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05.03.21 / Erinnerungen / Ein Enkel vollendet das Werk des Großvaters / Von Neidenburg nach Rendsburg – Die bewegte Familiengeschichte des Volksschullehrers Kurt Uschkereit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-21 vom 03. März 2021

Erinnerungen
Ein Enkel vollendet das Werk des Großvaters
Von Neidenburg nach Rendsburg – Die bewegte Familiengeschichte des Volksschullehrers Kurt Uschkereit
Dagmar Jestzremski

Rund 900 Schreibmaschinenseiten umfasst die Lebens- und Familienchronik von Kurt Uschkereit (1896–1978), der mit seiner Ehefrau Else als Flüchtling aus dem ostpreußischen Neidenburg nach Rendsburg in Schleswig-Holstein kam. Dort war er bis zu seiner Pensionierung wieder als Volksschullehrer tätig. 

Sein Enkel Ralf Uschkereit hat das unvollendet gebliebene Manuskript seines Großvaters für die geplante Drucklegung abgeschrieben und die Rechtschreibung auf den heutigen Stand gebracht. „Verwehte wahre Vergangenheit“ lautet der Titel des mit vielen Fotos ausgestatteten, kompakten Buches von 560 Seiten Umfang. Inhaltlich greifen diese in einzelnen Geschichten verarbeiteten persönlichen Erinnerungen weit über den üblichen Rahmen hinaus. 

Als Kurt Uschkereit 1966 im Alter von 70 Jahren mit der Niederschrift begann, hatte er eigentlich nur über die dramatische Flucht aus Neidenburg vor dem Einmarsch der Russen im Januar 1945 berichten wollen. Mit einigen Unterbrechungen setzte er seine schriftstellerische Tätigkeit bis zu seinem Lebensende fort und hinterließ einen sprachgewandten, formvollendeten Text. Schlussendlich bildet der Bericht über die Flucht nur das Hauptstück des letzten Teils dieser ungewöhnlich detailreichen Schilderung. Sie endet mit einem Bericht vom Mai 1945 über ein wundersames Ereignis, das ihm in Teterow (Mecklenburg) widerfuhr und für das er auch später keine Erklärung fand.  

Dem Verfasser war die Gabe seines phänomenalen Gedächtnisses bewusst. Er schreibt: „Werden auf einer Straße Lehm und Ton im Laufe der Zeit immer fester, der Sand immer loser und vom Winde leichter beweglich, so bleiben in Lehm und Ton die am tiefsten eingedrückten Spuren in voller Deutlichkeit erhalten, im Sande dagegen sind manche für immer verweht. Ich muss wohl eine Seele tonig-lehmiger Beschaffenheit haben, denn vor meinem innern Auge erstrahlt mir meine Jugend in sonniger Klarheit und Schärfe.“ Schier unerschöpflich erscheinen seine Kindheitserinnerungen aus der Kaiserzeit in Magdeburg. Noch weiter zurück in die Vergangenheit reichen seine Berichte über die Wanderschaft seines Vaters, die auf dessen Briefen und Erzählungen beruhen. 

Sein Vater hatte bei der „Preußisch-Litauischen Zeitung“ in der ostpreußischen Kreisstadt Gumbinnen eine Setzerlehre absolviert und ging 1888 auf die Walz. Er wanderte durch Pommern und Dänemark, von Hamburg nach Amsterdam, durch die Rheinpfalz nach Straßburg, St. Gallen und München. Der Vater und die Mutter von Kurt Uschkereit wurden 1868 und 1869 in Dörfern nahe Gumbinnen geboren. Nach sieben langen Jahren der Trennung der einander versprochenen Eltern wurde 1896 in Magdeburg geheiratet, wo die Mutter bei einem Zahnarzt „in Stellung“ war. Hier kam ihr erster Sohn Kurt am 11. November 1896 zur Welt. Bis zum Umzug nach Königsberg im Jahr 1908 lebte die inzwischen fünfköpfige Familie in Magdeburg.  

Erlesenes, Gehörtes und Erlebtes liegen den Aufzeichnungen zugrunde, die durch den feinen Humor und eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe des Verfassers gekennzeichnet sind. Die wichtigen Belange des täglichen Lebens werden aufgegriffen: das Eisenbahnfahren, die ersten Streiche, Königsberger Originale, die Gaunereien kleiner und „bedeutender“ Leute, freundliche und neidische Nachbarn, das Kochen, Waschen, Bügeln, Brotbacken, die handwerkliche Geschicklichkeit des Vaters und des Großvaters in Norbuden (Ostpreußen), Gottesdienste, Jahrmarktbesuche, die damalige Schulzucht und -ordnung, Haareschneiden, Basteln und die Mode. Bedenklich mutet manches aus heutiger Sicht an, so etwa, dass man Säuglinge bereits ab einem Alter von vier Monaten erfolgreich zur Sauberkeit erzog. 

Mit seinem Mittelschulabschluss in der Tasche begann Uschkereit 1911 aufgrund des väterlichen Drängens eine vom Vater bezahlte dreijährige Ausbildung zum Volksschullehrer an der Königlich-Preußischen Präparanden-Anstalt in Königsberg. Nach bestandener Prüfung wechselte er zum Lehrerseminar in Waldau und trat 1916 seinen ersten bezahlten Dienst an der Seminar-Übungsschule in Hohenstein an. Als Lehrer an der Neidenburger Volksschule führte er Ende der 1920er Jahre den Werkunterricht für Jungen ein. Sein langjähriges Hobby, das Basteln, hatte er schon frühzeitig auf die Technik ausgedehnt und baute Radio- und Fotoapparate. Aus diesem Grund wurde ihm 1938 die Leitung der Kreisbildstelle in Neidenburg angetragen, die er neben seiner Lehrertätigkeit bis zu seiner Flucht aus Ostpreußen innehatte. Im Alter war die Kunsttischlerei seine Lieblingsbeschäftigung.

Ralf Uschkereit (Hrsg.): „Kurt Uschkereit: Verwehte wahre Vergangenheit“, Verlag: Books on Demand, Norderstedt 2020, broschiert, 560 Seiten, 9,99 Euro