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05.03.21 / Östlich von Oder und Neiße / Ein 85-jähriger Oberglogauer im Kampf gegen den Lockdown / Der Friseurmeister Heinrich Larisch zog gegen eine Geldstrafe vors Oppelner Oberverwaltungsgericht, siegte – und starb

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-21 vom 03. März 2021

Östlich von Oder und Neiße
Ein 85-jähriger Oberglogauer im Kampf gegen den Lockdown
Der Friseurmeister Heinrich Larisch zog gegen eine Geldstrafe vors Oppelner Oberverwaltungsgericht, siegte – und starb
Chris W. Wagner

Ein Deutscher aus dem oberschlesischen Oberglogau [Głogówek] hat den Kampf gegen die Lockdown-Maßnahmen in der Republik Polen initiiert – und bezahlte einen hohen Preis.

Der Friseursalon von Heinrich Larisch auf dem Oberglogauer Ring, gegenüber vom Rathaus, hatte Kultstatus. Jeder in Oberglogau kannte ihn und auch viele von außerhalb besuchten „Friseurmeister Heini“, wie er genannt wurde. Betrat man den Salon, tauchte man in eine Welt ein, in der die Zeit stehengeblieben war. Der Blick blieb am Hirschgeweih über dem ovalen Durchgang zum Hinterzimmer hängen. Links unter dem Geweih, auf einem braunen Schreibtisch, blubberte ein Aquarium. 

„Mädels, ihr könntet mal die Pflanzen gießen“, rief der Chef in den Raum und deutete auf eine Reihe Topffarne. Neben dem Haareschneiden waren Pflanzen Larischs große Leidenschaft. Die Mädels, die ihre Ausbildung bei Larisch machen durften, hatten viel zu tun. Der Laden war immer gut besucht.

Hinter einer Trennwand mit braun-beiger Dekotapete mit Klinkermuster warteten Damen, die sich eine Dauerwelle legen oder vor dem sonntäglichen Kirchgang die Frisur auffrischen ließen. Der Chef persönlich legte Hand an, denn dabei konnte er am ehesten Neuigkeiten erfahren. „Die, die deutsch sprechen, kommen zu mir auch, um einfach mal in ihrer Muttersprache zu plaudern“, sagte er. „Sie kommen zu mir, wenn sie in der Stadt etwas erledigen müssen, die Städter bei schönem Wetter, Menschen vom Lande bei schlechtem, wenn sie nicht auf dem Felde arbeiten können. Ich habe Kunden, die seit 50, 60 Jahren zu mir kommen“, erzählte Larisch stolz, der über 70 Jahre seinen Beruf ausübte. Ununterbrochen. Bis Corona kam.

Nie wollte der 1935 Geborene etwas anderes als Frisör werden, sehr zum Leidwesen seines Vaters, der Tischlermeister war und für die Familie von Oppersdorff auf dem Schloss arbeitete. So verheimlichte er seinen Eltern die Friseurlehre in Neustadt O.S. [Prudnik] und machte sein Diplom. Sich durchzubeißen, das musste er schnell lernen. Humor zu behalten, trotz Widrigkeiten, war seine Devise. Obwohl sein Laden mit zwei Festangestellten und den etwa 200 Lehrlingen und Praktikanten in 70 Jahren oft ein Zuschussgeschäft war, mochte er seine Arbeit nie missen. 

In diesem Laden lernte er seine spätere Ehefrau kennen, die jedoch schon vor 

28 Jahren verstarb. Auf die Frage, ob ihm das Witwerleben schwer falle, antwortete er schelmisch: „Nun ja, ich habe halt ihre Kunden übernommen, und das hat ja auch was Gutes.“ Larisch war die Seele des Oberglogauer Stadtkerns, ein Urgestein der deutschen Prägung von Klein-Berlin, wie man zu dieser Stadt sagte. 

Larisch war ein Kämpfer. Als sein Salon im ersten Corona-Lockdown geschlossen wurde, sagte er sich: „Nicht mit mir“ und öffnete. Am 22. April vergangenen Jahres wurde er beim Haareschneiden erwischt. Hinzu kam, dass weder er noch sein Kunde Masken trugen. Als eine Strafe in Höhe von umgerechnet 2300 Euro auf ihn zukam,  legte der Friseur Widerspruch beim zuständigen Gesundheitsamt Neustadt OS. ein. Als nächstes focht er die Strafe beim Oppelner Verwaltungsgericht an und bekam Recht. Die Strafe wurde mit der Begründung annulliert, der Gesetzgeber und der Ministerrat hätten keinen Katastrophenzustand ausgerufen, der eine Freiheitsbeschränkung der Bürger oder Menschenrechtsbeschränkungen erlaube. Der Fall Larisch machte schnell die Runde und ermutigte polenweit eine ganze Reihe von Geschäftsleuten, ihm dies gleichzutun.

Der Kampf des 85-jährigen Larisch endete jedoch mit seinem Tod infolge eines Herzinfarkts. Dass es mit seinem Salon weitergeht, dafür hat er aber gesorgt. „Ich habe in meinem Testament festgehalten, dass – solange dieser Laden kein Defizit macht – hier ein Friseursalon bestehen muss. Das bin ich meinen Kunden schuldig.“ Doch einer der letzten Anlaufpunkte für die deutsche Sprache im Alltag scheint mit ihm verloren.