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12.02.21 / Ein linker „Ruck“ für unser Land / Anstatt dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zu dienen, fördern die Parteien links der Mitte seit Jahren die Vereinsamung der Menschen – und ihre Abhängigkeit vom globalen Kapitalismus. Warum wir das Linkssein neu erfinden müssen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-21 vom 12. Februar 2021

Ein linker „Ruck“ für unser Land
Anstatt dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zu dienen, fördern die Parteien links der Mitte seit Jahren die Vereinsamung der Menschen – und ihre Abhängigkeit vom globalen Kapitalismus. Warum wir das Linkssein neu erfinden müssen
Holger Fuss

Am vergangenen Wochenende traf sich die SPD-Spitze zu einer Klausur, um mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz den programmatischen Fahrplan fürs Wahljahr 2021 zu beschließen. Die Ergebnisse sind so farblos wie der Kanzleramtsanwärter selbst. Die Themen Klimaschutz, Digitalisierung, Mobilität und Gesundheit werden vollmundig zu „Zukunftsmissionen für unser Land“ ernannt. Und keinem der Beteiligten scheint aufzufallen, dass hier eine Partei, die seit 22 Jahren bis auf eine Legislaturperiode mitregiert, eingesteht, wie sehr die Infrastruktur in diesem Land währenddessen kaputtgespart wurde.

Einige Tage zuvor hatte der SPD-Vorstand die Resultate des Koalitionsausschusses am 3. Februar ins Netz gestellt. Die Überschrift lautete: „Mehr Corona-Hilfen: Damit alle weiter gut durch die Krise kommen“. Alle weiter gut durch die Krise? In welchem Land leben die SPD-Funktionäre? Seit Monaten steht die Wirtschaft still, sind Schulen und Kindergärten geschlossen, fürchten sich die Menschen vor Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und Wohlstandsverlust – als Folgewirkungen der Corona-Maßnahmen. Aber die gutdotierten Festangestellten im Willy-Brandt-Haus wollen uns weismachen, wir seien bislang gut durch die Krise gekommen.

Dies sind nur zwei aktuelle Beispiele für den Realitätsverlust, der sich bei der SPD eingenistet hat, aber auch bei den beiden anderen Parteien links der herkömmlichen politischen Mitte, den Grünen und der Linkspartei. Verblendet durch jahrelanges Schattenboxen in der Identitätspolitik, im „Kampf gegen Rechts“, durch feministische Diskurse, im Umgang mit Migration und mit einer Appeasement-Haltung gegenüber dem politischen Islam ist das Gespür für die sozialen Verwerfungen im Lande verlorengegangen. 

Diener der Profitmaximierung

Linkssein, so scheint es, hat seit geraumer Zeit seine Seele verloren. Deshalb dient das unentwegte Gerede vom „Rechtsruck“ offenbar der Verschleierung des Umstands, dass Linke ihren einst identitätsstiftenden Widerstand gegen den Kapitalismus längst aufgeben und sich zu einer kulturellen Avantgarde des Neoliberalismus entwickelt haben. Der Mainstream wird nicht von rechten oder auch nur konservativen Gesinnungen dominiert, sondern von linksliberalen Lebensgefühlen. Das heutige „juste milieu“, das sich für progressiv hält, hat es sich in Wohlstand und Konsum gemütlich gemacht und denkt deshalb nicht daran, wie einst die Vorfahren das kapitalistische System in Frage zu stellen, sondern beschränkt sich in seiner Systemkritik auf Ernährungs- und Klimafragen. 

Die Studentenrevolte von 1968, die der Philosoph Jürgen Habermas damals eine gesellschaftliche „Fundamentalliberalisierung“ nannte, fand ihre Erfüllung nicht etwa im Kommunismus, sondern im Konsumismus. In der wohligen Wetterzone der Allkäuflichkeit ist Fortschrittlichkeit zum leeren Selbstzweck verkommen, zu einer ziellosen Verachtung des Alten und einer blinden Vergötzung des Neuen. Dies dient jedoch keineswegs dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern den Wachstumsillusionen des globalen Turbokapitalismus. 

Während Sitten, Bräuche und Traditionen über Bord geworfen und Begriffe wie Heimat, Familie und Geschichte entwertet werden, vereinzeln die Menschen zunehmend. Zugleich werden immer mehr Lebensbereiche kommerzialisiert und ihre unbehausten Insassen dem Konsumismus überlassen. Das Weihnachtsfest ist längst zur winterlichen Kulisse für eine Umsatzorgie des Einzelhandels verkommen. Die Kaufhäuser sind besser besucht als die Kirchen.

