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12.03.21 / Vertrag von Moskau / Als Russland und die Türkei den Kaukasus neu ordneten / Nach einem Dutzend Kriegen zwischen dem christlichen Zaren- und dem muslimischen Osmanischen Reich schlossen der atheistische Sowjetstaat und die laizistische Republik vor 100 Jahren Frieden und Freundschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-21 vom 12. März 2021

Vertrag von Moskau
Als Russland und die Türkei den Kaukasus neu ordneten
Nach einem Dutzend Kriegen zwischen dem christlichen Zaren- und dem muslimischen Osmanischen Reich schlossen der atheistische Sowjetstaat und die laizistische Republik vor 100 Jahren Frieden und Freundschaft
Bodo Bost

Der Erste Weltkrieg führte zum Zusammenbruch des russischen Zaren- und des Osmanischen Reiches. In beiden Ländern kam es zu Chaos, Gewalt und Bürgerkrieg. Auf dem Gebiet Russlands entstanden vom Zentrum her Sowjetrepubliken und an den Rändern die Demokratischen Republiken Georgien, Armenien sowie Aserbaidschan als neue eigene Staatsgebilde. In der Türkei sammelten sich im einstigen Randgebiet Anatolien um die neue Hauptstadt Angora, später Ankara, die besiegten Jungtürken, die sich zu nationalistischen Pantürken entwickelt hatten, und bekämpften die von den Alliierten gestützte Sultansregierung, die weiter die Hauptstadt Konstantinopel kontrollierte. Die Grenzen zwischen den neuen Staaten und staatsähnlichen Gebilden waren ungeklärt, die Kriegshandlungen aus dem Ersten Weltkrieg gingen weiter, nur mit neuen Akteuren. 

Einigung zweier Parias

Während die westlichen Siegermächte die neuen Kräfteverhältnisse vor Ort nicht zur Kenntnis nehmen wollten und in beiden Ländern auf restaurative Kräfte setzten – die Pariser Vorortverträge wurden von der alten Sultan-Regierung unterschrieben, die nur noch die Hauptstadt kontrollierte –, verbündeten sich die neuen republikanischen Kräfte beider Länder zum Erstaunen aller. Sie beendeten damit die schon legendäre türkisch-russische Erbfeindschaft, als Ali Fuat Cebesoy, Rıza Nur und Yusuf Kemal Tengirşenk für die türkische sowie Georgi Tschitscherin und Dschalaladin Korkmazow für die sowjetische Seite am 16. März 1921 in Moskau einen Friedens- und Freundschaftsvertrag unterschrieben. 

Es war der erste Vertrag der beiden international noch geächteten Staaten, die eigentlich noch Bewegungen waren. Nur so konnten sich beide Bewegungen im eigenen Land und international durchsetzen. Die Leidtragenden waren die Pufferstaaten Georgien, Armenien und Aserbeidschan, die damit als unabhängige Staaten verschwanden. Am meisten bluteten die Armenier, deren Siedlungsgebiete in beiden Staaten lagen und die damit drei Viertel ihres Staatsgebiets verloren.

Die Türken hatten zwar durch den Waffenstillstand von Mudros 1918 ihr Kolonialreich verloren, aber durch den Völkermord an den Armeniern und die Vertreibung der Griechen ein ethnisch und religiös homogenes Anatolien gewonnen. Deshalb fühlte sich zwar der Sultan als Verlierer, nicht aber die mitregierenden Jungtürken. Das Siedlungsgebiet der Türken war durch die Ausmerzung der Armenier dicht an den russischen Kaukasus herangekommen. Alte turanische Großreichphantasien, die bis nach Zentralasien reichten, sollten für den Verlust des Kolonialreiches entschädigen. 

Das Verbindungsglied zu den Völkern Zentralasiens sollte Aserbaidschan werden. Noch vor Kriegsende ging der einstige Stratege des deutsch-türkischen Bündnisses, Enver Pascha, nach Aserbaidschan und wollte dort ein neues panturanisches Reich zimmern, das später auch Zentralasien umfassen sollte. Enver scheiterte, weil die Sowjets Zentralasien nicht abgeben wollten.

