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05.03.21 / Ein Jahr Lockdown / Eine vom Virus befallene Branche / Todeskampf eines ganzen Industriezweigs – Wie Hoteliers und Reisevermittler ums Überleben kämpfen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-21 vom 03. März 2021

Ein Jahr Lockdown
Eine vom Virus befallene Branche
Todeskampf eines ganzen Industriezweigs – Wie Hoteliers und Reisevermittler ums Überleben kämpfen
Harald Tews

Es wäre sicher unangebracht, eine Rangfolge derjenigen Berufszweige zu erstellen, die von den Lockdown-Maßnahmen am meisten betroffen sind. Einzelhandel, Gastronomie, Freizeit- und Fitnessbetriebe oder Kulturschaffende sind mehr oder weniger gleichermaßen von der Pandemie gebeutelt worden.

Und doch ragt eine Branche heraus: Die Tourismusindustrie ist vor genau einem Jahr komplett zum Erliegen gekommen und konnte auch nicht wie die übrigen Branchen von den Lockerungen im Sommer oder von Internetverkäufen profitieren. Die Grenzen ins Ausland sind nahezu dicht, Fernreisen so gut wie unmöglich, die Flotte der Ferienflieger ist am Boden, Kreuzfahrtschiffe liegen größtenteils auf Reede, Reisebusse fahren nicht und Hotels sind – wenn überhaupt – nur für Geschäftsreisende geöffnet.

Das Virus kennt bekanntlich keine Grenzen, und wenn niemand verreisen würde, könnte es auch keine Übertragung von einem Land aufs andere geben. Nur so konnte es sich von China aus in alle Welt ausbreiten. Der Schuldige ist also gefunden: der Tourist als Bazillen- und Virenschleuder. Von daher ist es einleuchtend, den Reiseverkehr einzuschränken.

Aber wie lange können wir uns das wirtschaftlich erlauben? Weltweit hängen geschätzt 100 Millionen Menschen vom Tourismus ab, in Deutschland allein sind es drei Millionen. Zwingt man potentielle Urlauber noch länger dazu, in den eigenen vier Wänden zu verharren, dörrt man eine ganze Industrie aus, von damit verbundenen entgangenen Steuereinnahmen und einem sinkenden Volkswirtschaftseinkommen ganz zu schweigen.

Die Regierung hat in der Zwischenzeit angeschlagene Reisekonzerne wie die TUI oder Lufthansa mit Milliardenhilfen gestützt. Andere betroffene Unternehmen, die tagtäglich um ihre Existenz kämpfen, fühlen sich dabei übergangen. In der Fachzeitung „touristik aktuell“ holte jüngst Jörg Lindner, Geschäftsführer der Hotelmanagementgruppe „12.18.“, zu der Nobelherbergen wie Schloss Fleesensee oder Hotel Stadt Hamburg auf Sylt gehören, zu einem Rundumschlag aus. Die Politik habe seiner Ansicht nach komplett versagt, denn verschiedene Wirtschaftszweige seien „regelrecht hingerichtet“ worden. „Das Virus“, führte er aus, „kann man durch Medikamente, den Impfstoff und durch Tests beherrschen. Was nicht hilft, sind Schließungen von Hotels.“

Insbesondere kritisierte Lindner die Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die innerhalb von fünf Jahren mit einer 20-prozentigen Tilgung zurückgezahlt werden müssen, wobei der Zins über dem Marktzins liege: „Das ist keine Hilfe für die Branche, sondern ein verlängerter Todeskampf mit einem hohen Risiko. Für den Staat ist das ein Supergeschäft.“

„Mir sind die Hände gebunden“

Im Nachbarland Österreich, das besonders vom Tourismus abhängt, sieht es nicht besser aus. So herrscht in der Villa Postillon und im Familienhotel Post am Millstätter See in Kärnten gähnende Leere. „Vor einem Jahr war unser Haus noch voll ausgelastet“, attestiert Hotelchef Peter Sichrowsky, „dass wir jetzt bei bestem Skiwetter keine Gäste haben, ist natürlich eine unbefriedigende Situation.“ 

80.000 Euro hat er bis jetzt vom Staat einmalig als Umsatzersatz erhalten. „Das gleicht unsere Verluste natürlich bei Weitem nicht aus“, sagt er. Bei der Österreichischen Hotel- und Tourismusbank hat er einen Überbrückungskredit in Höhe von eine halben Million Euro bewilligt bekommen, für den der Staat die Sicherheit bietet. „Unsere Existenz sehe ich damit nicht als gefährdet“, sagt Sichrowsky, auch wenn es Jahre dauern wird, bis das alles zurückgezahlt wird, vorausgesetzt die Lage entwickelt sich wieder normal. Jetzt hofft er, dass wenigstens schon zu Ostern seine deutschen Stammgäste wieder einreisen können, damit er zumindest einen Teil seiner 60 Saison- und Ganzjahresmitarbeiter wieder beschäftigen kann. 

In Deutschland sind kleinere Mittelständler noch stärker betroffen. Natalia Roma­nova, die sich auf Seite 17 dieser Ausgabe über die „German Angst“ bei dieser Pandemie wundert und die in Hamburg eine Reiseagentur mit Schwerpunkt Königsberger Gebiet betreibt, wird da ganz konkret: „Im September habe ich einmalig 6000 Euro Soforthilfe erhalten. Seitdem nichts mehr.“ Weitere Überbrückungshilfen erhält sie nicht, weil Reisebüros offiziell von den Schließungen nicht betroffen sind. Sie könnten telefonisch oder übers Internet Reisen vermitteln. Aber wohin, wenn man nicht reisen kann?

„Seit März 2020 kann ich nichts machen“, klagt Romanova, „mir sind die Hände gebunden.“ Um laufende Kosten zu senken, hat sie ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und sich von zwei Büroräumen trennen müssen. In ihrem verbliebenen Büro beantwortet sie Fragen ihrer Kunden. Täglich erhält sie etwa zehn Anfragen von Personen, die wissen wollen, wann sie endlich wieder nach Ostpreußen reisen können. Romanova weiß es selbst nicht, nur so viel ahnt sie: „Es wird wohl bis Mitte 2022 dauern, bis wir wieder alles normal anfahren können.“ 

Bis dahin fährt sie auf Sparflamme. Viele andere Kollegen werden bis dahin ganz zum Stillstand gekommen sein. Von den 77.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigen in Reisebüros, die es bis Mitte 2020 noch gab, werden dann sehr viele längst arbeitslos sein. Kommt der Impfpass, so wäre ein Teil gerettet. Damit kann man wenigstens mit einem kleinen Teil des Klientels planen. Der Weisheit letzter Schluss darf das aber nicht sein.

Peter Sichrowsky, Millstatt, Österreich: www.familienhotelpost.com; Natalia Roma­nova, Hamburg: www.romanova-reisen.de