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26.02.21 / Rezension / Ein Appell / Flucht in weltweiter Betrachtung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-21 vom 26. Februar 2021

Rezension
Ein Appell
Flucht in weltweiter Betrachtung
Dirk Klose

Ostpreußen hat in den vergangenen Jahren kein anderer Autor so nachhaltig in Erinnerung gebracht wie der Historiker Andreas Kossert. Seine Bücher über die Region, über Masuren und über den schwierigen Neuanfang vieler Vertriebener im Westen haben viel Beifall gefunden. 

Traumatisches ErlebnisJetzt hat er das Thema „Flucht“ in weltweiter Perspektive betrachtet und gezeigt, wie sehr entgegen manch optimistischen Dar­stellungen die Zeit seit dem Ersten Weltkrieg auch eine Katastro­phengeschichte von Krieg, Elend, Flucht und Vertreibung ist.

Flucht und Vertreibung, das zeigt Kossert einleitend, begleiten die europäische Geschichte seit Jahrhunderten. Er nennt die Vertreibung von Muslimen und Juden aus Spanien nach 1492, die Glaubensflüchtlinge in der frühen Neuzeit, Armenier im Osmanischen Reich, den brutalen „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Griechen und Türken nach 1923, Karelier in Finnland, Italiener aus Istrien und Kroatien, Polen aus dem früheren Ostpolen, Jesiden im Irak, Hindi und Moslems in Indien und Pakistan, Rohingyas aus Birma und immer wieder Vertriebene aus Ostpreußen und Schlesien. 

Den Hauptteil des Buches bilden dann weit über hundert persönliche Zeugnisse aus den genannten Regionen. Sie stammen aus verschiedenen Quellen, historischen und belletristischen Darstellungen. Welche Region man auch nimmt, die Schicksale gleichen sich fast überall: das traumatische Erlebnis der unwiderruflich verlorenen Heimat, Angst, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit, Ankunft in einer ablehnenden Fremde, neues Leben unter oft erbärmlichen Umständen.

Heimweh

Dazu nie versiegendes Heimweh: „In Israel sehnen sie sich nach dem Kurfürstendamm, in Polen nach Grodno, in Finnland nach den Landschaften Kareliens, in Italien nach Fiume und den Küsten Istriens, in Delhi nach Lahore, in Athen nach Smyrna, im Nachkriegsdeutschland nach dem Riesengebirge und den masurischen Seen.“

Selbst wer in dritter Generation – wie etwa der aus einer ost­preußischen Familie stammende Ministerpräsident Baden-Württembergs Winfried Kretschmann – heimisch geworden ist, spürt, so zitiert der Autor mehrere Zeugnisse, noch die früheren Ursprünge.

Gemeinsame Anstrengung 

Kosserts Buch ist ein flammender Appell, Flüchtlingen offen zu begegnen und Fluchtursachen „in gemeinsamer Anstrengung“ zu bekämpfen. Gerade auf diesen Aspekt hätte er vielleicht noch etwas mehr eingehen sollen, so diffizil dieses Thema auch ist. 

Vereinzelt erscheint manche Darstellung zum Leben in der Nachkriegszeit etwas zu stark gezeichnet; zu Dänemark beispielsweise (Seite 245) gibt es gerade von Flüchtlingen auch anderslautende Äußerungen. Aber das sind Marginalien zu einem Buch, das trotz des nicht gerade freundlichen Themas viele Leser verdient. 

Andreas Kossert: „Flucht. Eine Menschheits­geschichte“, Siedler Verlag, München 2020, gebunden, 432 Seiten, 25 Euro