Der starke Mann der republikanischen Bewegung, Mustafa Kemal (Atatürk), schickte 1920 seinen General Musa Kâzım Karabekir Richtung Kaukasus in die Fußstapfen von Enver Pascha. Karabekir eroberte als Erstes die große armenische Stadt Kars und dann die alte Hauptstadt Armeniens Ani. Am 17. Oktober vereinten sich die türkischen und aserbaidschanischen Streitkräfte in Iqdir und konnten die Armenier in die Zange nehmen. Die Armenier waren nach zwei Jahren Bürgerkrieg und durch Hunger erschöpft. Am 7. November eroberten die Türken die Stadt Gjumri, das alte Alexandropol, die zweitgrößte Stadt Armeniens. 

Entscheidungen betreffs Armenien

Die erste Vollversammlung des neu gegründeten Völkerbundes in Genf beschäftigte sich ab dem 15. November auch mit der Lage in Armenien. Rumänien stimmte als einziges Land für eine Intervention zugunsten Armeniens, aber die großen Siegermächte lehnten eine solche Intervention ab. 

Am 2. Dezember kapitulierte die Demokratische Republik Armenien in Gjumri und verzichtete auf Kars und Nachitschewan, das die Türkei und Aserbaidschan bekamen, nicht aber auf Bergkarabach. Im Anschluss wurde mit dem Vertrag von Alexandropol die Kaukasusgrenze der Türkei mit Armenien definiert.

Die Schwäche Armeniens rief den Georgier Josef Stalin auf den Plan, damals sowjetischer Kommissar für Nationalitätenangelegenheiten. Er kam am 30. Oktober 1920 nach Baku, wo die Bolschewiken die Türken und Aserbaidschaner abgelöst hatten. Zusammen mit dem Armenier Anastas Mikojan wollte er auch die Demokratische Republik Armenien in die Sowjetunion eingliedern. Er schickte die 11. Armee unter dem Kommando des Russlanddeutschen Anatol Hecker Richtung Eriwan. Hecker erreichte am 2. Dezember die Stadt und rief dort einen Tag später die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik aus. 

Die beiden armenischen Generäle Drastamat Kanajan, genannt Dro, und Garegin Nschdeh widersetzten sich und riefen wenige Tage später im Süden von Eriwan die freie Republik Bergarmenien aus, zu der Sangesur und Bergkarabach gehörten. Die aufständischen Bergarmenier konnten sich dank britischer Unterstützung aus dem Iran noch ein Jahr halten, bevor beide Generäle den Kampf gegen die Sowjets aufgaben. Wegen dieses Widerstandes von Karabach gegen die Sowjetisierung, schlug Stalin Karabach 1921 der Republik Aserbaidschan zu, obwohl dort infolge der Flucht der Völkermordüberlebenden die Armenier mittlerweile neun Zehntel der Bevölkerung stellten.

Mustafa Kemal drängte jetzt die siegreichen Sowjets zu einer Zustimmung zu seinem türkisch-armenischen Vertrag. Diese erhielt er durch den Moskauer Vertrag vom 16. März 1921. Darin wurde der sowjetisch-türkische Grenzverlauf unter Annullierung aller vorheriger Territorialverträge festgeschrieben. Im Vertrag wurde außerdem geregelt, dass Nachitschewan einen Autonomiestatus erhielt und Teil der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik wurde. Die Türkei trat Adscharien und damit die Hafenstadt Batumi an die Sowjetrepublik Georgien ab. Im Gegenzug gewann die Türkei endgültig die Kars-Ardahan-Region. Am 13. Oktober 1921 wurde durch den Vertrag von Kars der neue Grenzverlauf auch von den inzwischen sowjetischen drei kaukasischen Staaten abgesegnet.





Kurzporträts

Der Botschafter der Türkei in Moskau vom Dezember 1920 bis zum Mai 1921, Ali Fuat Cebesoy, war von Atatürk mit der Vertragsvorbereitung beauftragt

Der sowjetische Unterzeichner des Vertrages von Rapallo, Georgi Tschitscherin, war von 1918 bis 1930 Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten

Als Kommandeur der Südfront der Roten Armee versuchte der Georgier Josef Stalin die Völker des Kaukasus mit den Russen in einem Sowjetstaat zu vereinen