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12.02.21 / Für Sie gelesen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-21 vom 12. Februar 2021

Für Sie gelesen
Dagmar Jestrzemski

Eine Kindheit in Berlin

Die Kindheitserinnerungen von Dieter Franke aus Grevenbroich sind mit einem Hotel namens „Altmärkischer Hof“ in der Berliner Rosenthaler Straße 68 verbunden, heute im Ortsteil Mitte des gleichnamigen Bezirks gelegen. Dort wuchs der 1935 in Berlin geborene Diplom-Psychologe bei seinen Großeltern auf, die das dreigeschossige gründerzeitliche Gebäude um 1910 erworben hatten und den Hotelbetrieb entweder übernahmen oder gründeten. 

In seinem autobiografischen Buch „Berlin Rosenthaler 68. Eine Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit“ stellt Franke neben der eigenen Vita den Lebensablauf seiner nahen Verwandten in den Mittelpunkt, die er im Kindesalter verlor. Seine Mutter hat er nie kennengelernt. Der Zeitrahmen des Buchs umfasst die Kriegs- und Nachkriegsjahre 1940 bis 1949. Mangels mündlicher Überlieferungen griff Franke auf Briefe, amtliche Dokumente und eigene Erinnerungen zurück, um die verschiedenen Erzählstränge nachvollziehbar zu entwickeln. 

In die kunstvolle Rekonstruktion dieser Familiengeschichte eingebunden sind ergänzende Informationen des Autors, Rückblicke in die Geschichte sowie gelegentliche „Konsultationen“ des „Wörterbuchs der Psychologie“ von Werner D. Fröhlich, einem der jüngeren Lehrer des Autors während seines Studiums. Gar nicht so abwegig erscheint bei näherem Hinsehen dieser Deutungsansatz angesichts des unbeirrten Festhaltens an nationalsozialistischen Überzeugungen von Frontsoldaten wie dem Vater und dem Onkel des Autors bis zum bitteren Ende oder der Verzweiflungstat seiner Tante Gerdi, die sich nach privaten und beruflichen Enttäuschungen im März 1946 das Leben nahm.  

Gerda von der Osten geb. Funke (geb. 1904) war eine Theater- und Filmschauspielerin und im privaten Rose-Theater engagiert, das bei der Schlacht um Berlin im April und Mai 1945 zerstört wurde. Wenige Monate nach ihrem Tod starb Dieters 31-jähriger kriegsversehrter Vater, nachdem er schlechten Schnaps getrunken hatte, und kurz darauf auch seine Oma. Auch Dieters Onkel Arno Funke war Theaterschauspieler. Er lebte 1946 in der Französischen Zone und hatte das Glück, im wiedereröffneten Koblenzer Stadttheater engagiert zu werden. Seinen verwaisten elfjährigen Neffen Dieter nahm er Ende 1946 bei sich auf, wie es die Großmutter in ihrem Testament verfügt hatte. Einige Jahre später adoptierte er ihn. Arno starb 1964 mit 

59 Jahren. Franke vermutet, dass in ihm durch den frühzeitigen Verlust seiner Angehörigen der Hang zur Beständigkeit erweckt worden sein könnte. 1962 gründete er ein Institut für Markt- und Sozialforschung, welches er bis 2013 leitete. Noch bis 2015 hielt er an seiner Leidenschaft, dem Marathon, fest. 

Das Vorderhaus Rosenthaler Straße 68 überstand trotz erheblicher Beschädigungen als einziges auf dieser Seite eines Straßenabschnitts den schwersten Luftangriff, von dem Berlin in den letzten Kriegsjahren betroffen war. 

Dieter Franke: „Berlin Rosenthaler 68. Eine Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit“, Helios Verlag, Aachen 2020, gebunden, 208 Seiten, 19,50 Euro