19.04.2024

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Folge 12-21 vom 26. März 2021 / Historischer Mordfall / Taxi ins Jenseits / „Nasse Fische“ nannte man früher in Berlin ungelöste Kriminalfälle – Der Mord an einem Gigolo zählt auch dazu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12/21 vom 26. März 2021

Historischer Mordfall
Taxi ins Jenseits
„Nasse Fische“ nannte man früher in Berlin ungelöste Kriminalfälle – Der Mord an einem Gigolo zählt auch dazu
Bettina Müller

Berlin, Dezember 1929. Ein turbulentes Jahr neigte sich dem Ende zu. Am 24. Oktober hatte der New Yorker Börsencrash die Weltwirtschaftskrise ausgelöst, die auch eine Kriminalitätswelle in Berlin nach sich ziehen sollte. Durch Mord starben 1929 in Berlin 32 Menschen, 1931 sollte die Opferzahl auf 54 ansteigen. 

Bereits im Dezember 1929 vermeldeten Zeitungen des In- und des Auslandes, dass die Berliner Mordkommission mit der Bearbeitung aktueller Fälle völlig überlastet sei. Zu allem Überfluss wurden die Beamten dann auch noch mit einem „nassen Fisch“, wie ungelöste Fälle damals hießen, konfrontiert. 

Am 16. Dezember 1929 bemerkte ein Mann auf seinem Weg zur Arbeit in der Nähe des heutigen Stadtteils Weißensee um halb acht Uhr morgens eine Taxidroschke auf einem Feld. In der Nacht hatte es geregnet, der Boden war noch schlammig. Unermüdlich hatten sich in der Stadt die Autos im Lichtschein der Laternen durch die Regengüsse gekämpft, darunter auch der Chauffeur Ewald von Schalepanski, der nicht ahnte, dass dies die letzte Fahrt seines Lebens sein würde. Der Arbeiter wollte den vermeintlich Schlafenden aufwecken, doch im Wagen fand er eine Leiche mit Einschüssen im Kopf auf dem Fahrersitz vor.

Kommissar Ludwig Werneburg vom Berliner Polizeipräsidium war der Spezialist für solche Fälle, die mit Raub oder Raubmord zu tun hatten. Der erfahrene Beamte, der seit 1919 im Dienst der Berliner Polizei stand, recherchierte gewohnt gründlich. Der glücklose Taxifahrer wurde von seinem mörderischen Fahrgast zwischen zwei und fünf Uhr morgens erschossen, so viel stand nach der Obduktion fest. Sehr wahrscheinlich lag ein Raubmord vor, denn die Einnahmen des Fahrers waren verschwunden. 

Nachts ein Kraftdroschkenfahrer

Durch die nächtlichen Regengüsse konnten Werneburg und seine Kollegen jedoch keinerlei Spuren des Täters finden. Derweil verbreitete sich die Nachricht vom Taxifahrer-Mord wie ein Lauffeuer in der Stadt. Dabei kristallisierte es sich in den verschiedenen Zeitungsartikeln immer deutlicher heraus, dass die Journalisten weniger an dem Raubmordfall interessiert waren, sondern sich vor allem für den offenbar sehr zweifelhaften Lebenswandel des glamourösen Opfers interessierten. Durch zahlreiche Zeugenbefragungen konnten die Ermittler pikante Details ans Tageslicht bringen. 

Von Schalepanski führte ein turbulentes Doppelleben: braver Taxifahrer in der Nacht, Gigolo am Nachmittag. Somit, so vermutete Werneburg, könnte er auch den Zorn eines eifersüchtigen Nebenbuhlers oder einer sitzengelassenen Geliebten auf sich gezogen haben.

Eigentlich stammte der Mann mit dem lockeren Lebenswandel aus gutem Haus: Der 1895 als Ewald Pordom geborene Sohn eines Medizinalrats ging zunächst einer ehrlichen Tätigkeit als Kaufmann nach. Nach einem Streit verließ der nach Ende des Ersten Weltkriegs arbeitslos gewordene Mann seine Eltern und zog nach Berlin zu der Schwester seiner Mutter, der Kunstmalerin Elma von Schalepanski, die ihn adoptierte und er so blitzschnell zum Adligen aufstieg. 

Tagsüber der adeliger Seelentröster

1918 heiratete er in Wilmersdorf Jocunda Wolfsohn geb. Hirschfeld, und zwar unter Anwesenheit der Trauzeugen Wilhelm Liebermann von Wahlendorf und dem Rechtsanwalt Dr. Julius Jandorf, einem Bruder des KaDeWe-Gründers Adolf Jandorf. Vier Jahre später wurde die Ehe wieder geschieden, der Grund war Ewalds Verschwendungssucht. 

Mittlerweile hatte sich Ewald nämlich an ein Leben in der feinen Gesellschaft von Berlin gewöhnt. Und um das Ganze zu finanzieren, heuerte Ewald bei der Grüntax GmbH an. Nach seinen nächtlichen Taxifahrten schlief er erst einmal, um dann als eleganter „Baron von Schalepanski“ in einschlägigen Hotels und Cafés die Damenwelt beim nachmittäglichen Tanztee zu entzücken, und das mit dem Ziel vor Augen, eine neue reiche Ehefrau zu finden. 

Am 6. Dezember 1928 hatte es von Schalepanski mal wieder geschafft: Vor dem Standesamt Charlottenburg II ehelichte er Waltraute Freiin von Hewaldt. Doch schon ein halbes Jahr später wurde die Verbindung gelöst. Und so setzte sich Ewald wieder an das Steuer seiner Kraftdroschke, was ihm zum tödlichen Verhängnis werden würde. Nach anfänglich reichhaltiger Berichterstattung verschwand der Fall des ermordeten Taxifahrers aus der Presse. 

Am 7. Februar 1931 deklarierte die Wiener Zeitung „Der Abend“ den Fall „Von Schalepanski“ schließlich offiziell als „ungeklärten Mord“. Die Berliner Mordkommission hatte äußerst widerwillig den Deckel der umfangreichen Fallakte „Ewald von Schalepanski“ schließen müssen. Diesmal hatte der „nasse Fisch“ gewonnen.