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12.03.21 / Verschwörungstheorien / Hinter die Fassade blicken / Verschwörungen sind von Beginn an Teil der Menschheitsgeschichte. Sie zu benennen, ist kein Teufelszeug, sondern Zeugnis kritischen Denkens – Nur übertreiben sollte man es nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-21 vom 12. März 2021

Verschwörungstheorien
Hinter die Fassade blicken
Verschwörungen sind von Beginn an Teil der Menschheitsgeschichte. Sie zu benennen, ist kein Teufelszeug, sondern Zeugnis kritischen Denkens – Nur übertreiben sollte man es nicht
Wolfgang Kaufmann

In ihrer letzten Neujahrsansprache verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel unter anderem: „Verschwörungstheorien sind nicht nur unwahr und gefährlich, sie sind auch zynisch und grausam.“ Damit demonstrierte sie abermals ihr Unvermögen, sich mit Realitäten auseinanderzusetzen. Verschwörungen gab und gibt es schließlich mehr als genug, daher haben Verschwörungstheorien durchaus ihre Berechtigung.

Natürlich resultierte der Mord an Gajus Julius Cäsar an den Iden des März im Jahre 44 v. Chr. aus einer Verschwörung. Selbstverständlich gab es die Pazzi-Verschwörung gegen die Familie der Medici, der am Ostersonntag 1478 Giuliano de’ Medici zum Opfer fiel. Und ganz sicher stand auch die Watergate-Affäre, aufgrund derer der US-Präsident Richard Nixon am 9. August 1974 vorzeitig aus dem Amt scheiden musste, für eine waschechte Verschwörung. Oder nehmen wir neuere Beispiele wie den VW-Dieselskandal und die Ibiza-Affäre. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern, ohne dass hierzu Geheimwissen nötig wäre. 

Eine Verschwörung liegt letztendlich immer dann vor, wenn sich mehrere Personen auf konspirative Weise zusammentun, um etwas zu erreichen, was sie im offenen Kampf oder einem ebenso gesitteten wie transparenten Verfahren nicht zu erreichen hoffen – wobei das Ganze meist auf die Schädigung Dritter hinausläuft. Deshalb kennt das angelsächsische Recht auch den ausdrücklichen Straftatbestand der Verschwörung (Conspiracy). In Deutschland werden Verschwörungen gleichfalls juristisch verfolgt. Nur heißen sie offiziell nicht so. Vielmehr wird in solchen Fällen beispielsweise von der Bildung terroristischer oder krimineller Vereinigungen sowie bandenmäßigem Betrug gesprochen. 

1967 bewusst ins Spiel gebracht

Es ist also völlig legitim und oftmals sogar dringend geboten, davon auszugehen, dass eine Verschwörung vorliegt. So wie das die bundesdeutschen Justizbehörden tun, wenn sie herauszufinden versuchen, ob es geheime Preisabsprachen zwischen Unternehmen zulasten ihrer Kunden gab oder Clan-Mitglieder sich zu Überfällen verabredeten. Nach der schlichten Logik der Kanzlerin handeln die Behörden damit allerdings zynisch und grausam.

Diejenigen, welche offen zugeben, dass sie Verschwörungen für möglich halten, und danach trachten, solche dann auch zu durchschauen, gelten hierzulande als Verschwörungstheoretiker – und sowohl die Politik als auch die staatsnahen Medien geben sich alle erdenkliche Mühe, die Betreffenden als entweder wahnhafte oder gar kriminelle beziehungsweise von kommerziellen Interessen geleitete Persönlichkeiten hinzustellen. Damit folgt man praktisch dem Vorbild der Abteilung für psychologische Kriegführung des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA), der den Begriff „Verschwörungstheoretiker“ im Januar 1967 ins Spiel brachte, um damit sämtliche Menschen zu diskreditieren, welche partout nicht glauben wollten, dass der ehemalige Präsident John F. Kennedy gut drei Jahre zuvor dem Einzeltäter Lee Harvey Oswald zum Opfer gefallen sei.

Aber gerade das Beispiel des JFK-Attentats zeigt augenfällig, wie unklug es ist, auf ein kritisch hinterfragendes Denken zu verzichten und Verschwörungen von vornherein auszuschließen, als ob es nirgendwo auf der Welt verborgene Machenschaften gäbe. Natürlich sind manche Verschwörungen erfolgreicher als andere – und im Idealfall bleiben sie dann auch für immer geheim. Das kann jedoch kein Argument gegen Verschwörungstheorien sein, denn zahlreiche andere konspirative Verabredungen zum Schaden Dritter sind schließlich schon aufgeflogen. 

„Zufallstheorie“ als Alternative?

Wenn also jemand zu problematischen Denkweisen neigt, dann ist das wohl eher ein Mensch, der Verschwörungstheorien ablehnt, weil er nicht an die Möglichkeit von Verschwörungen glauben will. Dies ist letztlich ein Zeichen von Bequemlichkeit, Opportunismus und übermäßiger Vertrauensseligkeit. 

Der Betreffende verhält sich quasi wie die berühmten drei Affen, welche für das Prinzip „Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen“ stehen. Wer Verschwörungstheorien grundsätzlich für Unfug hält, nimmt das an der Oberfläche Sichtbare für die ganze Realität. Und wenn ihm doch einmal etwas als mysteriös erscheint, versucht er nicht, tiefer zu graben, sondern den Faktor Zufall ins Spiel zu bringen. 

Im Falle Cäsars würde das darauf hinauslaufen, die Verschwörung der Senatoren zu bestreiten und anzunehmen, der „Diktator auf Lebenszeit“ sei wohl ganz aus Versehen 23 Mal in die Dolche der friedfertigen Politiker gestolpert. Die Vertreter einer solchen Denkweise könnte man daher auch als „Zufallstheoretiker“ bezeichnen, welche sowohl mit der Logik als auch jeglicher allgemeiner Lebensweisheit auf Kriegsfuß stehen.

Das heißt aber keineswegs, dass die Verschwörungstheoretiker im Gegenzug vor Fehlern und Irrtümern gefeit sind. Um nicht alles zu glauben, was als „Wahrheit“ propagiert wird, braucht es Offenheit, Neugier und Hartnäckigkeit bei der Suche nach Fakten. Allerdings liegen auch Übersteigerungen im Bereich des Möglichen: Verschwörungstheoretiker können einen Hang zur Paranoia entwickeln und hinter allem geheime Machenschaften wittern. Außerdem übertreiben sie es oft mit der Unterstellung von Zusammenhängen. 

Wenn jemand verkündet, das Bargeld abschaffen zu wollen, während in China ein neues Coronavirus auftaucht, muss dies nicht automatisch bedeuten, dass der Bargeldgegner die Pandemie ausgelöst hat. Manche Dinge geschehen parallel und stehen trotzdem in absolut keinem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Darüber hinaus haben viele Verschwörungstheoretiker ein recht negatives Weltbild. Wer bei jeder Gelegenheit dunkle Mächte am Werke sieht, kann zum chronisch depressiven Misanthropen werden. 

Der Königsweg liegt daher darin, nicht naiv zu sein und wachsam-kritisch zu bleiben, ohne aber in unangebrachte Extreme zu verfallen. Denn Verschwörungen sind weder Phantasieprodukte noch allgegenwärtig.