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19.03.21 / Kolumne / Verständnis für Orbán

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-21 vom 19. März 2021

Kolumne
Verständnis für Orbán
Florian Stumfall

Auf den ersten Blick fällt es nicht auf, dass es zwischen der Corona-Pandemie und dem Rückzug der ungarischen konservativen Partei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Verbund bürgerlicher Parteien im Europäischen Parlament einen Zusammenhang gibt. Doch die Verbindung zwischen beiden ist schnell hergestellt.

Zu Beginn des vergangenen Jahres, als das Virus aus China nach Europa kam, machte es um Ungarn keinen Bogen. So sah sich Ministerpräsident Viktor Orbán zu einigen entscheidenden Maßnahmen gezwungen. Dazu zählte das Gesetz Nummer XII vom 30. März 2021 „zur Eindämmung des Coronavirus“. Damit kam er bei seinen Landsleuten gut, auf den Höhen der EU und speziell in Deutschland aber sehr schlecht an.

Vorwürfe an Budapest

Die empörte Aufregung, die sich über Orbán und Budapest ergoss, sparte nicht mit harschen Worten. Die an sich besonnene „Badische Zeitung“ etwa schrieb: „Orbán schickt das Parlament in eine unbefristete Zwangspause.“ Die einst als seriös geltende „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) sprach von einem „Staatsstreich“. Zahlreiche andere Medien bemühten den immer wieder beliebten Vergleich mit Adolf Hitlers Ermächtigungsgesetz. Es wurde behauptet, das Parlament sei entmachtet, Orbán regiere per Dekret, entsende Militär in die Betriebe und schaffe die Wahlen ab. Und der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk wollte Fidesz aus der EVP ausschließen. Starker Tobak – das muss man sagen.

Solche Vorwürfe fordern dazu heraus, nachzuprüfen, was an ihnen wahr ist. Im Falle Ungarns stößt das auf gewisse Schwierigkeiten, weil Deutschlands meiste Journalisten des Ungarischen nicht mächtig und daher auf Sekundärquellen angewiesen sind. Doch auch aus solchen hätte man bei einer gewissen Unvoreingenommenheit die Konturen der Tatsachen erkennen können.

So hat es nie eine Zwangspause für das Parlament gegeben. Es war zwar der Notstand ausgerufen, doch die Abgeordneten tagten in der üblichen Weise. Die Sessionen wurden auch per Fernsehen übertragen, sodass sich jedermann, der es wollte, von dieser Tatsache überzeugen konnte. Auf diese Weise verliefen die Monate April und Mai 2020. Ende Mai teilte Orbán mit, die Regierung werde Anfang Juni einen Antrag einbringen, gemäß dem der Notstand bis zur Mitte des Monats beendet werden solle. So geschah es auch. 

Zudem war in dem Gesetz festgelegt worden, dass das Parlament den Ausnahmezustand jederzeit von sich aus beenden könne (Paragraph 8). In Paragraph 2, Absatz 2 war festgehalten, dass sich die Befugnisse der Regierung auf die Bekämpfung des Coronavirus zu beschränken haben. In Paragraph 4 wird gefordert, dass die Regierung das Parlament und die Fraktionsführer regelmäßig zu unterrichten habe. Sonderregelungen dieser Art bedürfen zudem nach der ungarischen Verfassung alle 15 Tage einer Bestätigung durch das Parlament (Artikel 53.3).

Woher also die Aufregung, vor allem die Aufregung in Deutschland, wo die Kanzlerin bereits lange vor Corona das Parlament, bevorzugt bei finanziellen Fragen, welche die EU und den Euro betreffen, völlig an die Wand gespielt hat? Der Bundestag ist längst dazu verurteilt, bei Schicksalsfragen, die den Bestand der Nation betreffen, Entscheidungen abzunicken, nachdem sie längst getroffen worden sind. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt hingewiesen. 

Dazu kommt, dass in Deutschland – wegen Corona, so die Erklärung – eine ganze Reihe von Grundrechten eingeschränkt oder ausgesetzt worden ist. Dies geschah aber keineswegs durch das dafür zuständige Parlament, sondern durch einen staatsrechtlich nicht vorgesehenen Gesprächskreis, bestehend aus der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten. Doch niemand hat die „FAZ“ von „Staatsstreich“ reden hören. Es besteht also in Berlin wenig Anlass oder Berechtigung, in Budapest vorstellig zu werden, um dort die Einhaltung demokratischer Regeln anzumahnen. 

Die Presse, so heißt es weiter, sei zu „regierungsnah“. Aufgeführt werden dafür zwei oppositionelle Zeitungen, deren Betrieb eingestellt wurde – auf Orbáns Befehl, wie wiederholt zu hören war. Die zwei Zeitungen, die man dabei ins Feld führt, sind „Magyar Nemzet“ und „Heti Válasz“, beide herausgegeben von dem Unternehmer Lajos Simicska, der einst der Fidesz nahestand, sich dann jedoch zum erklärten Gegner des Ministerpräsidenten am rechten Rand gewandelt hat. Die beiden Blätter aber hat nicht Orbán eingestellt, sondern Simicska selbst, denn sie waren ihm auf die Dauer zu defizitär. Schließlich ist er Geschäftsmann, kein Missionar. 

Auch hier gilt übrigens die alte Regel, dass wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen solle. Denn im Sommer 2020 zauberte Angela Merkel aus irgendeiner verborgenen Tasche plötzlich 220 Millionen Euro zur Unterstützung notleidender Medien hervor – von denen sie seitdem kaum mehr ein kritisches Wort zu befürchten hat. Zu regierungsnah? Es ist kein Verlag bekannt, der die Gabe zurückgewiesen hätte.

Die wahren Motive 

So wird sich hierzulande auch weiterhin Unflat ergießen, wenn der Name Viktor Orbán erklingt. Der Grund dafür ist kein Geheimnis. Ungarns Ministerpräsident tritt ein für ein Europa der freien Nationen, gegen einen Zentralismus der Gleichförmigkeit und Anonymität. Er scheint als einer der wenigen Staatsführer in der EU zu bedenken, dass sie vom Souverän, dem Volk kein Mandat dafür bekommen haben, den eigenen Staat sukzessive abzuwickeln. Orbán weigert sich, tatenlos der schleichenden Auflösung seines Landes zuzusehen, dem er durch Gefühl, Überzeugung und Amtseid verpflichtet ist. 

Eine solche Haltung sollte die grundlegende Voraussetzung für ein politisches Spitzenamt darstellen, nicht den Grund für bösartige Vorwürfe aus dem Ausland.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.