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26.02.21 / Es geht voran – in kleinen Schritten / Vor wenigen Tagen veröffentlichten die Verteidigungsministerin und der Generalinspekteur ihre „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“. Neben einer Analyse des Ist-Zustandes deutet das Papier einen grundlegenden Strategiewechsel an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-21 vom 26. Februar 2021

Es geht voran – in kleinen Schritten
Vor wenigen Tagen veröffentlichten die Verteidigungsministerin und der Generalinspekteur ihre „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“. Neben einer Analyse des Ist-Zustandes deutet das Papier einen grundlegenden Strategiewechsel an
Josef Kraus

Die Bundeswehr ist nach wie vor weit von einer vollen personellen und materiellen Einsatzfähigkeit entfernt. Seit etwa einem Jahr tut sich zwar etwas, aber es wird noch Jahre dauern, bis Versäumnisse beseitigt sind, eine aktive Bündnistreue zur NATO wiederhergestellt ist und das zertrümmerte Vertrauen in die Truppe gekittet sein wird. Dass sich die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr verbessert, lässt hoffen. Immerhin ist der deutsche Verteidigungsetat für 2021 auf 46,9 Milliarden Euro angestiegen. In den Jahren 2019 und 2020 waren es 43,2 beziehungsweise 44,9 Milliarden. Das vereinbarte NATO-Ziel von zwei Prozent Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist damit allerdings noch lange nicht erreicht. Für 2021 ergibt sich ein BIP-Anteil von 1,57 Prozent. Dieser Anstieg der BIP-Quote ist freilich dem Konjunktureinbruch durch die Corona-Krise geschuldet. Vor der Krise war erwartet worden, dass die deutschen Ausgaben nur zu einer Quote von etwa 1,42 Prozent reichen.

Der Blick in die Zukunft der Bundeswehr darf nicht den Blick zurück verstellen, wie und durch wen die Truppe heruntergewirtschaftet wurde. Vergessen sei nicht, dass es von 2005 bis heute zwar Verteidigungsminister der CDU oder der CSU gab, dass die Regierungschefin, die im Kriegsfall Oberbefehlshaberin wäre, seit 2005 Angela Merkel heißt. Maßgeblich ihr ist es zu „verdanken“, dass die Bundeswehr in den Koalitionsverhandlungen immer nur eine marginale Rolle spielte. Im GroKo-Vertrag vom März 2018 machen Fragen der Bundeswehr nur drei von 177 Seiten aus. Merkel ist es auch zu „verdanken“, dass von Dezember 2013 bis Juli 2019 eine inkompetente, für Militärfragen völlig unsensible und überforderte Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin (CDU) war. Man denke nur an die mindestens 200 Millionen Euro teure Berateraffäre; an ihren Vorwurf, die Truppe habe ein „Haltungsproblem“, oder an „Säuberungen“, die sie in Kasernen anordnete. Oder man denke an das Desaster, das sie mit der Ausmusterung des in der Truppe sehr geschätzten Sturmgewehrs G36 und dessen gescheitertem Ersatz provozierte. Merkel ist es im Verein mit dem damaligen CSU-Vorsitzenden Seehofer, dem damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) und dem damaligen Koalitionspartner FDP auch maßgeblich zu „verdanken“, dass 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, die Bundeswehr damit erhebliche Nachwuchsprobleme bekam und in Öffentlichkeit und Familien kaum noch „stattfand“.

Mangelhaftes Gerät 

Derweil dümpelte die Bundeswehr vor sich hin. Im August 2019 war mit Blick auf das Jahr 2018 offiziell bekannt geworden: Zeitweise war keines der sechs U-Boote fahrbereit; beim ADAC mussten Flugstunden angemietet werden, um Fluglizenzen von Bundeswehrpiloten zu erhalten; von 53 Hubschraubern des Typs Tiger waren regelmäßig nur zwölf voll einsatzfähig; von den Transporthubschraubern CH-53 nur 16 von 72, von den Transporthubschraubern NH 90 nur 13 von 58, von den Fregatten fünf von 13 und von den Leo-II-Panzern 105 von 244.

