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26.02.21 / Schweizerische Eidgenossenschaft / Ein Leben als Europäer ohne Eurokraten / Viele sorgen sich um Englands Zukunft nach dem Brexit. Aus der Schweiz liegen bereits jahrzehntelange Erfahrungen mit einem Leben außerhalb der EU vor. Vor 20 Jahren durften die Eidgenossen über die Mitgliedschaft abstimmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-21 vom 26. Februar 2021

Schweizerische Eidgenossenschaft
Ein Leben als Europäer ohne Eurokraten
Viele sorgen sich um Englands Zukunft nach dem Brexit. Aus der Schweiz liegen bereits jahrzehntelange Erfahrungen mit einem Leben außerhalb der EU vor. Vor 20 Jahren durften die Eidgenossen über die Mitgliedschaft abstimmen
Wolfgang Kaufmann

Die Schweiz ist wie der bundesdeutsche Nachbar ein dichtbesiedelter, föderalistisch strukturierter, hochentwickelter Industriestaat im Zentrum Europas mit einer mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung. Allerdings ist die Eidgenossenschaft keine indirekte Demokratie wie die Bundesrepublik, sondern eine direkte, in der das Volk nicht nur in Ausnahmefällen über Sachfragen abstimmen darf. So wurden die Schweizer im Gegensatz zu den Bundesbürgern auch gefragt, ob sie der EU angehören wollen. Konkret lautete die diesbezügliche Frage, über welche die Schweizer am 4. März 2001 abstimmen durften: 

„Wollen Sie die Volksinitiative ‚Ja zu Europa!‘ annehmen? … Die 1996 eingereichte Initiative verlangt, dass die Schweiz sich am europäischen Integrationsprozess beteiligt und zu diesem Zweck den Beitritt zur EU anstrebt. Der Bundesrat solle unverzüglich Beitrittsverhandlungen aufnehmen. In diesen Verhandlungen und bei den Anpassungen des schweizerischen Rechts sei darauf zu achten, dass die demokratischen und föderalistischen Grundwerte sowie die sozialen und ökologischen Errungenschaften der Schweiz gewahrt bleiben. Auch seien die Zuständigkeiten der Kantone zu berücksichtigen und ihre Interessen zu wahren.“

Zur Begründung dieses Antrags machte das Initiativkomitee um Nationalrat Marc F. Suter von der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs) geltend, die Eidgenossenschaft sei faktisch permanent gezwungen, Beschlüsse der Europäischen Union zu übernehmen und umzusetzen, ohne an der Entscheidungsfindung mitwirken zu können. Ein Beitritt zur EU würde also die Souveränität der Schweiz stärken. Außerdem stehe das Land „in der Welt zunehmend isoliert … und damit erpressbar“ da. Als EU-Mitglied wäre die Alpenrepublik hingegen „stärker als alleine“.

Kohäsions- statt EU-Mitgliedsbeitrag

Die Initiative war 1995 ins Leben gerufen worden, nachdem die Schweizer den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum 1992 mit 50,3 Prozent abgelehnt hatten und der Bundesrat, die Regierung in Bern, daraufhin entschieden hatte, das kurz zuvor gestellte Beitrittsgesuch an die EU für unbestimmte Zeit auf Eis zu legen.

Der Bundesrat lehnte eine EU-Mitgliedschaft der Schweiz nicht grundsätzlich ab, aber ihm missfiel das Prozedere. Gerne hätte die Regierung mit der EU ergebnisoffen und ohne Zeitdruck verhandelt, um dann ein mögliches Verhandlungsergebnis dem Volk oder dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen. Sie lehnte es aber ab, dass ihre Verhandlungsposition gegenüber der EU durch ein vorgezogenes Votum des Volkes für die unverzügliche Aufnahme von Verhandlungen, die den Beitritt zur EU anstreben, geschwächt werden sollte. 

Zudem negiere die Initiative, so der Bundesrat, die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung, gemäß der die Regierung entscheide, ob und wann die Alpenrepublik in außenpolitische Verhandlungen eintrete, und erst danach das Volk oder das Parlament die getroffenen Abmachungen entweder bestätigen oder ablehnen würden. Deshalb empfahl die Regierung den Bürgern vor dem Referendum, mit „nein“ zu stimmen. Dem schlossen sich die beiden Kammern der Bundesversammlung an. Der Nationalrat traf einen entsprechenden Beschluss mit 94 zu 69, der Ständerat mit 33 zu 6 Stimmen. 

