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26.02.21 / Pandemie / Waren „Querdenken“-Demos schuld an Corona-Ausbrüchen? / Forscher wollten beweisen, dass die Kundgebungen der Lockdown-Kritiker zu „Superstreuern“ wurden. Doch ihre Beweisführung entpuppt sich als äußerst dürftig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-21 vom 26. Februar 2021

Pandemie
Waren „Querdenken“-Demos schuld an Corona-Ausbrüchen?
Forscher wollten beweisen, dass die Kundgebungen der Lockdown-Kritiker zu „Superstreuern“ wurden. Doch ihre Beweisführung entpuppt sich als äußerst dürftig
Dirk Pelster

Nun soll es also feststehen: Sogenannte „Corona-Leugner“ verhalten sich nicht nur unverantwortlich, weil sie die Infektionsschutzmaßnahmen der Regierung infrage stellen, eine Studie will auch herausgefunden haben, dass die Regierungskritiker das Coronavirus bei ihren Veranstaltungen selbst massiv verbreitet haben. Allein zwei Demonstrationen in Leipzig und Berlin im November des vergangenen Jahres sollen danach für zehntausende Neuinfektionen verantwortlich sein.

Im etablierten Medienbetrieb herrschte eitel Freude, als Anfang Februar das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gemeinsam mit der Berliner Humboldt-Universität eine Studie veröffentlichte, wonach zwei junge Wirtschaftswissenschaftler zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Demonstrationen von Kritikern der aktuellen Infektionsschutzmaßnahmen wahre „Superspreader-Events“ seien. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), an dem mittelbar auch die SPD größere Anteile hält, jubilierte gar, dass nunmehr „wissenschaftlich untermauert“ sei, was in der Medienberichterstattung bislang einfach immer nur behauptet wurde.

Wirft man einen Blick in das vorliegende Papier, stellt sich indes der Eindruck ein, es diene vor allem dazu, der Stigmatisierung und politischen Bekämpfung von Kritikern der laufenden Infektionsschutzmaßnahmen eine Art wissenschaftliche Legitimierung zu verleihen. So geben die Autoren zu Beginn zunächst einen Abriss über das Infektionsgeschehen des vergangenen Jahres und befassen sich dann näher mit sozialen und politischen Gruppen in Deutschland, die den zunehmend restriktiver gewordenen Regierungsmaßnahmen skeptisch gegenüberstehen. 

Kritiker pauschal abgewertet

Auffallend ist dabei bereits die einseitige und fast schon verleumderische Etikettierung dieser Kritiker. Neu ist, dass die Verfasser neben Rechtsradikalen, Reichsbürgern, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern jetzt auch Monarchisten zu den „Corona-Leugnern“ zählen. Implizit unterstellt wird dabei, dass alle Skeptiker bereits die Existenz des Coronavirus bestreiten, was tatsächlich nur für einen sehr kleinen Teil dieses Personenkreises zutreffen dürfte.

Abenteuerlich wird dann das Forschungsdesign, mit dem die Autoren belegen wollen, dass zwei im November 2020 in Berlin und Leipzig stattgefundene Demonstrationen der Initiative „Querdenken“ zu Masseninfektionen in den Landkreisen geführt hätten, in denen während der sogenannten „Zweiten Welle“ besonders viele Positiv-Testungen auf das Coronavirus festgestellt wurden. Diese liegen im Wesentlichen in einem Gürtel, der sich vom nördlichen Franken nach Osten bis in die Bundesländer Thüringen und Sachsen zieht. 

Nach Auffassung der Forscher handelt es sich bei diesen Regionen um Hochburgen der „Corona-Leugner“, wofür als Beleg Wahlergebnisse der AfD und eine geringe Impfquote bei Masern herangezogen wird. Diese Annahmen sind bereits recht fragwürdig, denn hier wurden Resultate der Europawahl 2019 verwendet, die weit vor dem Auftreten des Virus stattgefunden haben, und die Impfquote bei Masern liegt allein in Sachsen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, was dadurch zu erklären ist, dass die dortigen Behörden sich nicht an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission orientieren. Hier könnte man also allenfalls von staatlicher Nachlässigkeit, nicht aber von einer erhöhten Impfkritik innerhalb der Bevölkerung sprechen.

Kernstück der Beweisführung sind jedoch herangezogene Daten der regierungskritischen Initiative „Honk for hope“. Diese wird überwiegend von kleinen Reisebusunternehmen getragen, deren Geschäftsmodell durch die amtlich verhängten Einschränkungen stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Für zwei im Dezember 2020 und im Januar 2021 geplante Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen bot sie Mitfahrgelegenheiten an und stellte auf einer Internetseite eine Liste möglicher Haltestellen ein, an denen Interessenten zusteigen konnten. 

Zeitliche Reihenfolge vertauscht

Die bundesweit offerierten Zustiegspunkte haben die Studienmacher dann mit dem Netz von Haltestellen des kommerziellen Reiseverkehrsunternehmens FlixBus verglichen. Dabei fokussierten sich die Autoren vor allem auf einwohnerschwache Kommunen, da sie – nicht ganz zu Unrecht – annahmen, dass kleinere Orte nur dann im Rahmen eines Zwischenstopps angesteuert werden, wenn hier jeweils eine größere Personengruppe zusteigt, damit die Fahrten insgesamt wirtschaftlich durchgeführt werden können. Das in die Studie aufgenommene Kartenmaterial zeigt, dass FlixBus kleinere Städte im ganzen Bundesgebiet überwiegend nur dann anfährt, wenn diese in der unmittelbaren Nähe großer Autobahnen liegen. „Honk for hope“ hingegen hatte Haltestellen schwerpunktmäßig im Norden des Freistaates Bayern sowie in Thüringen angeboten, also in Regionen, in denen im November 2020 ein erhöhtes Infektionsgeschehen verzeichnet wurde.

Problematisch an diesem Vorgehen ist zunächst, dass die Autoren hier Listen von Haltestellen der Initiative „Honk for hope“ heranziehen, die gar nicht für die Demonstrationen im November bereitgestellt wurden, sondern die erst für später geplante Veranstaltungen bestimmt waren. Hier wird also ein erhöhtes Infektionsgeschehen im November mit Busfahrten erklärt, die im Dezember und Januar hätten stattfinden sollen. Es gibt zudem keine Daten, ob Reisebusse die besagten Haltepunkte tatsächlich angesteuert haben und wie viele Fahrgäste dort gegebenenfalls zugestiegen sind. Offensichtlich haben sich die Forscher auch keine Mühen gemacht, dies herauszufinden. 

Arbeit wirkt stark konstruiert

Nicht berücksichtigt wird zudem die Höhe des Anteils, den Busreisende an der Gesamtzahl der Teilnehmer der Veranstaltungen stellten. Normalerweise rekrutiert sich das Personenpotential einer Demonstration vor allem aus Ortsansässigen, und der Anteil Ortsfremder nimmt mit zunehmender Distanz des jeweiligen Wohnorts vom Veranstaltungsort ab. In Leipzig hat es im November aber im bundesweiten Vergleich gar keinen überdurchschnittlichen Anstieg des Inzidenzwertes bei Neuinfektionen gegeben. 

Der in der Studie gewählte methodische Ansatz ist durchaus phantasievoll, berücksichtigt aber nur unzureichend weitere mögliche Einflussgrößen. Insgesamt wirkt die Arbeit daher stark konstruiert und kann das Behauptete nicht belastbar belegen.