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05.03.21 / COVID-19 und der Tod / Im Kampf gegen die Corona-Pandemie scheint der Schutz des Lebens zur absoluten Größe geworden zu sein. Dabei gehört das Sterben schon immer zu unserem Dasein dazu. Gedanken über ein Auskommen mit dem Unausweichlichen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-21 vom 03. März 2021

COVID-19 und der Tod
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie scheint der Schutz des Lebens zur absoluten Größe geworden zu sein. Dabei gehört das Sterben schon immer zu unserem Dasein dazu. Gedanken über ein Auskommen mit dem Unausweichlichen
Klaus Weigelt

„Ich bin fest überzeugt, dass man in der Welt mehr verlieren kann als das Leben.“ (Novalis)

Offenbar hat es bis vor einem Jahr weder Krankheit noch Tod in unserer Gesellschaft gegeben. Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man die tägliche mediale „Berichterstattung“ beobachtet, die seit den ersten Corona-Fällen im Frühjahr 2020 über das Volk hereinbricht. 

Doch wodurch rechtfertigt sich diese ungeheure Nachrichten-Lawine? Sind Krankheit und Tod durch Corona anders geworden? Ist der Tod nicht immer das Ende eines Menschenlebens, eines kurzen oder eines langen „im gesegneten Alter“? Selten jedoch gelingt dem Tod der Weg in die Öffentlichkeit, allenfalls in Gestalt der Todesanzeigen in den Zeitungen. Erst wenn eine bedeutende Persönlichkeit das Zeitliche segnet, oder wenn eine Katastrophe Menschen in den plötzlichen Tod gerissen hat, horcht die Öffentlichkeit für einen Moment auf. Aber auch dies gerät schnell wieder in Vergessenheit – wie auch die Toten der Kriege in Afghanistan oder Syrien und in so vielen anderen Regionen der Welt. Sie sind binnen Kurzem keine „Meldung“ mehr wert. 

Bilder der Unentrinnbarkeit

Seit fast einem Jahr ist das anders. Krankheit und Tod sind zu öffentlichen Dauerthemen und Gegenstand täglicher Berichterstattung geworden, wenn auch nicht ganz. Denn das tatsächliche, sich hinter den Corona-Zahlen verbergende Leiden und Sterben oder auch Genesen bleibt den einzelnen Patienten überlassen, mit oder – wegen Kontaktverbot – ohne Angehörige. Nur die Zahlen der Infizierten und Toten erreichen die Bevölkerung, als nackte Tatsachen, auf die sich jedermann seinen eigenen Reim machen kann oder muss. Trost bietet die Öffentlichkeit nicht an, nur sogenannte Fakten. Und diese verunsichern, ängstigen, erschrecken. 

Zumal ergänzende Berichte aus dem Ausland Erkenntnisse darüber beisteuern, was Deutschland noch alles blühen kann. Der Nervenkitzel des Bedrohlichen muss auf Spannung gehalten werden. Das Grauen wird der Öffentlichkeit drastisch, in Gestalt hoffnungsloser Beatmungs-Patienten im Endstadium vorgeführt. Zusätzlich wird erläutert, dass das Pflegepersonal chronisch „überlastet“ sei und die Ärzte „am Limit“ arbeiteten. 

Obwohl zahlreiche, vor allem junge Infizierte die Krankheit entweder gar nicht spüren oder sie nach leichtem oder mittlerem Verlauf überwinden, werden nur solche Genesene der Öffentlichkeit gezeigt, die an chronischen Langzeitfolgen der Infektion leiden. Es wird das Bild vermittelt, dass auch eine Genesung immense Gefahren in sich birgt. Damit ist das Bild der Unentrinnbarkeit perfekt. Die Bevölkerung lebt in der ständigen Angst vor der Pandemie, und sie lebt unter dem Druck sich dauernd verschärfender Auflagen und Verordnungen durch die Bundes- und Landesregierungen, die ihr ebenfalls die Luft zum Atmen nehmen, aber nicht von der Angst befreien.

Ein besonderer Tod?