Kurzum, Linkssein nach heutiger westlicher Manier bedeutet, unter dem Banner der Freiheit als sozialtherapeutischer Spielmannszug einen immer skrupelloseren Kapitalismus bei Laune zu halten, der nichts als Profitmaximierung als Zielsetzung kennt. Deshalb ist es höchste Zeit, das Linkssein noch einmal neu zu erfinden. 

An solch einer Neuerfindung dürfte nicht nur den sich heimatlos fühlenden Linken gelegen sein. Auch die nichtlinken Milieus, die Liberalen und Konservativen, sollten an einer starken und wirklichkeitsnahen Linken interessiert sein. Denn wie sehr die Demokratie darunter leidet, wenn sich die politischen Polaritäten verflüchtigen und ein formloses Amalgam zurückbleibt, das sich als „politische Mitte“ etikettiert und in seiner Sprachlosigkeit den politischen Diskurs, den parlamentarischen Streit buchstäblich zum Versiegen bringt, können wir seit Jahren beobachten. Was wir derzeit als soziale Sprechverbote, politische Korrektheit, begriffliche Umerziehung und gedankliche Tabuisierungen erleben, ist nichts anderes als der Verlust einer kultivierten Spannung, wie sie in einer funktionierenden Demokratie zwischen widersetzlichen Polen eines politischen Spektrums besteht. 

Abkehr von den eigenen Wählern

Solange sich die Grundströmungen in der Bevölkerung durch die Auseinandersetzungen im Parlament ausreichend repräsentiert sahen, waren die gesellschaftlichen Spannungen auf dialektische Weise über das System der repräsentativen Demokratie aufgefangen. Heute fehlen diese Stellvertretergefechte im Bundestag. Die Positionen links, rechts und Mitte verschwimmen. Die CDU-Kanzlerin könnte bruchlos auch die SPD führen, die Grünen haben den ökosozialistischen Neoliberalismus erfunden, die FDP vermag es nicht einmal in der Corona-Krise, sich überzeugend als Bürgerrechtspartei zu positionieren, die Linkspartei kriegt es fertig, Sahra Wagenknecht als einzig intelligente Galionsfigur zu vergraulen, und der AfD gelingt es nicht, das konservative Erbe der Union anzutreten, und ringt stattdessen mit Rabauken und Stümpern in den eigenen Reihen.

Alle drei Parteien links der Mitte haben sich von einer Wählerklientel abgewandt, die lange Zeit die sozialdemokratische Stammwählerschaft ausmachte. Stattdessen machen sie Identitäts- und Minderheitenpolitik für großstädtische Milieus. Doch der gemeine SPD-Wähler lebt, wie die Deutschen überhaupt, eher in der Provinz. Er ist zwar nicht ausländerfeindlich, will aber, dass sich Migranten an die deutsche Leitkultur anpassen und nicht umgekehrt. Er möchte, dass Gesetze für alle gelten, weshalb ein Drogendealer, ein Vergewaltiger und ein Mörder ausländischer Herkunft genauso konsequent strafverfolgt werden sollen wie er es selbst bei kleinsten Straftaten von Einheimischen gewohnt ist. Das mag alles bieder und spießig klingen, doch so ist eben das normale Leben. 

Eine neue Linke darf deshalb keine Berührungsängste haben. Sie muss den Rechten, den Konservativen, die besten Themen abjagen und sich linksgestrickt aneignen. Es wird keine schlagkräftige Linke geben, die nicht ihren Frieden mit dem Patriotismus gemacht hat. Ein menschenfreundliches Gemeinwesen lässt sich nicht auf dem Fundament von Selbstverachtung schaffen. Dies zeigt die Einwanderungspraxis. Als 2015 das Land in Willkommenseuphorie schwelgte, begriff kaum jemand, dass die Eingewanderten nirgendwo sinnlich erfahren konnten, in welch eine deutsche Kultur sie sich eigentlich integrieren sollten. Mit technokratischem Charme wurde ihnen zwar der Wertekanon des Grundgesetzes vorgelegt. Aber Deutschsein ist eben mehr als Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, bauchfreie Sommergarderobe und Ehe für alle. 

Schon Ende der 90er Jahre beschrieb der US-Philosoph Richard Rorty in seinem Buch „Stolz auf unser Land“, wie sehr sich Menschen in der amerikanischen Mittel- und Unterschicht nach Gemeinschaft und Wertschätzung sehnen – und wie wenig eine Kulturlinke diesen Bedürfnissen nachkommt. Amerikanische Progressive machen sich für die Interessen von Minderheiten stark, ihre traditionellen Wähler jedoch, unscheinbar und schweigend, fühlen sich kaum wahrgenommen und ob ihres Patriotismus verachtet. Rorty sah voraus, dass die Enttäuschungen dieser Bürger eines Tages von einem starken Mann instrumentalisiert werden würden. Auf dieser Wutwoge schaffte es Donald Trump schließlich 2016 ins Weiße Haus.

