25.04.2024

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Folge 12-21 vom 26. März 2021 / Zum 125. Geburtstag / „Der Stein lockt und will geschliffen werden“ / Die Goldschmiedin Toni Koy

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12/21 vom 26. März 2021

Zum 125. Geburtstag
„Der Stein lockt und will geschliffen werden“
Die Goldschmiedin Toni Koy
Bettina Müller

Nach Herbst- und Winterstürmen gibt die aufgewühlte Ostsee dieses ganz besondere Rohmaterial frei: von kleinen Steinchen bis hin zu unscheinbaren Klumpen, denen man ihre wahre Schönheit noch nicht ansieht. Der Bernstein ist unweigerlich mit Ostpreußen verbunden. Generationen wuchsen mit dem „Baltischen Bernstein“ auf, suchten bei der Strandlese nach Funden, Bernsteinfischer stemmten sich gegen die unberechenbaren Fluten. Vor allem in den 1920er Jahren erlebte die Bernsteinindustrie eine Renaissance und wurde zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren Ostpreußens. 

Die am 28. März 1896 in Wormditt geborene Toni Koy spürte früh, dass dieser Stein eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie ausübte. Sie war künstlerisch veranlagt, vom Vater hatte sie handwerkliches Geschick geerbt, sodass ihre Zeichenlehrerin ihre Eltern auf ihr Talent aufmerksam machte. An der Königlichen Kunstakademie in Königsberg brachte das Zeichnen ihr jedoch nicht die erhoffte Erfüllung. Sie begann daher im Herbst 1916 eine Ausbildung an der Fachschule für Edelmetall-Industrie im hessischen Hanau, wo sie das Handwerk der Schmuckherstellung erlernte. Im Sommer 1920 kehrte sie nach Königsberg zurück und baute – als eine der ersten Frauen überhaupt in ganz Ostpreußen – mit finanzieller Hilfe des Vaters eine eigene kleine Goldschmiedewerkstatt mit kunstgewerblicher Ausrichtung auf. Dann erwarb sie sich sukzessive einen sehr guten Ruf. Elf Jahre lang war sie zwei Mal jährlich mit ihren Werken im Grassi-Museum auf der Leipziger Messe vertreten. 1936 legte sie schließlich in Königsberg ihre Meisterprüfung vor dem 1907 gegründeten Deutschen Werkbund (DWB) ab. 

Der aus dem Meer geborene Bernstein war für die Goldschmiedin ihr ganzes Leben lang das bevorzugte Arbeitsmaterial. Sie schien die Kraft eines jeden Steins zu spüren, und intuitiv gab sie ihm die Form, die zu ihm passte. Dadurch, dass das Eigenleben jedes einzelnen Bernsteins herausgearbeitet wurde, waren weitere Ornamente fast überflüssig, was die mitunter eher schlichten Silberfassungen der Bernsteine erklärt. 

Mit ihrem hohen Gespür für Symbolik verwendete Toni Koy beispielsweise ein Wellenmotiv, das an den Ursprung des Bernsteins erinnern sollte. Kombiniert mit einer eher eckigen Fassung des Bernsteins entstand so eine gewisse Dynamik, die den Bernstein fast an Land zu spülen schien. Ihr Motto „Nicht der eigene Entwurf ist es, sondern der Stein lockt und will geschliffen werden seiner Eigenart gemäß“ setzte sie daher bei jeder ihrer Arbeiten um. 

Sehr ungewöhnliche und ursprüngliche Werke entstanden, die mitunter auch auf die Vergangenheit des Bernsteins anspielten: Der Bernstein wurde zum Fenster in die Eiszeit-Vergangenheit. Philosophische und religiöse Annäherungen in Verbindung mit einem Naturprodukt aus dem Meer prägten die Künstlerin, die unter anderem eine Anhängerin des Anthroposophen Rudolf Steiner war, und die – laut eigener Aussage – Erfahrungen mit einer „realen geistigen Welt“ gemacht hatte, die sie völlig unerwartet Botschaften wie „Hab Vertrauen in dein Schicksal“ empfangen ließen. 

In den 1920er und 1930er Jahren zählte Toni Koy zu den bekanntesten Goldschmiedinnen Ostpreußens, die einige Auszeichnungen erhielt, so zum Beispiel 1937 das Ehrendiplom bei der Internationalen Ausstellung für Kunstgewerbe und moderne Architektur der IV. Triennale in Mailand. Im selben Jahr gewann sie in einer Ausstellungsgemeinschaft mit der Staatlichen Bernsteinmanufaktur Königsberg den ersten Preis. 

In der Königsberger Bernsteinmanufaktur, die damals weltweit die größte ihrer Art  war, wurden unter dem Leitmotiv „gute und schöne Form“ Schmuck, aber auch Gebrauchsgegenstände oder Objekte mit kultischreligiösem Charakter angefertigt. Vor allem der künstlerische Leiter Jan Holzschuh zeigte sich verantwortlich für eine erhebliche Qualitätssteigerung im Bernstein-Schmuck-Design. 

Nach der Machtergreifung wurde der Bernstein als „Deutsches Gold“ trivialisiert: zu plump-brachialen Produkten, die vor allem Propagandazwecken dienen sollten. Bestrebungen, Mädchen und Frauen zum Tragen von Bernsteinschmuck gesetzlich zu verpflichten, beschmutzten den einst so guten Ruf des strahlenden Bernsteins nachhaltig, die hellgelbe Farbe des Bernsteins sollte an die blonden (= „arischen“) Haare deutscher Mädchen und Frauen erinnern. 

Flucht aus Ostpreußen

Der Zweite Weltkrieg beendete Toni Koys Schaffen in Ostpreußen unwiderruflich. Im Sommer 1944 nahm sie Abschied von Königsberg, und verbrachte zusammen mit ihrer Mutter Toni und ihrer Schwester Hanna einige Wochen in Cranz, bis der Kanonendonner in der Ferne immer näher kam. Gerade rechtzeitig konnten die drei Frauen einen der letzten Flüchtlingszüge besteigen. Gute Bekannte, die ein Kunststudio im Grassi-Museum betrieben hatten, das im Übrigen noch heute Werke von Toni Koy besitzt, nahmen sie schließlich in Annaberg im Erzgebirge auf, wo sie heimisch wurden.

Im Juni 1946 bekamen sie eine Wohnung zugeteilt, wo sich dann das Leben zu dritt abspielte, bis 1964 die Mutter und 1984 die Schwester starb. All die Jahre war Toni Koy in ihrer eigenen Werkstatt in Annaberg-Buchholz tätig gewesen, der zudem auch Ausbildungsbetrieb war. Ab Herbst 1984 arbeitete Toni Koy den letzten Rohbernstein in ihrem Besitz auf und zog dann im Juli 1985 in ein Pflegeheim in Sonneberg. 

Dort lebte die unkonventionelle Künstlerin bis zu ihrem Tod am 14. Juni 1990 in der ehemaligen DDR. „Mit ihr ist eine der Großen ihres Berufs von uns gegangen“, hieß es in der Traueranzeige im Ostpreußenblatt. 

Ihre eigene Sammlung von aus Bernstein geschaffenen Kunstwerken hat Toni Koy 1988 an das Deutsche Bernsteinmuseum in Ribnitz-Damgarten verkauft. Es verwahrt heute in Deutschland den größten Teil des künstlerischen Nachlasses einer Künstlerin, deren Credo im Leben stets auch „werde du selbst, dann wird deine Arbeit“ war.