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26.02.21 / Politik / Das denkwürdige Schweigen der Verfassungsrichter / Rund ein Jahr nach Verhängung des ersten Lockdown ist es höchste Zeit für eine klärende juristische Bewertung der Pandemie-Politik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-21 vom 26. Februar 2021

Politik
Das denkwürdige Schweigen der Verfassungsrichter
Rund ein Jahr nach Verhängung des ersten Lockdown ist es höchste Zeit für eine klärende juristische Bewertung der Pandemie-Politik
René Nehring

Die Liste der Beeinträchtigungen, die die Deutschen im Zuge der COVID-19-Pandemie ertragen müssen, ist lang. Schon heute, rund elf Monate nachdem der Bundestag das erste „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ beschloss, haben die Einschränkungen ein in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einzigartiges Maß erreicht. 

Entsprechend lauter wird die Kritik an den Maßnahmen. So warnte bereits im April 2020 der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vor einer Einschränkung von Freiheitsrechten über einen längeren Zeitraum hinweg, da dadurch die Freiheit insgesamt in Gefahr gerate. 

Noch deutlicher äußert sich seit Monaten Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki. Im vergangenen Oktober etwa schrieb der FDP-Politiker im „Tagesspiegel“: „Das nun zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten vereinbarte Maßnahmenpaket zur Corona-Bekämpfung atmet undemokratischen und anti-rechtsstaatlichen Geist.“ Seitdem legte Kubicki regelmäßig nach. Am 9. Februar dieses Jahres erklärte er gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“, er halte es „aus verfassungsrechtlichen Gründen für einen unhaltbaren Zustand, dass Entscheidungen über Grundrechtsfragen weiterhin in einem Gremium getroffen werden, das die Verfassung nicht vorsieht“.

Scharf fällt auch die Kritik des langjährigen Politikchefs der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, aus. In Interviews und Artikeln kritisiert der promovierte Jurist sowie ehemalige Staatsanwalt und Richter, dass der Staat im Kampf gegen die Corona-Pandemie zu Maßnahmen greife, die sonst nur in Kriegszeiten denkbar wären. Nicht nur die Menschen, so Prantl, sondern auch die Grundrechte befänden sich derzeit in Quarantäne. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit weiche einer neuen Lust am Autoritären. 

Was sagt Karlsruhe?

Um so auffälliger das Schweigen derjenigen Instanzen, die über die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns das letzte Wort haben: die Verfassungsgerichte in Bund und Ländern. Zwar forderte der neue Präsident des Bundesverfassungs-gerichts, Stephan Harbarth, unlängst in der „Rheinischen Post“ eine stärkere Beteiligung des Bundestags – doch ein klärendes Urteil, das verbindlich feststellt, ob die Corona-Politik verfassungskonform ist oder nicht, hat das oberste deutsche Gericht bislang vermieden. 

Laut Internet-Portal „Legal Tribune Online“ wurden im vergangenen Jahr 72 eigenständige Eilanträge zu den Corona-Maßnahmen an das Karlsruher Gericht gerichtet. Hinzu kamen 239 Verfassungsbeschwerden, von denen noch einmal 169 mit einem Eilantrag verbunden waren. Die meisten Verfahren davon hat das Gericht nicht zur Entscheidung angenommen – oder sie erübrigten sich von selbst. 

Bislang erfolgte die juristische Auseinandersetzung mit den COVID-19-Maßnahmen vor allem auf der Ebene der Verwaltungsgerichte. Hier konnten Veranstalter von Demonstrationen wiederholt die Rücknahme von zuvor durch Behörden erlassenen Einschränkungen oder Verboten bewirken (weshalb der Begriff von einer „Corona-Diktatur“, den manche Kritiker gebrauchen, unangemessen ist). 

Doch kann dies keine grundsätzliche juristische Bewertung der Maßnahmen ersetzen. Nur „Karlsruhe“ kann beurteilen, ob nicht nur einzelne Behördenentscheide, sondern auch die vom Bundestag beschlossenen Gesetze, die die Grundlage der Verordnungen von Ländern und Kommunen bilden, verfassungsgemäß sind. 

Angesichts der Tragweite der Lockdown-Politik – zu der neben den Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten massive wirtschaftliche Schäden für zehntausende Betriebe und Privatpersonen gehören – muss eine solche Bewertung freilich schnell kommen. Ein Urteil, das möglicherweise im Nachhinein feststellt, dass die Corona-Beschlüsse unrechtmäßig waren, hilft niemandem.