Mit den zurückliegenden Landtagswahlen ist ein ernstes Problem zurückgekehrt, das über Jahre in den Hintergrund getreten war: die massenhafte Wahlenthaltung. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz ist die Wahlbeteiligung erheblich zurückgegangen, im „Ländle“ mit etwas über 60 Prozent gar auf einen der drei schlechtesten Werte seit der Gründung des Bundeslandes im Jahre 1952. Somit hat die Gruppe der Nichtwähler mehr an Masse zugelegt als jede der Parteien, die sich am Sonntag als Sieger präsentierten.
Die Entwicklung erinnert an die Lage vor zehn, fünfzehn Jahren, als die Wahlbeteiligungen schon einmal auf historische Tiefstände gesackt waren. Danach füllte die AfD das entstandene Vakuum, weil sie viele derer, die sich enttäuscht abgewendet hatten, an sich binden konnte. Die neue Unzufriedenheit, welche sich zuletzt vor allem am Regierungsversagen in der Corona-Krise entzündete, vermochten die Blauen indes kaum noch aufzufangen.
Es deutet vieles darauf hin, dass die neue Wahlenthaltung keinesfalls auf den Südwesten beschränkt ist. Und völlig verfehlt wäre es auch, hier auf bloße Politikmüdigkeit zu schließen, als hätten die Zigtausenden neuen Nichtwähler plötzlich ihr Interesse am politischen Geschehen verloren. Ein Vertrauensverlust in das gesamte Parteienspektrum von links bis rechts ist es stattdessen, der sich hier widerspiegelt. So sind die der AfD verlorengegangenen Wähler eben nicht zu den Etablierten zurückgekehrt. Selbst die in Rheinland-Pfalz besonders starken Freien Wähler konnten vom AfD-Schwund kaum profitieren, wie die Wählerwanderungs-Analyse zeigt. Nein, die Ex-AfD-Anhänger gaben in ihrer Mehrheit überhaupt keine Stimme mehr ab.
Da braut sich ein Potential zusammen, das derzeit kaum kalkulierbar ist. Da die gravierenden wirtschaftlichen Folgen der Lockdown-Politik im Laufe dieses und des kommenden Jahres voll durchschlagen werden, dürfte das Heer der gänzlich Unzufriedenen sogar noch weiter anschwellen. Was genau sich dort entwickelt und welche Formen es annehmen wird, lässt sich kaum prognostizieren.
Einen möglichen Eindruck dieser diffusen Erschütterung vermitteln derzeit lediglich die Anti-Lockdown-Demonstrationen. Die Bürger, die dort bisweilen „mit Tränen der Verzweiflung“, wie es ein Polizist der „Bild“-Zeitung schilderte, ihre hilflose Wut kundtun, entziehen sich jedoch jeder holzschnittartigen Links-Rechts-Einordnung.