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05.02.21 / Medien / Ein langsamer Entfremdungsprozess / Der DDR-stämmige Journalist Birk Meinhardt erlebt, wie Zensur im Westen funktioniert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-21 vom 05. Februar 2021

Medien
Ein langsamer Entfremdungsprozess
Der DDR-stämmige Journalist Birk Meinhardt erlebt, wie Zensur im Westen funktioniert
Bernd Kallina

Mauerfall und deutsche Einheit im Gefolge von 1989: Voller Hoffnungen kam der Journalist Birk Meinhardt nach Diktaturerfahrung im SED-Staat und „Friedlicher Revolution“ aus der DDR als erster „Ossi“ 1992 zunächst ins Sportressort der – vor allem im links-liberalen Milieu – angesehenen „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), arbeitete später dann als Reporter für sie und wurde vielfach wegen seiner fachlichen Kompetenz ausgezeichnet, unter anderem mit dem „Kisch-Preis“. 2012 kündigte er seinen Spitzenjob bei der „SZ“. Dem Schritt vorausgegangen war ein mehrjähriger Entfremdungsprozess im angeblich so liberalen Münchener Blatt. Die maßgeblichen Gründe dafür hat er in einer lesenswerten Schrift „Wie ich meine Zeitung verlor – Ein Jahrebuch“ überzeugend dargelegt. 

Zensieren statt Redigieren

Hieß es in der DDR, wo Meinhardt im Jugendorgan der FDJ „Junge Welt“ als Redakteur tätig war, bei missliebigen Beiträgen, sie dürften nicht dem „Klassenfeind“ in die Hände arbeiten, funktionierten zensurähnliche Maßnahmen in der „SZ“ anders, aber ebenso wirksam. Immer wieder, das veranschaulicht Meinhardt an mehreren Beispielen deutlich, verhedderten sich von ihm gut recherchierte Beiträge im Gestrüpp innerredaktioneller Hürden. Sie wurden entweder nicht veröffentlicht oder gelangten nur stark verändert ins Blatt. Er sagte im „Zeit“-Interview dazu: „Eine Zumutung wird es, wenn Redigieren in Zensieren umschlägt.“ 

Als es in einer Reportage um die Aufdeckung von vermeintlich „rechten Straftaten“ ging, die aber per Gerichtsentscheidung gar nicht von rechts kamen, und dies Meinhardt korrigierend darstellen wollte, kam die Reportage mit der Begründung nicht zustande, dass „Rechte“ sie als Beleg für ungerechte Verfolgung ausnützen könnten. 

Zunehmendes Unwohlsein

Interessant sind weitere Ausschluss-Gründe oder Hemmnisse für Beiträge, die sich im Laufe seiner Zeit bei der „SZ“ immer mehr häuften. Sie trugen Schritt für Schritt zu seiner „Geschichte einer Entfremdung“ bei, liegen also nicht etwa in einem singulären Konfrontations-Knall begründet. Es habe auch keine großen Diskussionen um seine Texte gegeben, also engagiertes und diskursfreudiges Ringen, erzählt der Autor. Die kontinuierlich wiederkehrenden Knackpunkte waren ausschließlich „nicht genehme Inhalte“. 

Eine Banken-Reportage scheiterte daran, dass der Wirtschaftsressortchef Einwände hatte, die aber aus Urlaubsgründen nicht ausgeräumt werden konnten und beim Autor ein schon vorhandenes und seitdem „zunehmendes Unwohlsein“ auslösten. 

Die sich über Jahre verdichtenden negativen Erfahrungen führten bei Meinhardt in endlosen Fällen umstrittener Berichterstattung aus seiner Feder zu der schmerzlichen Erkenntnis, dass eine bestimmte Art von Haltungs-Journalismus in der SZ dominierte, die ihm gegen den Strich ging. Seine verstörende Bilanz: „Kein offensichtliches Lügen, sondern das Verkürzen und Vernebeln von Sachverhalten, durch die die Leser letztlich in die Irre geführt würden.“

Auch der höflich-ausgrenzende Umgangsstil innerhalb der „SZ“-Redaktion trug dazu bei, dass ihm seine Erfahrungen als ehemaliger DDR-Journalist wieder hochkamen. Mit der verblüffenden Tendenz, dass er sich „das Rohe der einstigen Ablehnungen zurückwünschte“, sprich, die deutliche Ablehnungssprache, „jenes Unverblümte der Wortwahl, jenes Rabiate des Tons, jenes Feindselige der Blicke“, wie er schreibt. Die Retrospektive auf Zeiten im Ost-Journalismus, ausgebildet und geprägt von der roten Leipziger Schule, zeigte klare Unterschiede zum süddeutschen Wohlfühl-Journalismus. In den parteilichen Zeitungen des SED-Staates war man zwar gewiss machtlos, so Meinhardt, „aber man wusste genau, woran man war, jetzt sind die Vetos fast unkenntlich in ihrer Hülle aus Zivilisiertheit“.

Westlicher Haltungsjournalismus

Das Wahrnehmungsgefälle zwischen Ost und West zeigte sich auch unübersehbar in der von Kanzlerin Merkel durch Grenzöffnung zugelassenen Flüchtlingskrise seit 2015. Was durfte und darf im westlichen Haltungsjournalismus zur illegalen Massenimmigration thematisiert werden und was nicht? Ganz klar: Sogenannte Flüchtlinge mussten auch medial via freudiger Willkommenskultur inklusive gelungener Integrations-Storys begleitet werden. Etwaige Verwerfungen und Konflikte seien ursächlich in rassistischen Abwehrreflexen der indigenen deutschen Bevölkerung zu suchen, Asylsuchende seien prinzipiell gut und Gewalt käme primär von rechten Ausländerfeinden. 

Nicht nur dem Ex-„SZ“-Redakteur, inzwischen als Schriftsteller am Rande Berlins lebend, fiel schnell auf, dass gewisse Fragen am besten gar nicht gestellt, geschweige denn über sie berichtet werden sollten. Am Beispiel angezündeter Flüchtlingsunterkünfte wirft er dennoch den unkorrekten Satz in die Runde: „Von Rechten, die so etwas tun, weiß ich es … darüber wird regelmäßig geschrieben, aber wie ist es mit den ausländischen Zündlern?“

Das aufschlussreiche Werk, es kommt bescheiden ohne Farbumschlag als Taschenbuch im schlichten Schwarz-Weiß-Druck daher, endet mit einer originellen Schlussbegebenheit. Als Meinhardt sein „SZ“-Abo telefonisch kündigt, landet er bei einem jungen Mann, der ihm die übliche Frage stellt, welche Gründe er für seine Kündigung habe. „Ach“, sagt er wohl etwas resignativ, „ich glaube, das zu erklären würde jetzt bestimmt zu weit führen“.

Birk Meinhardt: „Wie ich meine Zeitung verlor – Ein Jahrebuch“, Das Neue Berlin, Berlin 2020, broschiert, 144 Seiten, 15 Euro