Ideen für eine neue Linke

Um endlich das sedierende „Weiter so!“ der Merkel-Ära hinter uns lassen zu können, benötigen wir eine Linke mit kühner politischer Phantasie. Feuerköpfe, die sich an einen wirklichen Strukturwandel herantrauen und darüber debattieren, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen geschaffen werden kann – um den Bürgern ein tiefenwirksames Gefühl der Anerkennung zu geben, und sie damit zu beflügeln. Wer glaubt, das Grundeinkommen bringe eine Gesellschaft von Faulpelzen hervor, hat vom menschlichen Wesen wenig verstanden. Viel wahrscheinlicher ist, dass ein „Ruck“ durchs Land geht, wie es Bundespräsident Roman Herzog in einer Rede 1997 gefordert hatte.

Ein zweites Projekt, das Linke seltsamerweise bisher viel zu wenig ernst genommen haben, ist die Bürgerversicherung. Warum es noch immer mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen gibt, versteht niemand so recht. Eine zentrale Kasse wäre effektiver und sparsamer zu unterhalten. Es müsste nur ein Kassen-Chef bezahlt werden, anstatt gut hundert. Die Deutschen könnten ihr Zwei-Klassen-Gesundheitssystem verlassen, jeder bekäme denselben hohen Versorgungsstandard. Und wer ein paar Extras will, kann sich privat Ergänzungspolicen dazu buchen. 

Das dritte Großprojekt einer neuaufgestellten Linken heißt Gemeinwohl-Ökonomie. Das Konzept stammt aus Österreich und findet dort auch in Unternehmerkreisen Anklang. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist keine Planwirtschaft, sondern eine Marktwirtschaft, die der Staat mit Steuerungsmechanismen auf Gemeinwohlkurs bringt. Eine Wirtschaftskultur, die von der maximalen Profitorientierung umschwenkt auf nachhaltiges Wirtschaften zum Ruhme von Natur und menschlicher Gemeinschaft. 

Um solche Ideen zu verwirklichen, müssen sich die Linken vom Arbeitsbegriff des 19. Jahrhunderts lösen. Als die Arbeiterbewegung entstand, gab es nur durch eigene Hände Arbeit die Chance auf sozialen Aufstieg. Heute absorbieren Roboter immer mehr menschliche Arbeit. Erwerbstätigkeiten wird es in Zukunft womöglich nicht für jedermann geben, zu leistende sinnvolle Arbeit füreinander aber durchaus. Das Grundeinkommen würde beispielsweise die häusliche Arbeit entgelten, die überwiegend Frauen bislang gratis verrichteten. 

Frieden mit der Nation

Die Gemeinwohlorientierung einer somit tatsächlich sozialen Marktwirtschaft, wie sie Ludwig Erhard in seinem Klassiker „Wohlstand für alle“ 1957 bereits beschrieben hat, würde auch der künftigen Klima- und Umweltpolitik die Richtung weisen. Gemeinwohl wäre eine Immunisierung gegen eine eventuelle Öko-Diktatur, die den Menschen gegen die Natur ausspielen will. Eine Politik, die nicht die Bedürfnisse der menschlichen Natur berücksichtigt, wird auch die außermenschliche Natur nicht retten können. 

Eine neuerfundene Linke weiß nicht zuletzt auch, dass Demokratie nicht in global tätigen Organisationen funktioniert. Schon im Format der Europäischen Union scheitern viele demokratische Prozesse. Demokratie kann nur in überschaubaren Gemeinschaften lebendig bleiben. Überschaubare Gemeinschaften sind die Nationen, vor denen sich linke Patrioten nicht zu fürchten brauchen. Sie müssten dafür nicht einmal ihre universalistischen Gewohnheiten preisgeben. Denn wer stolz ist, ein Deutscher zu sein, kann sich bestens einfühlen in Menschen, die stolz sind, dass sie Franzosen, Brasilianer oder Chinesen sind. Links kann eben auch eine Internationale von Patrioten sein. Wer diese Art von Leidenschaft im Herzen trägt, ist für rechten Hass unerreichbar. 






Holger Fuß ist freier Autor und schreibt für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über Politik, Wissenschaft, Kultur und Zeitgeschehen. 2019 erschien „Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt. Über das Ende einer Volkspartei“ (FinanzBuch Verlag). 

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