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12.02.21 / Kommentar / Ansprüche im Sinkflug

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-21 vom 12. Februar 2021

Kommentar
Ansprüche im Sinkflug
Erik Lommatzsch

Bildung und Ausbildung hatten in Deutschland einst einen hohen Stellenwert. Die vermittelnden Institutionen waren anspruchsvoll, die Abschlüsse Ausweis für erworbenes Wissen und erlernte Fertigkeiten. Im Ausland wurden die Zeugnisse geschätzt.

Symptomatisch für den großflächigen Bedeutungsverlust ist der Umgang mit Schulen aller Art während der sogenannten Corona-Pandemie. Wie auch in anderen Bereichen geht es offenbar hauptsächlich darum, den Betrieb so lange als möglich lahmzulegen, ohne Rücksicht auf Verluste, sprich ohne Gedanken an die Zukunft derjenigen, denen nun aufs Ganze gesehen schon ein komplettes Jahr Unterricht verloren gegangen ist. Ein Jahr, das im Leben fehlt und nicht nachgeholt werden kann. In seltenen Fällen wie etwa für Abschlussklassen gibt es „Präsenzunterricht“. Unterricht meint in der Regel Präsenz, alles andere ist normalerweise die Ausnahme. Dieser „Präsenzunterricht“ ist zudem mit organisatorischem Aufwand verbunden und findet mit „geteilten“ Klassen statt. Nahezu alle Lehrer, die sich hierzu äußern, klagen, dass unter derartigen Bedingungen eine ordnungsgemäße Vermittlung des Stoffes kaum zu bewältigen sei. Ganz zu schweigen vom „Online-Unterricht“. Jeder noch so professionelle Pädagoge, der versucht, einem vor dem heimischen Bildschirm sitzenden, durchschnittlichen Sechstklässler die Grundlagen einer Fremdsprache beizubringen, kann das bestätigen. Das vielerorts aufgetretene Versagen der Technik kommt hinzu. Traurige Wahrheit ist, dass das Schul-, Ausbildungs- und Studienjahr wiederholt werden müsste. Für alle.

Wiederholung für alle!

Das sagen sogar Mitarbeiter in den einschlägigen Ministerien, versehen mit dem Zusatz „eigentlich“. Nein, es wird nicht stattfinden, an eine Umsetzung ist nicht einmal gedacht. Der Situation kommt die Atmosphäre zupass, die durch Politik, Verantwortliche im Bildungsbereich und leider auch viele derjenigen, die Unterricht erteilen, geschaffen wurde. Vorherrschend sind das Bestreben nach der großen Gleichmacherei und der Wahn, jeden, der eine schlechtere Leistung erbringt, für einen Benachteiligten zu erklären, dem man glaubt, durch Zensurengeschenke helfen zu müssen. Die ernsthafte, an der Sache orientierte Prüfung – mit Ausschöpfung der gesamten Notenskala und eben auch der Variante, an den Anforderungen ganz zu scheitern – ist weitgehend aus der Mode gekommen. Funktionäre wie Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, fordern, in diesem Jahr dürfe niemand „sitzenbleiben“. Sie merken offenbar gar nicht mehr, wie sie mit dem pauschalen Verlangen zeigen, dass sie jeglichen Anspruch an das Bildungssystem aufgegeben haben. Jeder kann es „durchlaufen“, also „absitzen“ und wer da war, bekommt ein Zeugnis, das Befähigung und Wissen bescheinigt. Mithin ein wertloses Zeugnis, auch für die, die bestanden hätten. Man kann sie nicht mehr unterscheiden. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek – böse Zungen behaupten, es seien hohe Preisgelder für eine schlüssige Antwort auf die Frage ausgesetzt, welche ihrer vorherigen Tätigkeiten sie für ihr Amt qualifiziert habe – führte am Montag mit Verve aus, dass „jetzt noch nicht die Zeit ist für leichtfertige Lockerungen“. Nach dem dringenden Bedürfnis, so schnell und so weit als möglich die Bildungseinrichtungen wieder zu öffnen und den Unterricht fortzusetzen, klang das nicht. Eher nach einem Bestreben, die engstirnige, weitgehend nicht nur sinnfreie, sondern für die jungen Menschen nachhaltig schädliche Schließung noch lange aufrechtzuerhalten. Laustarker Protest ist allerdings auch nicht vernehmbar. 

Vielleicht hat man sich schon zu sehr daran gewöhnt, dass Bildung und Ausbildung eben nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Immerhin kann man hierzulande neuerdings universitäre Abschlüsse in Archäologie oder Alter Geschichte erwerben, ohne jemals ein Wort Latein gelernt zu haben – für jeden, der auch nur einen Deut Interesse für diese Fächer hat, früher unvorstellbar. Dafür gibt es inzwischen über 200 „Gender“-Lehrstühle. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Im Übrigen dürfte ein beachtlicher Teil der „Burnout“-Fälle darauf zurückzuführen sein, dass Abschlüsse „verschenkt“ werden. Die Einstellung der Betroffenen erfolgt mit einem Zeugnis, das ihnen Befähigungen bescheinigt, über die sie nicht verfügen, sie werden jedoch mit Aufgaben betraut, denen sie nicht gewachsen sind und an denen sie scheitern.