Das Volk dachte in der Frage ähnlich wie Regierung und Parlament. Am 4. März 2001 stimmten nur 597.217 Schweizer mit „ja“, während 1.982.549 mit „nein“ votierten. Mit einer satten Dreiviertelmehrheit von 76,8 Prozent Gegenstimmen hatte das Volk der Initiative eine Abfuhr erteilt. 

Während die Regierung in Bern ungeachtet des Abstimmungsergebnisses an ihrem Fernziel eines EU-Beitritts festhalten wollte, zeigten die Meinungsumfragen, dass die meisten Schweizer nicht nur mit dem vom Bundesrat kritisierten Prozedere haderten, sondern sich mit ihrer Nein-Stimme generell gegen eine EU-Mitgliedschaft aussprechen wollten. Sie wussten um die hohen Nettozahlungen an Brüssel und den Verlust der Neutralität ihres Landes, die ihnen dann drohten. Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Abgesehen von der Annahme einzelner EU-Bestimmungen wie der EU-Waffenrichtlinie und internationaler Übereinkünfte wie das Schengener Abkommen fand keine weitere Annäherung der Schweiz an die EU statt.

Mitglied der Schengen-Gemeinschaft

Wie den Briten der Brexit bekommen wird, wissen wir noch nicht. Den Schweizern jedenfalls hat ihre Unabhängigkeit von Brüssel bislang nicht geschadet. Eher ist das Gegenteil der Fall. Auch als Nichtmitglied konnte sich die Schweiz vermittels diverser sektorieller Abkommen – mittlerweile sind das schon weit über hundert – einen diskriminierungsfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt sichern. Zwar hat die Eidgenossenschaft kein formelles Mitentscheidungsrecht, wenn es um die Erarbeitung neuer EU-Rechtsakte geht, aber sie besitzt immerhin ein weitgehendes Mitspracherecht. Und das alles zu einem im Vergleich zu einer Mitgliedschaft sehr günstigen einmaligen „Kohäsionsbeitrag“ von einer Milliarde Franken.

Bei dem Votum der Briten für den Brexit spielte außer den hohen Nettobeiträgen jedes Jahr auch die Sorge eine Rolle, dass Großbritannien als EU-Mitglied in Mitleidenschaft gezogen werden könnte durch die Politik der Masseneinwanderung und der „Willkommenskultur“ des von Angela Merkel regierten EU-Mitgliedes Deutschland. Allerdings hat den Schweizern diesbezüglich die Nicht-Mitgliedschaft ihres Landes in der EU offenkundig wenig gebracht. Denn auch so scheint es viel Grund zur Unzufriedenheit mit der Asylpolitik zu geben. Eine satte Mehrheit von 62 Prozent der Schweizer ist unzufrieden. Viele Eidgenossen würden es begrüßen, wenn ihr Land weniger offen für „Schutzsuchende“ dastünde. Und tatsächlich leben in der Eidgenossenschaft noch mehr anerkannte Flüchtlinge in Relation zur autochthonen Bevölkerung als im EU-Durchschnitt.

Wie in der Asyl- scheint auch in der Corona-Politik kein wesentlicher Unterschied zwischen der Schweiz und der EU zu bestehen. Wie in den meisten EU-Mitgliedsstaaten hat auch in der Eidgenossenschaft die Regierung im Zuge der Corona-Pandemie die verfassungsmäßigen Grundrechte der Bürger massiv eingeschränkt. Erschwerend kommt in der Schweiz hinzu, dass sie kein Verfassungsgericht besitzt und die Exekutive somit keiner Kontrolle unterliegt. Darüber hinaus bleibt der traditionelle Föderalismus immer stärker auf der Strecke.

Außerdem haperte es mit der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus, und das, obwohl in der Alpenrepublik mehrere große Pharmakonzerne angesiedelt sind. Nun wartet die Schweiz Impfstofflieferungen aus dem Ausland ab. Und die treffen nur schleppend ein.