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05.02.21 / Philipp Franz von Siebold / Ein Deutscher war Wegbereiter der Japanologie / Der vor 225 Jahren zur Welt gekommene Wissenschaftler ist im „interessantesten Land der Welt“ weitaus bekannter als in seiner Heimat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-21 vom 05. Februar 2021

Philipp Franz von Siebold
Ein Deutscher war Wegbereiter der Japanologie
Der vor 225 Jahren zur Welt gekommene Wissenschaftler ist im „interessantesten Land der Welt“ weitaus bekannter als in seiner Heimat
Erik Lommatzsch

Der Name Alexander von Humboldt ist ein Begriff. Verbunden wird er in erster Linie mit der Erforschung Lateinamerikas, die er quasi im Alleingang unternahm. Vergleichsweise wenig bekannt hingegen ist der Name Philipp Franz von Siebold. Zu Unrecht, hat doch der nur eine Generation jüngere gebürtige Würzburger Vergleichbares für Japan geleistet. In zwei jeweils mehrjährigen Aufenthalten legte er umfangreiche Sammlungen an, um das Land zoologisch, ethnologisch, geographisch, linguistisch, historiographisch und kulturell zu erschließen. Die Botanik war ihm ein besonderes Anliegen. Noch immer wird auf das von ihm zusammengetragene Material zurückgegriffen, er war wesentlicher Wegbereiter der Wissenschaftsdisziplin Japanologie. Das Andenken Siebolds, für den der ostasiatische Staat „das interessanteste Land der Welt“ darstellte, wird bis heute dort wesentlich intensiver gepflegt als in seiner deutschen Heimat.

Geboren wurde Siebold vor 225 Jahren, am 17. Februar 1796, als Spross einer Medizinerfamilie. Sein früh verstorbener Vater war der Arzt, Geburtshelfer und Professor der Physiologie Georg Christoph Siebold, sein Großvater der bekannte, später nobilitierte Chirurg Carl Cas­per Siebold. 

Siebold entschied sich ebenfalls für das Studium der Medizin. Im Oktober 1820 wurde er promoviert. Er trat in die Dienste der Niederländer, um als Sanitätsoffizier in deren ostindischen Besitzungen tätig zu werden, getrieben von seinen weit gefassten Interessen und seinem Erkenntnisdrang. Damals formulierte er: „Die Naturgeschichte ... war es, die mich zu einem solchen Schritte in andere Weltteile bestimmte, und sie wird es auch sein, die die Möglichkeit tüchtiger Resultate meiner Reisen begründet.“

Siebold-Affäre

Zunächst wirkte Siebold einige Monate auf Java, bevor er mit einer besonderen Aufgabe betraut wurde. Der Generalgouverneur in Batavia, Godert van der Capellen, schickte ihn als Arzt zur Faktorei auf Dejima. Dabei handelte es sich um eine künstlich aufgeschüttete Insel in der Bucht von Nagasaki. Siebold erreichte seinen neuen Arbeitsplatz im August 1823. Mittels ihrer dortigen Handelsniederlassung waren die Niederlande der einzige europäische Staat, mit dem Japan entsprechenden Austausch pflegte. Bis zur eher zögerlichen, teils erzwungenen Öffnung in der letzten Phase ab Mitte der 1850er Jahre schottete sich das Land während des Tokugawa-Shōgunats (1603­–1868) konsequent von der Außenwelt ab, vor allem vom Westen.

Der Aufenthalt der Niederländer, zu denen Siebold aufgrund seiner Anstellung gezählt wurde, war grundsätzlich streng auf Dejima beschränkt, das Festland durfte nur in Ausnahmefällen betreten werden. Trotz der Isolation war man in Japan an Entwicklungen und Neuerungen aus der westlichen Welt hochgradig interessiert. Siebold wirkte einerseits als Arzt, andererseits als Vermittler und Lehrer. Es spricht für das Ansehen, das er sich erworben hatte, dass er bald außerhalb von Dejima, in dem vor Nagasaki gelegenen Narutaki, eine Art Schule betreiben konnte, in der er zugleich Patienten versorgte. Seine Starbehandlung wurde geschätzt. Eine von ihm durchgeführte Pockenimpfung blieb zwar erfolglos, da das Serum aufgrund schlechter Lagerung keine Wirkung entfaltete. Dennoch gilt er als derjenige, der diese medizinische Innovation in Japan eingeführt hat.