Sind Leiden und möglicher Tod eines COVID-19-Patienten wirklich so anders als Leiden und Tod bei jeder anderen Krankheit? Handelt es sich um eine völlig neue Botschaft, wenn Regierungsverantwortliche vor die Presse treten und uns erklären, es gehe bei COVID-19 um Leben und Tod? Es fällt schwer, das zu glauben. Geht es nicht immer um Leben und Tod? Jeden Tag?

Positiv kann verzeichnet werden, dass durch die Krise sowohl der gesellschaftliche als auch der private Diskurs über Krankheit und Tod angeregt wurde, allerdings eher indifferent und unbeteiligt. Die Ansagen haben im Wesentlichen die Tendenz: „Wir sind ja bisher verschont worden, aber …“. Und dann folgt eine Geschichte vom Hörensagen, wie sie täglich auch in den Medien verbreitet wird. Krankheit und Tod sind sozusagen in aller Munde und damit auch Ängste und Unsicherheiten. 

Nach Maßstäben des gesunden Menschenverstandes kann aus dieser Schieflage der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich nicht gefolgert werden, dass Corona-Kranke und An- oder Mit-COVID-19-Verstorbene einen höheren Rang, eine höhere Priorität hätten als Krebstote oder Infarkttote, die weniger oder gar keine öffentliche Beachtung finden. Jeder Tote, auch der Corona-Tote leidet an seiner eigenen Krankheit und stirbt seinen eigenen Tod. Es gibt nur diesen einen, höchst persönlichen Tod, der jedem Menschen bevorsteht, wo und wie auch immer.

Die Vernachlässigung des Sterbens

Was aufschrecken muss, ist der Umgang mit dem Sterben, ob mit oder ohne Corona. Kontaktbeschränkungen mögen allgemein zur Vermeidung der Virenverbreitung ihre Berechtigung haben, beim Umgang mit Sterbenden sind sie völlig unangebracht. Es ist nicht nur menschenunwürdig, sondern menschenverachtend, Sterbende sich selbst zu überlassen und sie ohne persönliche Begleitung, ohne ihnen die Hand zu halten, ihren letzten Weg mutterseelenallein gehen zu lassen. Wer so etwas verfügt, der verstößt gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes. Und wer so etwas zulässt, der macht sich einer nicht wiedergutzumachenden Untat schuldig. Jede Kontaktbeschränkung kann zeitlich begrenzt werden, die dem Sterbenden gegenüber ist jedoch immer endgültig – und darum unzulässig.

Ein Arzt, der es wissen muss, sagte neulich: „Nun haben wir es geschafft, die Menschen, die oftmals durch COVID und andere Pneumonie-Erreger von einem leidvollen Leben erlöst werden, nicht mehr im Kreis ihrer Angehörigen oder zumindest im Altersheim in Frieden sterben zu lassen, sondern mit Blaulicht in eine Klinik zu fahren und sie dort an Maschinen am friedlichen Sterben zu hindern, bis irgendwann so viele Organe ausgefallen sind, dass man die Maschinen endlich abstellen kann.“

Man kann auch nicht verbieten, dass Kinder geboren werden, obwohl man auch schon Schwangere über Monate total isoliert. Aber wenn man Geburten in Corona-Zeiten organisieren kann, dann muss man auch das Sterben in einem menschenwürdigen Rahmen organisieren können. Wenn man es nicht tut, fehlt es nicht an Möglichkeiten, sondern am Willen. Regeln verlieren immer dann ihre Berechtigung, wenn sie um ihrer selbst willen durchgesetzt werden: Doch der Mensch wurde nicht um des Sabbats willen, sondern der Sabbat um des Menschen willen erschaffen. An dieser Weisung Jesu müssen sich auch die Corona-Regeln messen lassen. Und deswegen ist es völlig inakzeptabel, wie vor Wochen in Bayern geschehen, einen Großvater zu bestrafen, der seine Enkel nachts zu den Eltern fährt. Was für eine Gesellschaft ist das, in der es kein „triftiger Grund“ mehr sein soll, dass Kinder zu ihren Eltern „Kontakt“ haben?

