das System auch im Zusammenhang mit Corona schon geliefert. Deutschland ist mit der Beschaffung von Impfstoffen in Verzug, weil die Kanzlerin auf eine EU-Lösung warten wollte. Hätten sie und ihr Minister Jens Spahn rechtzeitig und aus eigener Überlegung gehandelt, könnte Deutschland heute diesbezüglich so gut dastehen wie Großbritannien oder Israel. 

Soviel, was den Zentralismus und die aktuelle Volksgesundheit angeht. Doch der alte Glaube daran, dass Entscheidungen umso klüger ausfallen, je weiter entfernt von den Menschen sie getroffen werden, je weniger Kenntnisse von örtlichen Einzelheiten dabei mitspielen und je weniger unmittelbare Verantwortung damit verbunden ist, scheint unsterblich. Selbstverständlich wird deshalb jede Erinnerung an das Prinzip der Subsidiarität, der gestaffelten Zuständigkeit, gelöscht. Dabei stellt die Aufteilung der Befugnisse eine unverzichtbare Form der Gewaltenteilung im Staat dar, zusätzlich zu der des griechischen Philosophen Aristoteles, die zum Kennzeichen freiheitlicher Ordnungen geworden ist. 

Nur eine solche Aufteilung kann den Wettbewerb der politischen Vorstellungen und Strategien ins Werk setzen. Nur sie gewährleistet, dass sich gegenüber einer guten Idee eine bessere durchsetzen kann. Da aber der Wettbewerb ein Kennzeichen freiheitlicher Ordnungen ist, gilt sein Prinzip nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. Der Zentralismus aber zerstört sein gesamtes Regelwerk und ersetzt es durch Dienstanweisung oder Richtlinie, wenn nicht gar durch Befehl und Gehorsam.

Wer die Befugnisse an zentraler Stelle ansammeln will, der wird sie den bisherigen, untergeordneten wegnehmen müssen. So verlieren die Gemeinden an Rechten, nach ihnen die Landkreise, die Bezirksregierungen, bis endlich alles in einer Hand gebündelt ist. So verfahren alle autoritären und diktatorischen Regime, und die Gefahr ist nicht zu übersehen, dass, wo solche noch nicht bestehen, dieses Vorgehen dazu führt. Seit dem Bestehen des Grundgesetzes, also seit 1949, ist es an die 60-mal geändert worden, davon über 

50-mal zugunsten des Bundes und damit zu Lasten der Länder. Hier hat eine Zentralisierung im Geheimen stattgefunden, die sich, weil diese Änderungen nunmehr Regel geworden sind, umfassend auswirkt.

Zentralisierung Europas

Mit den Zuständigkeiten, welche die Gebietskörperschaften nach oben verlieren, gehen ihnen auch die Finanzmittel verloren, über welche sie bislang verfügt haben, um ihre Aufgaben zu finanzieren. Sie werden finanziell ausgezehrt und mehr und mehr abhängig von der Zentralstelle. Wer nach Gründen für die fatale Finanzlage der Gemeinden, Städte und Landkreise sucht, der kann hier einen finden. Gleichzeitig verlieren tausende Entscheidungsträger in den kommunalen Gremien ihre Stimme zugunsten einiger Funktionäre in der Zentrale. Dafür wird ständig die Parole vom Bürger verbreitet, dem mehr Mitsprache zukommen solle.

Dasselbe spielt sich im Verhältnis der Mitgliedsländer und der EU ab. Zwar verbieten die Verträge, dass ein Land für ein anderes finanziell einspringt oder dazu veranlasst werden kann, doch gerade für diesen Zweck wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingerichtet und mit unantastbaren Privilegien ausgestattet. Was die Verträge verboten – „no bail out“, keine Vergemeinschaftung von Schulden – ist heute EU-Wirklichkeit und wird es bleiben, solange noch jemand an den Euro glaubt. Dabei ist es hier müßig, über eine denkbare Sinnhaftigkeit zu sprechen, die vielleicht einen solchen Bruch von Verträgen herbeigeführt haben mag. Entscheidend ist, welche Hierarchie der Brüsseler Werteordnung hier offenbar wird: Der Zentralismus rangiert vor dem kodifizierten Recht.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.