Die materielle Einsatzbereitschaft aller 69 Hauptwaffensysteme der Bundeswehr hat sich seitdem etwas verbessert. Detaillierte Zahlen wie für 2018 gibt es zwar nicht mehr. Im „Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr II/2020“ vom 8. Dezember 2020 ist aber immerhin halbwegs ehrlich zu lesen: Die Einsatzbereitschaft liegt im Durchschnitt Ende 2020 bei (nur) 74 Prozent. Bei fabrikneuen Lkw sind es über 90 Prozent (warum nicht 100?), bei Hubschraubern allerdings nur knapp 40 Prozent. Beim Eurofighter sind es 66 Prozent, beim A400M 43 Prozent. Die angestrebte Zielmerke von 70 Prozent übertrafen 41 Hauptwaffensysteme, zwölf indes waren schlechter als 50 Prozent. Hauptwaffensysteme mit nach wie vor stark verbesserungswürdiger Einsatzbereitschaft sind der Kampfhubschrauber Tiger, die „Modularen Sanitätseinrichtungen“ sowie die Altsysteme wie Tornado, der Transporthubschrauber CH-53 oder die Marinehubschrauber Sea King und Sea Lynx. Zum Teil nur 33 Prozent sind es hier.

Aber immerhin wird jetzt ernsthaft nachgedacht. Das ist dringend erforderlich, zumal auf NATO-Ebene wichtige Entscheidungen anstehen. Topaktuell geht es um die Frage, ob die 10.000 Soldaten der NATO und der Partnernationen zum 1. Mai 2021 aus Afghanistan abgezogen werden sollen. Das war im Februar 2020 im Abkommen von Doha/Katar zwischen den USA und den Taliban vereinbart worden. Die Bundeswehr stellt von diesen 10.000 Soldaten 1.000. Deren Mandat wiederum endet bereits Ende März 2021.

Ein neues Strategiepapier 

Aber blicken wir über diese schwierige Entscheidung hinaus! Annegret Kramp-Karrenbauer („AKK“, CDU), Verteidigungsministerin seit Juli 2019, konnte sich am 16. Januar 2021 endlich der sie überfordernden Doppellast, zugleich CDU-Bundesvorsitzende sein zu wollen/müssen, entledigen. Das machte sie frei, am 9. Februar zusammen mit Generalinspekteur Eberhard Zorn den zuständigen Obleuten der Bundestagsfraktion und dann der Öffentlichkeit ein siebenseitiges Papier mit der Überschrift „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“ zu präsentieren.

Die beiden haben sich Großes vorgenommen. Gut so, die beiden wählten gar nicht den mühsamen Weg eines neues „Weißbuches“. Ein solches hätte von der Bundesregierung insgesamt verabschiedet und damit vom Koalitionspartner SPD mitgetragen werden müssen (das letzte Weißbuch gab es als insgesamt elftes in der Geschichte der Bundeswehr 2016). AKK und Zorn sind vorgeprescht. Dass der Generalinspekteur mit von der Partie war, ist eine Premiere. Er hebt sich damit von seinem zwischen 2010 und 2018 amtierenden Vorgänger Volker Wieker ab. Wieker, der vor allem in der Amtszeit der Ministerin von der Leyen nicht einmal intern ein gewisses Korrektiv darstellte, hatte ja den boshaften Spitznamen „weak“ (Englisch für „schwach“) angehängt bekommen, weil er sich, zumal angesichts der unsäglichen Attacken der Ministerin gegenüber der Truppe, nicht vor Letztere gestellt hatte.

Grundlegende Fragen 

Hinter Kramp-Karrenbauers und Zorns Ziel, die Bundeswehr zu modernisieren, stecken ambitionierte Vorstellungen. Als ihre zentralen Fragen nennen sie: Gegen welche Bedrohungen müssen wir uns schützen? Was ist praktikabel und schnell verfügbar? Was stärkt den Industrie- und Technologiestandort Deutschland und schafft Arbeitsplätze? Was kann in Kooperation mit unseren europäischen und internationalen Partnern beschafft werden? Und vor allem und am wichtigsten: Was ist das Beste für die Truppe?