Der Tod als Ziel des Lebens 

Aber diese Themen werden in der Öffentlichkeit umgangen, auch von den Kirchen. Die Gelegenheit, über den Tod als Teil des menschlichen Lebens zu sprechen, wird nicht angemessen ergriffen. Die Debatte bleibt im Unverbindlichen stecken, eben so, als beträfen uns die „normalen“ Tode und das „Infektionsgeschehen“ in ihrer existentiellen Bedeutung nicht. Und doch ist auch Corona, wie jede andere Krankheit oder jeder Unfall eine Bedrohung, die für das eigene Leben in Betracht gezogen werden muss. Jedes Leben endet, wie auch immer. Und jedes Leben hat das Recht, würdig zu enden.

Der Christ weiß das. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ heißt es im Evangelischen Gesangbuch (Lied Nummer 518). Johannes Brahms lässt in seinem großartigen Werk „Ein deutsches Requiem“ singen: „Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss.“ (Psalm 39, 5). Und im Psalm 90, 12 betet Mose: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Diese wenigen Hinweise zeigen, dass der Tod etwas mit dem Ziel unseres Lebens zu tun hat. Genau daran erinnert uns jede Krankheit, auch Corona. 

Die weltweite Pandemie erinnert daran, dass der Mensch zwar den ersten Teil des biblischen Schöpfungsgebotes „Füllet die Erde“ inzwischen übererfüllt hat; doch den zweiten Teil „Und machet sie euch untertan“ (Gen 1, 28) hat er in eine Missachtung und weitgehende Zerstörung der Schöpfung fehlgedeutet, zumindest seit etwa zweihundert Jahren. Doch auch der Vorstoß in die Tiefen der Meere oder in die Weiten des Weltraums haben ihn nicht zum Herrn der Welt, nicht einmal zum Herrscher der Erde gemacht. 

Ja, der Mensch ist nicht einmal Herr über sich selbst, und ein kleines Virus macht ihm schnell die Grenzen seiner Fähigkeiten klar – oder auch nicht. Denn immer noch schwadronieren Politiker davon, dass man bald das Virus „beherrschen“ werde. Dabei gibt es andere, wesentlich ältere Krankheiten wie Malaria, die der Mensch noch immer nicht „beherrscht“ oder „im Griff hat“. 

Leben mit den Naturgewalten

Auch alle Naturereignisse wie die Flutkatastrophen 1962 und 1976 oder die Schnee- und Eiskatastrophe 1978/79 in Deutschland oder Vulkanausbrüche, Tsunamis und Erdbeben in anderen Regionen der Erde lassen den Menschen als das zurück, was er ist: ein hilfloses Opfer angesichts der Naturgewalten. Das gilt auch für Seuchen wie Malaria, Typhus, AIDS, Tuberkulose und Diphtherie, mit denen die Menschheit schon lange leben muss. 

Der menschliche Fortschritt ist immer ein begrenzter, er ist Stückwerk (1. Kor. 13, 9). Für Hochmut gibt es keinerlei Anlass, zumal der Mensch nicht einmal die von ihm selbst verursachten Katastrophen wie Kriege und Flüchtlingsströme, Armut und Hungersnöte, Sklaverei und Kinderarbeit, Christenverfolgung und Judenpogrome, weltweite soziale Ungerechtigkeit oder Umweltverschmutzung „in den Griff“ bekommt. Dafür will er jetzt zu den Sternen greifen, sein weltweites Fehlverhalten anpassen und das Klima ändern nach dem Motto: „Wenn wir schon die lösbareren Probleme nicht packen können oder wollen, warum sollen wir dann nicht die unlösbaren ins Visier nehmen?“ 

Die Wahrheit ist, dass wir auch mit einem Impfstoff das Virus nicht loswerden und es auch nicht „beherrschen“. Aber wir werden lernen, mit ihm zu leben und zu sterben. Der Tod wird, wie immer schon, unser täglicher Begleiter bleiben, mit COVID-19 als einer zusätzlichen Gefahrenquelle. 

Für die Christen, die in unserer Gesellschaft noch immer die Mehrheit stellen, hat jedoch der Tod durch Jesus Christus seinen Schrecken verloren. Gerade in dieser besonderen Passionszeit spricht er uns zu: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Joh 16, 33). 

Klaus Weigelt ist Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Königsberg e.V. Zu seinen Büchern gehört „Im Schatten Europas. Ostdeutsche Kultur zwischen Duldung und Vergessen“ (Westkreuz-Verlag 2019). www.stadtgemeinschaft-koenigsberg.de