Siebold entfaltete eine umfangreiche Sammeltätigkeit. Da er sich nicht frei bewegen konnte, war es von Bedeutung, dass er von japanischer Seite eine Vielzahl von Gegenständen als Geschenk bekam. Das ermöglichte ihm ein Vorantreiben seiner Studien. Seine „Schüler“, denen er „Doktordiplome“ ausstellte, fertigten Berichte und Studien über Geschichte, Sitten, Bräuche und dergleichen an, die zu einer systematischen Erschließung des Phänomens „Japan“ erheblich beitrugen. Zu Gelehrten unterhielt Sie­bold zahlreiche Kontakte und sagte wohl zu Recht: „Mein Haus ist eine Universität, da in allen Wissenschaften gearbeitet wird.“

Der Leiter der Faktorei Dejima hatte alle vier Jahre eine Hofreise nach Edo, das heutige Tokio, zu unternehmen. Dies war eine der wenigen Gelegenheiten für die Niederländer, ins Innere Japans zu gelangen. Auf der 1826 anstehenden Reise gehörte Siebold zu der lediglich dreiköpfigen Gruppe, die dem Shōgun ihre Reverenz erweisen durfte. Sein Wunsch nach der Möglichkeit zu weiteren Erkundungen des Landes erfüllte sich jedoch nicht.

Bezeichnend ist, dass ihn seine japanische Lebensgefährtin, Sonogi Otaki aus der Familie Kusumoto, nicht nur nicht heiraten durfte, sie musste sich als Kurtisane registrieren lassen, um bei ihm leben zu können. Auch durfte sie wie ihr gemeinsames Kind, Kusumoto Ine, später nicht mit ihm ausreisen.

Ein eingebürgerter Preuße

Als sein Dienst zu Ende ging und er sich anschickte, zwecks Auswertung seiner Sammlungen in die Niederlande zurückzukehren, kam es im August 1828 zu einem Eklat, der sogenannten Siebold-Affäre. In Siebolds Gepäck wurden Landkarten und andere Dinge gefunden, deren Ausfuhr streng untersagt war. Siebold wurde als vermeintlicher Spion festgehalten, viele seiner japanischen Freunde kamen in Haft. Verlassen durfte er Japan dann erst im Oktober des Folgejahres. Er wurde auf Lebenszeit aus dem Land verbannt.

Zunächst kam er nach Leiden. 1847 siedelte er nach Boppard über und wurde preußischer Staatsangehöriger. Später ging er nach Bonn. Die Universitätsstadt bot ihm gute Arbeitsbedingungen. Neben Werken über Flora und Fauna und einem Atlas ist die elfbändige Darstellung „Nippon. Archiv zur Beschreibung von Japan und dessen Neben- und Schutzländern“ Sie­bolds Hauptwerk. Tiere und Pflanzen wurden nach ihm benannt, etwa „Siebolds Magnolie“.

Durch Beratung und Vermittlung hatte Siebold Anteil an der Öffnung Japans gegenüber dem Westen. Profitieren sollte er davon auch selbst. Von 1859 bis 1862 konnte er, trotz des Verbannungsurteils, ein zweites Mal Japan besuchen. Wiederum betrieb er umfassende Studien, überwarf sich aber mit den Niederländern, in deren Dienst er bis dahin stand. Eigenmächtigkeiten wurden ihm vorgeworfen. Die japanische Regierung, die in einer angespannten Lage Konflikte vermeiden wollte, wurde dazu bewegt, ihn zum Verlassen von Edo aufzufordern, wo er zuletzt gewirkt hatte. Schließlich schied Siebold zum zweiten Mal im Unfrieden von dem Land mit dem seiner Einschätzung nach „zivilisiertesten Volke der alten außereuropäischen Welt“. 

Am 18. Oktober 1866 ist er in München gestorben, wo er an einer Ausstellung seiner Sammlungen arbeitete. Noch heute verfügt das ehemalige Staatliche Museum für Völkerkunde, das seit 2014 den Namen „Museum der Fünf Kontinente“ trägt, über die Exponate seiner zweiten Japanreise.





Kurzporträts

Carl Casper Siebold gilt als der Begründer der modernen Chirurgie. Im Jahre 1801 wurde er für seine Verdienste in den Reichsritterstand erhoben

Der niederländische Staatsmann Godert van der Capellen war Kolonialminister und von 1815 bis zu seiner Abberufung 1825 Generalgouverneur in Batavia

Die 1827 auf Dejima geborene und 1903 in Mamiana, Azabu, gestorbene Kusumoto Ine wirkte als Frauenärztin, Geburtshelferin und Leibärztin der Kaiserin