Konkret soll das Beschaffungswesen mit tiefen Einschnitten reformiert werden. Angekündigt werden schon mal mehrere baldige Beschaffungsvorhaben im Umfang von mehr als 20 Milliarden Euro, etwa zur Luftverteidigung und zur Eurodrohne. Die Entscheidung über einen neuen Transporthubschrauber soll bis Ende Juni getroffen werden. Zudem sollen „stabslastige“ Fehlstrukturen im Ministerium verschwinden.

Kramp-Karrenbauer und Zorn sprechen offen aus, dass die Streitkräfte „unterfinanziert“, „nicht ausreichend vorbereitet“ und „einseitig auf Auslandseinsätze ausgerichtet“ seien. Die seit 2011 geltende, zu starke Orientierung auf Friedens- und Stabilisierungseinsätze solle korrigiert werden. Gerade letztere Aussage deutet einen erheblichen Strategiewechsel an: nämlich ein Zurück zur Priorität der Landesverteidigung.

Als strategische Konkurrenten sehen AKK und der General Russland und China. Russland definiere sich als „Gegenmacht zum Westen“ und habe seine „militärischen und politischen Drohungen in jüngster Zeit verschärft und internationale Verträge wissentlich verletzt“. Daneben werde China zu einem „machtvollen und immer häufiger sichtbar ausgreifenden Akteur“. Darauf müssten sich Europa (sie meinen sicher die EU) und die NATO gemeinsam besser vorbereiten. Deutschland solle dabei eine „Anlehnnation“ für kleinere, allerdings oft technisch sehr gut ausgestattete Partner werden. Die Bundeswehr müsse gegebenenfalls „schneller als alle anderen“ an den Außengrenzen von EU und NATO zur Stelle sein. Deutschland habe auch eine wichtige Rolle als „Drehscheibe“ für Logistik und Infrastruktur im Bündnis inne. 

Neue Technologien und Gremien 

Zudem müsse sich Deutschland mit neuen Waffentechnologien befassen, denn gegen manche Bedrohungen, unter anderem Drohnen, Killer-Satelliten oder Überschall-Flugkörper, sei Deutschland schlecht gewappnet. Deutschland sei auch durch Angriffe auf Datennetze und kritische Infrastrukturen, Übergriffe gegen Bündnispartner oder Kommunikationswege gefährdet. 

Bis Mai 2021 soll es Erlasse unter dem Namen „Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft“ geben. Zudem sollen bis April Grundzüge für den „Heimatschutz“ präzisiert werden. Außerdem schlägt das zivile und militärische AKK/Zorn-Führungstandem mehrere neue Gremien vor: einen Nationalen Sicherheitsrat und einen Bundesbeirat Sicherheit im Ministerium. Darüber hinaus will man, dass im Bundestag Aspekte der Sicherheitspolitik jährlich in einer „Sicherheitswoche“ erörtert werden. Und: Ein „Bundeswehrplanungsgesetz“ solle die Finanzierung der Streitkräfte „auf ein solides, mehrjähriges Fundament stellen“.

Wie auch immer die Umsetzung der Pläne ausgehen mag: Es ist endlich Leben in die Debatte um die Zukunft der Bundeswehr gekommen. Womöglich hat dabei ein anderes Papier einen Anstoß gegeben: nämlich ein achtseitiges Dokument, das Ende Oktober 2020 unter dem Titel „Welche Reform die Bundeswehr heute braucht“ öffentlich wurde. Es stammt von zwei Hochkarätern: dem von 2009 bis 2013 amtierenden Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant a.D. Rainer Glatz, und dem von 2015 bis 2020 amtierenden früheren Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, der auf so schofelige Weise von der eignen SPD aus dem Amt gedrängt wurde. Das nicht so überraschende Fazit der beiden: weniger Stab, mehr Truppe – und: mehr Geld. Richtig, vielleicht bewegt sich dann etwas.

Josef Kraus war von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und von 1991 bis 2014 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung des Bundesministers der Verteidigung. Zusammen mit Richard Drexl veröffentlichte er 2019 „Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (Finanzbuch-Verlag). Das Buch kommt im Mai 2021 in weitreichend aktualisierter Form neu heraus.