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19.03.21 / Musik / Zwei goldene Stimmen / Die eine aus Westböhmen, der andere aus Prag – Wie Vertriebene die deutsche Schlagermusik mitgeprägt haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-21 vom 19. März 2021

Musik
Zwei goldene Stimmen
Die eine aus Westböhmen, der andere aus Prag – Wie Vertriebene die deutsche Schlagermusik mitgeprägt haben
Markus Bauer

In den 1950er und 1960er Jahren waren auch Frauen und Männer, die aus den früheren deutschen Siedlungsgebieten stammten, in der Schlagermusik aktiv. Zwar landeten sie nicht immer in der ersten Reihe oder konnten Top-Plätze in Hitparaden erringen. Doch Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen zeugen bis heute von ihrem Können. Die aus Graslitz stammende Helga Depré und der in Prag geborene Horst Indra sind solche bemerkenswerten Künstler. Was machen sie heute?

Ladies zuerst: Am 19. November 2020 konnte Helga Depré, die primär Aufnahmen für den Rundfunk gemacht hat, ihr achtes Jahrzehnt vollenden. In Graslitz, der für den Musikinstrumentenbau bekannten westböhmischen Stadt in der Karlsbader Region, wurde sie am 19. November 1940 geboren und wuchs im sächsischen Aue auf, wohin ihre Eltern mit ihr gegen Kriegsende gezogen waren. Hier verbrachte sie Kindheit und Schulzeit und erlernte das eine oder andere Instrument. Auch das Singen gehörte dazu.

Nach der Schulausbildung ergriff sie den Beruf der Schneiderin. In der Freizeit sang und spielte sie auf dem Akkordeon die neuesten Schlager. Ferner nahm sie Klavierunterricht und schloss sich einer Volkskunstgruppe an. 1955 begann sie beim Jugendtanzorchester der IG Wismut als Sängerin. Bald wurden Rundfunkredakteure auf ihre nuancenreiche Stimme aufmerksam und empfahlen ihr, sich im Nachwuchsstudio des Berliner Rundfunks zu bewerben. Souverän bestand sie die Aufnahmeprüfung und beendete dort im August 1962 ihre Ausbildung. Aufnahmen für den Rundfunk waren ab November 1961 ihr hauptsächliches Betätigungsfeld. Während der Zeit im Nachwuchsstudio stellte sie sich auch in Funk- und Fernsehsendungen der Öffentlichkeit vor. Bis 1966 dauerte ihre Rundfunktätigkeit, während der sie solo oder in Duetten mit Sängern Lieder verschiedener Stile aufnahm. Spätere Einspielungen – 1968/69 und 1985 – eingerechnet waren es rund 50 Titel, die sich heute im Deutschen Rundfunkarchiv befinden. Vier Lieder sind auf Singles erschienen, drei davon auf YouTube abrufbar: „Heut ist was los an der Spree“, „Ein großer Regenbogen“ und „Der Sommer kam ins Land“. Später wirkte sie auch in Filmen mit und ging mit in der DDR bekannten Ensembles auf Tournee. Um die Zeit der deutschen Einheit herum beendete Depré ihre Karriere. Heute wohnt sie wieder in Böhmen. 

Aus der böhmischen Hauptstadt Prag stammt der 1942 geborene Horst Indra, der das Musik-Gen von der Großmutter mütterlicherseits hat. Zwar erlernte er ab dem zehnten Lebensjahr Klavier, später – mit dem aufkommenden Rock ’n’ Roll – stieg er auf Gitarre um. Mit zwei Geschwistern und der Mutter wurde er aus der „Goldenen Stadt“ vertrieben. Stationen waren in Unterfranken Wiesentheid, Atzhausen und Kitzingen, wo Indra bis 1956 zur Schule ging. Da sein Vater ein Angebot als Arbeitsrichter in München hatte, zog die Familie dorthin. 

Gegen Ende der Schulzeit, vor dem Abitur, ging es in Sachen Musik richtig los. Mit einem Schulfreund und zwei weiteren Jungs gründete er 1961 die „Rolling Ramblers“, Indra war Sänger und Gitarrist. 

Aufgrund des mehrstimmigen Gesangs und der überragenden Gitarrensolisten Charly Karafiat und Horst Indra – sie musizierten schon als Schüler miteinander – holten sie bereits 1962 den ersten Preis als beste Jugend-Rock ’n’ Roll-Gruppe Bayerns. So wurden Plattenfirmen auf sie aufmerksam, es entstand ein Kontakt zum Schlagerkomponisten, Dirigenten und Arrangeur Werner Scharfenberger, der mit vielen namhaften Schlagersängerinnen und -sängern zusammenarbeitete. Bei einem Auftritt 1965 hörte sich Scharfenberger die Band persönlich an – mit dem Ergebnis, dass er nur Indra und Karafiat für Studioprojekte verpflichtete. 

Im August 1965 erschien Indras erste Single mit den Liedern „Was hab ich falsch gemacht“ und „Ein Tag mit dir“. In den deutschen Charts war die Platte sechs Wochen lang mit Platz 31 als höchste Notierung. Die beiden weiteren Singles im Februar und Dezember 1966 liefen weniger gut. Zudem etablierte sich nun Roy Black, der die Herzen der zumeist weiblichen Schlagerfreunde eroberte. Andererseits konnte sich Horst Indra als Studiomusiker und -sänger in Münchens Tonstudios betätigen, mit seiner Band weiter aktiv sein (Single 1970 unter dem Namen „The Silver Spoons“) und natürlich sein Maschinenbaustudium vorantreiben. 

Im Jahr 1971 beendete er die Studioarbeit, 1976 das Musizieren mit der Band. Die Arbeit als TÜV-Sachverständiger füllte ihn ganz aus, dazu kam Tennisspielen als neues Hobby. Mit 60 Jahren trat Indra in den vorzeitigen Ruhestand, auch um die lange geplanten Reisen mit dem Wohnmobil realisieren zu können.