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19.03.21 / Östlich von Oder und NeißE / Das Plebiszit und seine Interpretation / Senat der Republik Polen huldigt dem Patriotismus und der Tapferkeit der Aufständischen von 1919 bis 1921

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-21 vom 19. März 2021

Östlich von Oder und NeißE
Das Plebiszit und seine Interpretation
Senat der Republik Polen huldigt dem Patriotismus und der Tapferkeit der Aufständischen von 1919 bis 1921
Chris W. Wagner

Aus Anlass des bevorstehenden Jahrestages zur Volksabstimmung gibt das Kattowitzer Institut für Nationales Gedenken (Instytutu Pamięci Narodowej, kurz IPN) einen Anstecker fürs Revers heraus – eine Replik des Abzeichens, das jeder polnisch Optierende in der Karwoche 1921 für Oberschlesien erwerben und bis zur Volksabstimmung tragen sollte. Die Replik, versehen mit einem historischen Begleittext, kann man im Kattowitzer IPN kostenlos erhalten. Im Begleittext ist zu lesen, dass die Volksabstimmung gemäß des Versailler Abkommens vom 28. Juni 1919 erfolgte. Am Plebiszit nahmen 1,2 Millionen oder 97,5 Prozent der stimmberechtigten Oberschlesier teil. 59,4 Prozent von ihnen stimmten für den Verbleib bei Deutschland, 40,3 Prozent für den Anschluss an Polen.

Mal- und Musikwettbewerbe

Das IPN organisiert des Weiteren einen Wettbewerb unter Grundschülern. Sie sollen ein Plebiszitplakat unter dem Motto „Stimme für Polen“ gestalten. In einem polenweiten Wettbewerb des Marschallamtes der Woiwodschaft Schlesien, der Musikakademie Kattowitz und dem Theater in Königshütte [Chorzów] wurde aufgerufen, ein durch die polnischen Aufstände inspiriertes Lied zu komponieren.

Der Senat der Republik Polen rief das Jahr 2021 zum „Jahr der Schlesischen Aufstände“, als Huldigung des Patriotismus sowie der Tapferkeit und inneren Stärke der polnischen Aufständischen von 1919-1921 aus. Diese führten, so der Senat, „nach sechs Jahrhunderten der tschechischen und deutschen Jurisdiktion“ zum Anschluss an den wiedergeborenen polnischen Staat – die polnische Sprache unterscheidet nicht zwischen Böhmen und Tschechien und gliedert Böhmen damit fälschlich fortwährend aus der deutschen Geschichte aus.

Mit dem an sich schon einseitigen Gedenken ist Martin Lippa, der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Schlesien, keineswegs einverstanden. „Die in Polen zelebrierte Geschichte entspricht nicht der Wahrheit. Wir Deutschen sehen das ganz anders. Unsere Väter und Großväter wollten die Aufstände nicht, sie haben sich klar und deutlich für Deutschland entschieden. Sie wurden überfallen und haben sich im Widerstand organisiert. Mir ist es wichtig, Diskussionen darüber zu führen, damit sichtbar wird, wie wir die Ereignisse sehen“, sagte Lippa im Oppelner Rundfunk.

Am Sonntag, den 21. März, veranstaltet der Verband deutscher Gesellschaften eine Expertendebatte, die über das VdG-Profil auf der Facebook-Seite um 17 Uhr zu sehen sein wird. Unter den Diskutanten findet sich auch der Chef des Dachverbandes der Deutschen in Polen, Bernard Gaida. Seiner Auffassung nach hatten die Oberschlesier 1921 nicht vermutet, dass ihr Votum „einer Interpretation unterliegen und ihre Heimat durch eine Grenze geteilt wird“. 

Für den Gleiwitzer Publizisten Dawid Smolorz war Polen damals in der glücklichen Lage, dass es nur gewinnen konnte. „Wir wissen, dass Berlin das Ergebnis der Volksabstimmung im ersten Moment so interpretierte, dass die gesamte Region bei Deutschland verbleiben sollte. Dies war ein Fehler, denn im Versailler Vertrag war vorgesehen, dass die Region geteilt wird. Ich glaube übrigens, dass das Ergebnis der Volksabstimmung eigentlich zufällig war. Hätte die Abstimmung zwei Jahre später oder ein Jahr früher stattgefunden, wäre das Ergebnis ein anderes gewesen. Im Sommer 1920 stand der junge polnische Staat kurz vor seinem Untergang. Wenn die Volksabstimmung zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hätte, wäre das Ergebnis wahrscheinlich mit dem in Ost- und Westpreußen vergleichbar gewesen. Wir können aber auch nicht ausschließen, dass zu einem anderen Zeitpunkt Polen ein besseres Ergebnis erzielt hätte. Die Gruppe der unentschlossenen Oberschlesier war eben nicht gering. Diese Gruppe hat wahrscheinlich am Ende über Sieg oder Niederlage entschieden“, so Smolorz, der aus einer einheimischen oberschlesischen Familie stammt.

„Meine Urgroßeltern lebten damals in der Nähe von Lublinitz [Lubliniec]. Sie führten eine durchaus harmonische Ehe, ich hatte noch die Gelegenheit, sie kennenzulernen. Der Urgroßvater war polnisch gesinnt, die Urgroßmutter sah sich als 200-prozentige Deutsche. Und als die polnische Verwaltung Lublinitz übernahm, zog der Urgroßvater seinen besten Anzug an und begrüßte die polnischen Soldaten. Für die Großmutter war das ein Tag der Trauer, und sie ist aus Protest zeitgleich zur Feldarbeit aufgebrochen“, erinnert sich Smolorz, der am 21. März neben der Studentin Monika Mikołajczyk und dem Historiker ProfesorRyszard Kacz­marek mitdiskutieren wird. Kaczmarek hat im Staatsarchiv Kattowitz eine Ausstellung zum Thema: „Schlesien war polnisch und bleibt polnisch“ erarbeitet.